Präventionsmaßnahmen

Machtmissbrauch im Jugendsport: Wie Vereine im Landkreis Heidenheim Kinder schützen

Hunderte Kinder und Jugendliche in Deutschland haben nach Recherchen von „Correctiv“ und „11Freunde“ Gewalt und sexualisierte Übergriffe durch Trainer erlebt – auch im Landkreis Heidenheim. Wie lokale Vereine reagieren, welche Schutzmaßnahmen bestehen und warum Prävention im Sport unerlässlich ist:

Jeder weiß, dass es Gewalt im Sport und besonders beim Fußball gibt: auf dem Platz und häufig auch am Spielfeldrand. Doch über eine andere Form der Gewalt wird kaum gesprochen: Machtmissbrauch. Wenn Trainer oder Betreuer ihre Rolle ausnutzen, um Kinder und Jugendliche zu kontrollieren, zu erniedrigen oder zu missbrauchen. Meist ist das Thema ein großes Tabu.

Eine gemeinsame Recherche von Correctiv, einem gemeinwohlorientierten Medienhaus für investigativen Journalismus, und dem Fußballmagazin 11Freunde, das sich seit über 20 Jahren der Fußballkultur widmet, hat dieses Schweigen durchbrochen. Beide Redaktionen deckten auf, dass hunderte Kinder und Jugendliche in Deutschland Opfer von Gewalt und sexualisiertem Missbrauch im Fußball wurden – überwiegend durch Trainer. (mehr zur Recherche gibt es unter Correctiv und 11Freunde)

In Baden-Württemberg sind mehrere Fälle dokumentiert. Auf einer Karte, die Orte markiert, an denen es zu Machtmissbrauch im Fußball gekommen ist, wird ebenfalls Heidenheim aufgeführt. Das Opfer möchte jedoch aus persönlichen Gründen nicht über die Tat sprechen, so Correctiv.

Sportkreis Heidenheim: Kein Raum für Missbrauch

Von den Sportvereinen im Landkreis wird das Thema aber sehr ernst genommen. Seit 2017 hat sich der Sportkreis Heidenheim offiziell dem Kinderschutz nach Paragraph 72a des Sozialgesetzbuches (SGB) verpflichtet, so Klaus-Dieter Marx, Präsident der Dachorganisation aller Sportvereine und Fachverbände im Landkreis. Der Paragraph verpflichtet Träger der Kinder- und Jugendhilfe, sicherzustellen, dass nur Personen mit einem erweiterten Führungszeugnis eingesetzt werden, die nicht einschlägig vorbestraft sind. Für sein Engagement im Bereich Kinderschutz hat der Sportkreis vom Landratsamt Heidenheim das Qualitätssiegel „Kein Raum für Missbrauch“ verliehen bekommen.

Auch im Landkreis Heidenheim erzählen anonyme Betroffene von Gewalterfahrungen. Quelle: Umfrage von Correctiv und 11Freunde, Kartenmaterial: OSM

Marx selbst ist erster Ansprechpartner und koordiniert die Zusammenarbeit mit dem Württembergischen Landessportbund (WLSB), der Fortbildungen und Schulungen anbietet. „Wir haben im Landkreis eine leistungsfähige und kompetente Struktur“, sagt Marx. „Aber das Thema darf nie aus dem Fokus geraten.“ Besonders wichtig sei, auch über sensible Themen wie Fotografie oder Sportkleidung zu sprechen.

TSG Giengen: Prävention braucht klare Strukturen

Auch die TSG Giengen will nicht abwarten, bis etwas passiert. Laut Marc Bartmann, Vorstand für Steuern und Finanzen, gibt es bei der TSG zwar keine explizit benannte Schutzbeauftragte, doch mehrere Verantwortliche, an die man sich wenden kann, darunter Vorstandsmitglieder, Abteilungs- und Jugendleiter.

Der Verein orientiert sich am Verhaltenskodex des Württembergischen Landessportbundes. Das bedeutet, dass für alle Trainerinnen und Trainer ein erweitertes Führungszeugnis verlangt wird – die Einsicht erfolgt nach datenschutzrechtlichen Vorgaben und wird regelmäßig aktualisiert. „Bisher hatten wir keine Verdachtsfälle“, sagt Bartmann. „Aber das Thema verlangt eine ständige Aufmerksamkeit und klare, konsequente Reaktionen, wenn Grenzen überschritten werden.“

TV Steinheim: Verantwortung ist Teil des Vereinsleitbilds

Prävention spielt beim TV Steinheim ebenfalls eine große Rolle. Vorsitzender Werner Kieser berichtet, dass es derzeit keine feste Ansprechperson für Gewaltprävention gibt. Der Kinder- und Jugendsport werde von den einzelnen Abteilungen organisiert – meist von langjährig bekannten, engagierten Trainerinnen und Trainern, an die sich die Kinder und Eltern wenden können.

Vereinsmitarbeitende nehmen regelmäßig an Informationsveranstaltungen teil, bei denen auch die WLSB-Broschüre „Nein zu sexualisierter Gewalt im Sport“ thematisiert wird, so Kieser. Zudem fordert der Verein ein erweitertes Führungszeugnis für alle Übungsleitenden.

In diesem Jahr entwickelte der TV Steinheim ein neues Leitbild mit sieben Kernsätzen, in denen Fairness, Respekt und Vorbildfunktion verankert sind. Dieses Leitbild hängt im Vereinszentrum – sichtbar und verbindlich. „Auch wenn im Turnverein keine Verdachtsfälle bekannt wurden, ist Prävention eine Daueraufgabe“, so Kieser. Beim TV Steinheim wird überwiegend in Gruppen, unter Aufsicht mehrerer Personen trainiert. Oft sind Eltern anwesend. Denn wie Kieser betont: „Wir vertrauen darauf, dass durch die persönlichen Kontakte der Sportlerinnen und Sportler sowie der Eltern gemeinschaftlich ein ‚wachsames Auge‘ existiert, Fehlverhalten erkannt und sofort kommuniziert wird.“

SV Mergelstetten: Schutzbeauftragte und Leitfaden für Ernstfälle

Beim SV Mergelstetten wird das Thema in der Vereinsjugend durch Tanja Eisner und Jan-Philipp Tschernutter als qualifizierte Schutzbeauftragte behandelt. Beide haben den Lehrgang der Württembergischen Sportjugend (WSJ) absolviert.

„Unser Verein verfügt über ein Jugendkonzept, in dem das gewünschte Verhalten aller Trainerinnen und Trainer im Kinder- und Jugendbereich klar festgehalten ist“, erklärt Tschernutter. Zusätzlich unterzeichnen alle Übungsleiterinnen und Übungsleiter einen Ehrenkodex, der einen respektvollen und kindgerechten Umgang festschreibt. Neue Trainer müssen außerdem auch ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen.

Der Verein arbeitet derzeit an einem Leitfaden für Verdachtsfälle, inklusive Dokumentationsbogen, um strukturiert handeln zu können. „Ein konkreter Verdachtsfall ist mir persönlich nicht bekannt. Im Verdachtsfall gilt für uns jedoch: Zunächst wird dem Wunsch des Kindes Rechnung getragen“, so Tschernutter. Wichtige Schritte sind für sie hierbei die sorgfältige Dokumentation, Gespräche mit weiteren vertrauensvollen Personen und die Einbindung interner Fachkräfte, sowie gegebenenfalls die anonyme Beratung durch die Jugendhilfe. „Im Ernstfall erfolgt eine Meldung an das zuständige Jugendamt, um den Schutz des Kindes sicherzustellen“, so der Schutzbeauftragte.

Eine dauerhafte Anlaufstelle außerhalb der Geschäftsstelle sei wegen der ehrenamtlichen Struktur schwer umzusetzen. Dennoch stehen beide persönlich oder per Mail jederzeit als Vertrauenspersonen zur Verfügung. „Uns ist ein offener Umgang mit dem Thema besonders wichtig“, betont Tschernutter. Denn nur dieser schrecke potenzielle Täter ab und schaffe ein Bewusstsein für Prävention.

Eine Stellungnahme auf die Anfrage der Heidenheimer Zeitung blieb vonseiten des Heidenheimer Sportbunds (HSB) und der TSG Schnaitheim aus.

Einschätzung des Landessportverbands

„Es ist derzeit nicht verpflichtend, einen Schutzbeauftragten oder eine Schutzbeauftragte in den eigenen Reihen zu benennen. Es gibt einige Vereine oder Verbände, die stattdessen auf externe Beratungsstellen oder Ansprechpersonen auf anderen Ebenen verweisen“, sagt Tabea Gering, Referentin für Jugendarbeit im Sport beim Landessportverband Baden-Württemberg. Dies sei bei oftmals ehrenamtlich geführten Sportvereinen meist eine Frage der Ressourcen. Es gebe jedoch Kommunen, die die Vergabe von Fördergeldern an Bedingungen im Bereich Prävention interpersonaler Gewalt knüpfen. Dazu gehören zum einen die Verpflichtung zu Paragraph 72a SGB VIII, was mit der Einsichtnahme in das erweiterte Führungszeugnis einhergeht, und zum anderen das Vorhandensein eines Schutzkonzepts, das in den meisten Fällen Präventionsschulungen beinhaltet, so Gering.

An wen kann man sich wenden?

Wer von sexueller Gewalt betroffen ist, kann sich an das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch wenden. Es ist kostenfrei und anonym unter 0800 22 55 530 erreichbar – montags, mittwochs und freitags von neun bis 14 Uhr, dienstags und donnerstags von 15 bis 20 Uhr. Mehr Informationen: www.hilfe-telefon-missbrauch.de.

Sportler und Sportlerinnen, die Gewalt oder Missbrauch erlebt haben, finden Unterstützung bei Anlauf gegen Gewalt von Athleten Deutschland e. V. – unabhängig von Verbänden. Informationen: www.anlauf-gegen-gewalt.de. Sie können sich außerdem an den Safe Sport e. V. wenden, telefonisch unter 0800 11 222 00 (montags bis mittwochs von zehn bis zwölf Uhr, donnerstags 15 bis 17 Uhr) oder online unter www.safesport-ev.de.

Frauen erhalten rund um die Uhr Hilfe beim Hilfe-Telefon Gewalt gegen Frauen unter 0800 0116 016 oder auf www.hilfetelefon.de. Männer können sich an das Hilfe-Telefon Gewalt an Männern wenden: 0800 123 99 00 oder www.maennerhilfetelefon.de.

Kinder, Jugendliche und Eltern erreichen die Nummer gegen Kummer kostenfrei und anonym unter 116 111 (Kinder und Jugendliche) oder 0800 111 0 550 (Eltern). Eine Online-Beratung ist möglich unter www.nummergegenkummer.de.