Der ehemalige 5000-Meter-Olympiasieger Dieter Baumann betätigte sich nach Ende seiner Laufbahn journalistisch, mit Lesungen und vor allem als Kabarettist. Mit seinem Programm „Dieter Baumann läuft halt (weil singen kann er nicht)“ kommt der aus Blaubeuren stammende Athlet am Samstag (Beginn 19 Uhr, Karten gibt es bei der Neresheimer Touristinformation oder Abendkasse) in die Neresheimer Härtsfeldhalle. Im Interview erzählt er von seiner sportlichen und künstlerischen Karriere.
Herr Baumann, Sie sind einer der erfolgreichsten deutschen Leichtathleten und doch fallen den meisten Menschen vor allem zwei Dinge ein – der Olympiasieg von Barcelona und die Doping-Vorwürfe von 1999, mittlerweile bekannt als Zahnpasta-Affäre. Man könnte sich denken, dass sie von dem Thema nichts mehr hören wollen, aber im Gegenteil, sie gehen ziemlich offensiv damit um.
Das ist so, ich werde meistens auf zwei Themen reduziert: Das erste ist Barcelona, das zweite die Zahnpasta. Ich glaube aber nicht, dass das das Publikum interessiert. Ich werde niemandem außer von Medienvertretern darauf angesprochen. Aber natürlich spiele ich das an den Abenden auch an, weil es zu meiner Biografie gehört. Entschuldigung, das wäre ja verschenkter Gag, das lasse ich mir doch nicht entgehen. Ich sage ja eh nichts zum Inhaltlichen, weil es ja keiner mehr versteht, es ist einfach vorbei. Und ich persönlich weiß, dass mein Leben sehr viel mehr beinhaltet als diese zwei Schlaglichter Barcelona und Zahnpasta. Ich habe da schon einen ganz bunten Strauß und bin sehr froh, dass ich so viel Facetten von dieser Welt mitbekommen habe.
Nach ihrer Karriere ging es bald mit Lesungen, Kleinkunst und Kabarett los – das ist nicht gerade typisch für einen erfolgreichen Sportler, die werden sonst ja alle irgendwo Co-Moderator …
Ja gut, mein Start in ein zweites Berufsleben wurde insofern erschwert, weil es eben diese Zahnpasta-Geschichte gab, was ja nicht unbedingt eine Bewerbungsoffensive war. Ich glaube auch nicht, dass die ARD oder das ZDF mit mir glücklich geworden wären. Ich habe schon bei der ARD einige Marathons mitkommentiert, aber zu mehr – und das verstehe ich auch – hat dann der Mut gefehlt.

Und so war für mich relativ schnell klar, dass es ein freischaffendes Künstlerleben wird. Was aber gar nicht so schlimm ist, weil mein Athletenleben auch so war. Also eigentlich hat sich bei mir wenig geändert. Ich bin freischaffender Künstler geblieben, hab mein Metier auf die Bühne verlagert und der Weg dahin, der war eher für mich interessant.
Eine Trainerkarriere kam nicht in Frage?
Ich habe tatsächlich einige Vorträge gehalten, Trainingscamps gegeben und hatte hier in Tübingen auch eine Läufergruppe, die ich trainiert habe. Aber das war mir alles zu seriös. Ich wollte was Spielerisches haben, etwas Launigeres. Und dann habe ich hier in Tübingen eine schöne Kleinkunstszene und immer wieder Kontakt mit den Leuten, die das machen. Zum Beispiel Heiner Kondschak, der leider verstorben ist im letzten Jahr, oder Carola Schwelien, eine Regisseurin, die mich an die Hand genommen hat. Mit denen habe ich dann diese fünf Programme gemacht. Die kann man nicht alleine machen, da brauchst du auch wieder einen Coach, das ist so ähnlich wie im Leistungssport.
Um was geht es in Ihrem aktuellen Programm?
Da erzähle ich einen Lauf nach, den ich gelaufen bin – die 100 Kilometer von Biel. Das spiele ich sozusagen nach, mit allen Facetten, mit Rückblicken, mit Fenstern, die sich öffnen, wo ich wieder eine Geschichte platzieren kann. Und das Ganze, und das ist ja eigentlich eine Weltsensation, auf dem Laufband.
Wie bitte, Sie bieten das Programm komplett auf dem Laufband dar?
Die ersten zehn Minuten brauche ich zum warm werden, aber den Rest des etwa 90-minütigen Programms bin ich auf dem Laufband. Da kommen am Ende so zehn Kilometer zusammen. Ich tanze auch auf dem Laufband und zaubere. Ich bin der größte Zauberer unter den Läufern. Gut, ich glaube, so viele Läufer können nicht zaubern, aber ich kann es und das wird an dem Abend auf jeden Fall auch in der Show sein.
Ich wollte schon fragen, ob so ein Abend und ein 5000-Meter-Lauf eine vergleichbare Herausforderung ist. Aber bei Ihnen gilt das ja dann im doppelten Sinne…
Es ist natürlich vom Körperlichen her nicht vergleichbar, aber man geht an Limits, ganz klar. Man muss auf sich vertrauen können, wenn man so live auf der Bühne steht, so nackt, sag’ ich mal. Dann muss man schon wissen, wohin die Reise geht. Ich vertraue auf mein Programm, auf meine Geschichten und dann ist es auch ein richtig netter und schöner Abend für mich und damit auch fürs Publikum.
Wo wir schon beim Vergleichen sind, man sagt ja, bei der Langstrecke ist die letzte Runde die schwerste. Was ist für Sie bei so einem Kleinkunstabend das Schwerste?
Eher der Einstieg. Also ich komme auf die Bühne und dann muss ich innerhalb von wenigen Minuten das Publikum bei mir haben. Ich brauche diese Nähe. Bei mir kommt es nicht so sehr auf einen Witz an. Ich glaube nicht, dass die Leute bei mir erwarten, dass ich jeden Satz mit einem Schenkelklopfer beende. Ich erzähle eine Geschichte – auf der Bühne und mit meinem Publikum gemeinsam. Das mache ich schon seit 2009, da war mein erster Abend, ich habe also schon etwas Erfahrung. Bei Live-Situationen kann natürlich immer etwas passieren, aber es ist nicht so, dass ich da dann völlig konsterniert wäre.
Haben Sie da ein Beispiel?
Bei meinem jetzigen Stück bin ich ja auf die Technik angewiesen, das Laufband braucht Strom, ich brauche Licht und ein Mikro, habe meine Einspieler, die ich selbst mache, ohne Techniker. Und dann fällt, das ist sogar schon zweimal passiert, in einem alten Feuerwehrhaus und in einer alten Dorfscheune, plötzlich der Strom aus – also Kurzschluss. Ich hatte da einen Sketch, da beschleunige ich auf 20 km/h, den habe ich nicht mehr, weil ich gemerkt habe: Da zieht mein Laufband zu viel Strom.
Das kommende Wochenende ist auch für Sie was Besonderes, nach dem Lauf auf dem Band am Samstag in der Härtsfeldhalle, kommt am Sonntag ein Lauf durch die schöne Landschaft, denn Sie wollen auch am Härtsfeld-Panoramalauf teilnehmen. Gibt es da eine Zielsetzung?
Ich darf ja seit 30 Jahren auch Kolumnen schreiben und seit zwei Jahren mache ich für die „Runner‘s World“ eine Serie über Dorfläufe. Also ich fahre irgendwo hin, nehme an einem Dorflauf teil und mache eine launische Kolumne. Und genau das ist mein Ziel. Ich werde darüber berichten, was mir da widerfährt. Das kann sportlich sein, das können die Mitläufer sein, die Organisatoren – ich habe noch keine Ahnung. Und läuferisch? Ach Gott, ich genieße das einfach.
Laufveranstaltungen gibt es jede Menge und auch eine große Schar von Hobby- oder ambitionierten Läufern. Dagegen hat die klassische Leichtathletik einen schwereren Stand – sehen Sie das auch so?
Ja, bei euch in Heidenheim ist das ja eigentlich selbsterklärend. Wenn man Bundesliga-Fußball hat, dann gibt es für die anderen Sportarten keine Möglichkeit. Fußball erdrückt uns generell. Dieses Laufen, das ist ja mehr ein Alterssport, ein Volkssport, ein Gesundheitssport. Das ist entkoppelt von der Leichtathletik. Und wir haben ja in der Leichtathletik auch schon Probleme, manche Disziplin überhaupt noch zu besetzen. Sehr viele Dinge hängen auch an Menschen. Es braucht einfach Menschen, die sich engagieren und wenn die Gas geben, dann entsteht auch wieder was.
Nochmals zu Ihrer Kolumne – die Laufveranstalter können sie also einfach einladen?
Auf jeden Fall, ich bin immer dankbar für Anregungen, über meine Homepage kann man mich anschreiben. Ich kann nichts versprechen, aber bin dankbar für jeden Hinweis. Nächste Woche ist ein Lauf in der Nähe von Heilbronn, der hat 50. Jubiläum. Das muss man sich mal vorstellen, das geht ja durch drei Generationen, wird es immer weiter gereicht, das ist schon eine Leistung für das Gemeinwohl. Diese Würdigung liegt mir am Herzen.
Das passt ja, in unserem Landkreis, in Nattheim, gibt es beispielsweise den Maultaschenlauf, da gibt’s dann nach dem Lauf Maultaschen in der Brühe zum Essen…
Stellen Sie sich das mal vor, wenn ich in Runner’s World als Schwabe vom Maultaschenlauf schreibe – das ist ja schon alleine eine Geschichte wert.
40 deutsche Meistertitel und ein Olympiasieg
Dieter Baumann, geboren 1965 in Blaustein, ist einer der erfolgreichsten Langstreckenläufer der deutschen Sportgeschichte. Unter anderem gewann er 40 deutsche Meistertitel auf Strecken von 1500 bis 10.000 Meter und im Crosslauf. Viele Jahre war er der schnellste 5000-Meter-Läufer nichtafrikanischer Abstammung.
Unvergessen ist sein Triumph bei den Olympischen Spielen 1992, als er vor der letzten Kurve noch zwischen vier Konkurrenten eingekeilt war und doch plötzlich die Lücke fand und im Endspurt an allen vorbeizog. Die letzten 100 Meter des 5000-Meter-Rennens lief er dabei in 11,9 Sekunden.
Nach weiteren Erfolgen gab es 1999 den Schock, bei Baumann wurde in einer Dopingprobe das Muskelaufbaupräparat Nandrolon nachgewiesen. Der Sportler, der sich stets für den Kampf gegen Doping starkgemacht hatte, bestreitet bis heute eine wissentliche Einnahme.
Bei einer Durchsuchung wurde Nandrolon in seiner Zahnpastatube nachgewiesen, ebenso in der Zahnpasta seiner Frau und Trainerin Isabelle. Aufgrund dessen sowie Haarproben ohne Befund wurde Baumann vom Deutschen Leichtathletikverband freigesprochen, der internationale Verband sperrte ihn allerdings. Bis heute ist die Affäre nicht aufgeklärt, die vorherrschende Meinung geht aber eher dahin, dass Baumann Opfer eines Anschlags geworden war.