Nein, hier wohnen keine Zwerge. Auch wenn die kleine, “ur 1,37 Meter niedrige Tür sowie ein Graffiti an der Rückwand des Hauses An der Stadtmauer 6 die Frage nach der „Zwergentür“ aufwerfen, muss Leonard Hölldampf verneinen. Denn tatsächlich kommt es vor, dass Kinder im Vorbeigehen nicht anders können, als zu klingeln und neugierig nach den vermeintlich hier hausenden Zwergen fragen. Hölldampf macht das aber nichts aus, ganz im Gegenteil. „Das ist jedes Mal sehr lustig“, sagt der 30-Jährige, der das nach dem schmalen und überbauten Durchgang zwischen Haus und Stadtmauer benannte „Uhuloch“ gekauft hat.

In dem Gebäude mit seiner langen Geschichte wohnt also statt Gimli oder Alberich der Bezirkskantor im Evangelischen Kirchenbezirk Heidenheim. 2023 zog der gebürtige Stuttgarter von Aalen nach Heidenheim. Und damit gibt es gleich zwei Parallelen zwischen dem aktuellen und den ehemaligen Bewohnern.
Parallelen zwischen den ehemaligen und dem aktuellen Bewohner
Denn Leonard Hölldampf teilt sich zum einen seinen Vornamen mit dem ersten bekannten Eigentümer des Hauses. Ein gewisser Leonhard Bacher verkaufte es nämlich im Jahr 1616 weiter. So schreibt es der frühere Stadtarchivar Dr. Helmut Weimert in Band drei seiner „Heidenheimer Hausgeschichten aus der Frühen Neuzeit“.
Und die zweite Parallele gibt es demnach zu Benjamin Voith. Denn wie auch Hölldampf kam dieser von Aalen nach Heidenheim, 1734 kaufte er das Haus. Im Jahr 1803 wird hier sein Urenkel Johann Matthäus Voith geboren, an den noch heute eine Plakette an der Außenseite erinnert.

Das alles weiß Hölldampf natürlich schon, schließlich war sein Faible für Geschichte ein Grund dafür, dass er heute hier wohnt. „2023 wurde ich im evangelischen Gemeindebrief vorgestellt. Dabei wurde sowohl mein Interesse an Historischem als auch die Tatsache, dass ich auf Wohnungssuche bin, erwähnt“, erzählt Hölldampf. Kurz darauf meldeten sich die Vorbesitzer des Hauses bei ihm.
Heute kann er des Öfteren durchs Fenster belauschen, wie die Heidenheimer Stadtführerinnen und -führer ihren Gästen die Geschichte des Hauses erläutern. Dabei spielt der erwähnte Schlosser Voith eine wichtige Rolle. Und der hat auch im Innern des Hauses bis heute seine Spuren hinterlassen.
Neben einem originalen Voith-Treppengeländer aus Eisen ist das beispielsweise das schwere und antik anmutende Türschloss an der unteren Haustüre. Denn das Haus, das sich über drei Stockwerke erstreckt, verfügt sogar über drei Türen, dank Hanglage in jeder Etage eine. Die anderen beiden fallen allerdings normal aus, wie auch die Deckenhöhe im Innern.

Hölldampf nutzt sie alle von Zeit zu Zeit, je nachdem, wohin es gehen soll. Zum Musizieren in der Michaelskirche oder auf den Schlossberg ist die kleine Tür ganz oben die erste Wahl. „Und die allermeisten meiner Besucher klingeln auch dort, das lassen sie sich nicht nehmen“, sagt der Kantor.
Aber wie lebt es sich nun im „Uhuloch“? Sehr gut, findet Hölldampf. Er begeistere sich sehr für die lebendige Form der Räume des verwinkelten Hauses: „Ich finde es toll, dass es sozusagen nirgends vorhersehbar ist.“ Das wirkt immer frisch auf den eigenen Blick und zusammen mit der langen Geschichte des Hauses sorgt das für immer neue Inspiration bei der Arbeit, so der Kirchenmusiker.

Zudem sei die Lage überraschend ruhig, aber zentral und dennoch durch den schnellen Zugang zum Schlossberg auch naturnah. Einen tollen Blick hat man zudem durch die Fenster auf die Idylle der Heidenheimer Altstadt. Und auch wenn ein so altes Gebäude natürlich immer wieder Arbeit macht und beispielsweise so manchen tierischen Überraschungsbesuch mit sich bringt, in einen Neubau hat sich Hölldampf noch nie gewünscht.

Etwas Glück war beim Einzug im Spiel, als es darum ging, das ebenfalls historische Tafelklavier aus den 1880er Jahren ins Haus zu schaffen. Das musste, mangels Alternativen, nämlich tatsächlich durchs „Uhuloch“ geschafft werden. Eine Spezialfirma übernahm den Auftrag damals. „Da war ich sehr froh, dass das geklappt hat. Bei so manchem Nachbarhaus wäre das nicht möglich gewesen“, sagt Hölldampf.

Die Fassade soll übrigens beizeiten erneuert werden, dann wird wohl auch das Graffiti verschwinden, das ein anonym gebliebener „Künstler“ dort hinterlassen hat, während das Haus leer stand. Vielleicht fragt dann auch niemand mehr nach Zwergen.
Das zweite „Uhuloch“
Neben dem Haus An der Stadtmauer 6 gibt es in Heidenheim noch ein zweites „Uhuloch“. Dabei handelt es sich um eine kleine, schwer zugängliche Felsspalte am Schlossberg. Der Heidenheimer Heimatforscher Hermann Mohn begab sich 1928 auf die Suche danach und dokumentierte dies für die Nachwelt. Er nennt dieses zweite Uhuloch auch „Heidenloch“. Auch Mohn kannte aber schon auch das Haus an der Stadtmauer als „Uhuloch“.
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