Nach wenig positiven Prognosen

So beurteilt Hartmann-Chefin Britta Fünfstück die Entwicklung des Heidenheimer Unternehmens jetzt

Eigentlich sahen die Prognosen nicht so positiv aus, aber im Verlauf des Jahres 2023 hat das Heidenheimer Unternehmen Hartmann die Gewinnerwartung nach oben korrigiert. Mit den Ergebnissen, die am Dienstag veröffentlicht wurde, ist Britta Fünfstück, Vorsitzende des Vorstands, sehr zufrieden - trotz zahlreicher Herausforderungen. Details gibt es im HZ-Interview:

Britta Fünfstück, Vorstandsvorsitzende der Paul Hartmann AG, liebt die Produkte, die ihr Unternehmen herstellt. Oder zumindest ist sie zutiefst davon überzeugt, dass ihre Mitarbeitenden sich sehr genau überlegt haben, mit welchen Vorteilen man die Kundinnen und Kunden von einer Hartmann-Neuheit überzeugen könnte. Fünfstück führt den Desinfektionsschaum vor, der im Gegensatz zu flüssiger Handdesinfektion nicht tropft und dank hautfreundlicher Zusätze ein angenehmes Gefühl auf den Händen hinterlässt. Am liebsten würde sie auch ein spezielles gefaltetes OP-Tuch für Hüftoperationen vorführen, mit dem man den Patienten in kürzester Zeit abdecken und für den Eingriff bereit machen kann - aber davon hält sie ihre Pressechefin Stephanie Reuter ab, das Tuch würde zu viel Platz einnehmen. Also weg von den Produkten, hin zu den Zahlen, die das Unternehmen veröffentlicht hat:

Die am Dienstag vorgelegten Zahlen für 2023 zeigen, dass es Hartmann gelungen ist, den Umsatz und die Profitabilität entgegen der ursprünglichen Prognose vom Vorjahr zu steigern.

Ja, wir haben uns nach einiger Zeit der rückläufigen Corona-Effekte und dadurch sinkender Ergebniszahlen jetzt wieder positiv entwickelt – und das trotz sehr großer und schwieriger Herausforderungen im Markt.

Von welchen Herausforderungen sprechen Sie da?

Wir haben eigentlich einen Markt, der sich positiv für uns entwickelt: Es gibt immer mehr ältere Menschen, damit steigt auch der Bedarf an Produkten für die Pflege. Allerdings ist der Gesundheitssektor derzeit unter einem größeren Druck als andere Industrien. Dafür gibt es für uns drei Hauptgründe: Zum ersten sind einige Märkte nach wie vor rückläufig. Bei den Desinfektionsmitteln beispielsweise liegt der Verbrauch immer noch deutlich unter dem des Vor-Corona-Jahres 2019. Das liegt hauptsächlich daran, dass Pflegekräfte fehlen und die Zahl der Operationen gesunken ist. Dann ist das Konsumklima aufgrund der Inflation gesunken, die privaten Haushalte geben weniger Geld aus – davon sind manche unserer Märkte direkt betroffen, beispielsweise bei den Pflegeprodukten von Kneipp. Und das dritte Thema ist, dass ein relevanter Teil unseres Umsatzes von Rückerstattungen abhängt, die gedeckelt sind, etwa bei Inkontinenzprodukten. Gleichzeitig steigen aber die Kosten für uns immens. In vielen Bereichen können wir die Preise nicht entsprechend anpassen.

Wie hoch waren denn 2023 die Kostensteigerungen für Material und Energie und wodurch genau sind diese für Hartmann entstanden?

Knapp 60 Millionen Euro an Steigerungen sind im vergangenen Jahr dazugekommen. Wenn man die Mehrkosten der letzten Jahre seit 2021 aufsummiert, dann sind es knapp 220 Millionen Euro, die wir durch unser Transformationsprogramm, durch Einsparungen und durch teilweise Preiserhöhungen erfolgreich kompensiert haben. Von den 60 Millionen Euro waren zwei Drittel Materialmehrkosten, in erster Linie bei Zellulose und den Kunststoffen Polyethylen und Polypropylen, und ein Drittel Energiekosten. Die Preise der Kunststoffe hängen immer mit dem Rohölpreis zusammen.

Trotzdem konnten Sie das Ergebnis des Unternehmens auf 203 Millionen Euro steigern.

Ja, und damit sind wir sehr zufrieden, weil wir aufgrund des Transformationsprogramms das Unternehmen resilient und zukunftsfähig gemacht haben.

Was kann man sich unter diesem Transformationsprogramm vorstellen?

Es geht dabei um Maßnahmen, die ergebnisrelevant sind, sich also auf die Kosten oder den Umsatz auswirken. Dafür gibt es vier Hebel: Innovationen treiben, die Kostenposition unserer Produkte verbessern, neue digitale Geschäftsmodelle finden und die Fokussierung auf den ambulanten Markt, wo höhere Profite möglich sind als im belasteten institutionellen Markt, also bei Krankenhäusern und Pflegeheimen. Mit diesem Transformationsprogramm haben wir mittlerweile 150 Millionen Euro an Maßnahmen umgesetzt, die unsere Profitabilität stärken, im vergangenen Jahr sind davon 50 Millionen Euro hinzugekommen.

Wie messen Sie diese Effekte?

Wir planen und überprüfen alle einzelnen Projekte im Detail. Wir haben beispielsweise kürzlich durch eine Veränderung in der Verpackung unserer Inkontinenzprodukte erreicht, dass wir Verpackungs- und Frachtkosten reduzieren. Dafür wurde ein Projekt lanciert, investiert und das Ergebnis verbessert. Auf der anderen Seite gibt es tolle Produkteinführungen wie etwa ein Desinfektionsschaum, der hautfreundliche Zusätze enthält und dazu führt, dass das Pflegepersonal die Desinfektion nicht vermeidet, sondern gerne durchführt. Solche Projekte tragen dann zu höheren Umsätzen bei. In unserem Projektmanagement sehen wir, welche Effekte die Projekte haben, die Kosten werden davon abgezogen und so kommen wir zu den oben genannten Zahlen, die unser Transformationsprogramm abbilden.

In welchen Bereichen gibt es bei Hartmann Steigerungen, wo läuft es nicht so gut?

Bei den Inkontinenzprodukten konnten wir unseren Umsatz steigern und haben trotz der großen Herausforderungen beim Material unser Ergebnis halten können. Das ist angesichts der Rahmenbedingungen ein sehr respektables Ergebnis. Im Wundbereich haben wir unseren Umsatz steigern können, aber auch die Profitabilität, das ist sehr positiv. Im Segment Infektionsmanagement haben wir einen rückläufigen Umsatz und einen rückläufigen Gewinn, aufgrund des starken Rückgangs bei der Nachfrage, wie bereits erwähnt bei Desinfektionsmitteln, aber beispielsweise auch bei Untersuchungshandschuhen. Bei den erweiterten Konzernsegmenten Kneipp, CMC und KOB haben wir eine Umsatzverbesserung und eine deutliche Ergebnisverbesserung. Die Profitabilität ist noch nicht gut, aber zumindest hat sie sich gegenüber dem Vorjahr deutlich erhöht.

Wie sind die Zukunftsaussichten für Hartmann?

Viele unserer künftigen Ergebnisverbesserungen sind absehbar: Wir wissen jetzt schon, welche Innovationen es in den kommenden Jahren geben wird, weil die Maschineninvestitionen für die Produkte bereits laufen. Beispielsweise wird in Herbrechtingen gerade eine Maschine installiert, mit der wir Produkte für leichte Inkontinenz herstellen werden. Im nächsten Jahr kommt nochmal eine neue Maschine, mit der wir Höschenwindeln für Inkontinenz produzieren werden. Das sind hochattraktive Märkte, bei denen wir aus dem Feedback von Patienten und Pflegekräften jetzt schon wissen, dass die Kundenvorteile des neuen Produktdesigns extrem gut ankommen werden. Deshalb sind wir sehr zuversichtlich, dass wir damit mehr Umsätze erzielen werden. Unsere Investitionen der vergangenen vier Jahre sind fast zur Hälfte in Deutschland getätigt worden, das ist ein klares Bekenntnis zum Standort Deutschland.

Wie sieht es bei Hartmann mit dem Anteil von Frauen in Führungspositionen und im Aufsichtsrat aus?

Wir haben in Summe im Unternehmen etwas mehr als 50 Prozent Frauenanteil. Mit der Wahl der neuen Anteilseigner und Arbeitnehmervertretenden im Frühjahr 2023 ist der Anteil weiblicher Aufsichtsräte von über 40 Prozent auf beinahe 60 Prozent gestiegen. Im Vorstand sind es 25 Prozent. Insgesamt liegt der Anteil weiblicher Führungskräfte bei fast 40 Prozent.

Fördern Sie Frauen im Unternehmen speziell?

Es ist unser Wunsch, mehr Frauen einzustellen, wenn dies möglich ist. Wir haben unsere Anstrengungen verstärkt, um mehr Frauen in Führungspositionen zu entwickeln, beispielsweise gibt es seit 2023 ein „International Female Mentoring“-Programm. Ich habe außerdem initiiert, dass es eine Leadership-Gruppe unter Frauen gibt, die sich regelmäßig trifft, um dadurch ein Netzwerk aufzubauen. Und wir sind stolz darauf, dass wir auch sonst ein sehr diverses internationales Team haben.

Wie weit ist die Produktionsverlagerung des Bereichs Wundversorgung vom Standort Heidenheim nach Polen?

Das Werk in Polen läuft, wir haben eine Maschine in Produktion, die von der Schweiz dorthin transferiert wurde, und eine, die aus Heidenheim kam. Es ist geplant, bis zum Sommer die restlichen Maschinen von hier nach Polen zu bringen und damit die Werksschließung zu vollziehen. Bisher ist es gelungen, für eine Vielzahl der Beschäftigten individuelle Lösungen zu finden.

Und was passiert mit dem Gebäude in Heidenheim?

Es gibt noch keine konkreten Pläne, aber wir werden es mit Sicherheit nicht verkaufen, sondern entweder eigene Teams dort unterbringen oder vielleicht auch teilweise etwas vermieten.

Mehr als 10.000 Mitarbeitende bei Hartmann

Das Unternehmen Hartmann ist mit eigenen Gesellschaften in 36 Ländern weltweit vertreten. Produktionsstandorte befinden sich in Deutschland, Frankreich, Spanien, Tschechien, Polen, der Schweiz, Indien und der Türkei. In Russland ist Hartmann bis auf eine kleine Produktion von medizinischen Wundversorgungsprodukten ausgestiegen. Vom Konzernumsatz entfiel im Jahr 2023 etwas weniger als im Vorjahr auf Deutschland, nämlich 720,4 Millionen Euro und damit 30,6 Prozent des Umsatzes (Vorjahr 2022: 31,2 Prozent). Insgesamt arbeiten 10.168 Menschen bei Hartmann, davon 4246 in Deutschland, 5066 in Europa (außer Deutschland) und 856 außerhalb Europas.

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