Sieben Stunden im Zug nach Hamburg, sechs Stunden samt Stau und Frust nach Wolfsburg. Die Wege zu den Auswärtsspielen des FCH in der Bundesliga können lang werden für einen Sportredakteur. Nur für 90 Minuten Fußball, der mal schön, mal weniger schön anzusehen ist, und danach ein paar Interviews mit den Spielern plus eine Pressekonferenz. Dafür geht es kreuz und quer durch die Republik und wieder zurück. Dafür und noch für einiges mehr. Was am Fernseher nur selten zu sehen ist, sind die kleinen Episoden, Kuriositäten und Dramen, die sich auf dem Spielfeld, an der Seitenlinie, auf den Tribünen oder vor dem Stadion abspielen. Zusammengenommen ergibt sich am gesamten Spieltag ein Gefühl, das über das Sportliche auf dem Rasen hinausgeht – mal positiv, mal seltsam, mal gedämpft.
Ungefiltert und vor allem nicht geprägt vom Druck des Bundesliga-Rhythmus lässt sich das Gefühl in der FCH-Mannschaft und ihrem Umfeld schon Wochen vor dem ersten Saisonspiel erspüren. Im Trainingslager, in das die Profis im Sommer gleich zweimal reisen. Das erste führte Trainer Frank Schmidt und seine Spieler nach Südtirol in das Örtchen Natz. Und die HZ-Sportredaktion folgte.
18 Stunden im Sattel für das richtige Gefühl
Neben den Themen, die es in den 48 Stunden vor Ort rund um ein Testspiel und das Fanfest zu bearbeiten gab, stellte sich neben der Unterkunft noch eine Frage: Wie kommt man am besten dorthin? Vier Stunden mit dem Auto oder sieben bis acht Stunden mit dem Zug? Ratzfatz nach Natz und wieder zurück, wie an einem Spieltag eben. Die Hauptsache ist, es geht schnell.

Ist das der richtige Weg ins Trainingslager, in dem ein Gefühl für die herrschende Stimmung aufkommen soll? Irgendwie nicht. Deshalb fiel die Entscheidung auf keine der beiden Optionen, sondern auf eine dritte: 18 Stunden, verteilt auf vier Tage und das mit dem Rad. Im Sattel an das Beschauliche, das Gemütliche, das Panorama der Dolomiten und die Anstrengungen der Einheiten der Profis.
Die Route: über 355 Kilometer durch drei Länder
Dank technischer Hilfsmittel und einiger Apps waren die Route schnell gewählt, die Tagesetappen von Samstag bis Dienstag abgesteckt und sogar die Uhrzeit der Ankunft in Natz für 13.30 Uhr bestimmt. Es konnte doch eigentlich losgehen. Nicht ganz. Obwohl die Tour nach einer spontanen und unkomplizierten Idee klingen mag, brauchte es im Vorlauf doch Planung und Vorbereitung. Ein paar Kilometer mit Hügeln und Bergen sollte man davor abgespult haben. Der Bodensee-Königssee-Radweg (von Lindau an den Königssee) und die Allgäu-Radrunde (Rundkurs über 450 Kilometer) waren dafür bestes Trainingsterrain.
Mit den Tagen im Sattel war das Gefühl da, wie die 355 Kilometer der Tour ins Trainingslager oder – wie es im Italienischen viel schöner klingt – der „Giro al Ritiro Estivo“ verteilt werden können. Auf entspannten 100 Kilometern sollte es vom Pressehaus an der Olgastraße bis nach Türkheim ins Unterallgäu gehen. Das Kilometerfressen war bei der zweiten Etappe geplant: 120 Kilometer führen in die Alpen und über Garmisch-Partenkirchen nach Mittenwald. Danach sollte es nach der Abfahrt ins Inntal via Landstraße bis Matrei am Brenner (66 km/1100 hm) gehen. Als Belohnung für die Fahrt auf den Brennerpass bliebe zum Abschluss die Abfahrt bis ins Quartier des FCH (69 km/900 hm).
Mit leichtem Gepäck und die Berge im Blick
Mit vier Radtaschen bepackt und für jedes Terrain aufgezogenen Reifen begann der Start am Samstag mit der ersten Herausforderung: den schnellsten Weg aus dem Landkreis zu finden. Der Zickzackkurs führte durchs Eselsburger Tal, über Hürben und Niederstotzingen und dann schnell weiter Richtung Süden. Vom Zwischenstopp in Türkheim rollte das Velo über kleine Hügel und auf nun besseren Radwegen entspannt den Bergen entgegen. Und das Gefühl? Bei der Hälfte der Strecke kam die Vorfreude, der Puls stieg das erste Mal an, als nach einer Abfahrt die Ammergauer Alpen in Blickweite rückten. Selbst beim langen Anstieg auf den letzten Kilometern des zweiten Tages von Garmisch nach Mittenwald blieb das Lächeln im Gesicht ein treuer Begleiter.

Da die Vorhersage für die zweite Juliwoche freundliches Wetter versprach, brauchte es für die viertägige Tour in den Taschen am Rennrad nur das Nötigste. Block und Tablet für die Arbeit, einen Kulturbeutel, Ladekabel und Powerbank, einen Satz Kleidung für den Abend und natürlich eine Regenjacke – die auch zum Einsatz kommen sollte. Zwischen den Dauergästen im Gepäck war somit noch reichlich Platz für den täglichen Proviant, der sich im Laufe der Tage im Eiltempo leerte.
Ein wilder Ernährungsmix zwischen Espresso und Gummibärchen
Das Essen auf der Tour durch drei Länder war ein Thema für sich. Das sonst alltägliche Bestreben, halbwegs ausgewogene Kost auf den Tisch zu bekommen, rückte während der Tage auf zwei Rädern gänzlich in den Hintergrund. Waren das Frühstück und das Abendessen in den Unterkünften noch weitgehend aus gesunden Elementen zusammengestellt, entwickelte sich dazwischen ein wilder Mix. Ein Wachmacher am Morgen, kombiniert mit einem Büfett beim Kindergeburtstag. Als kleines Beispiel: Beim Zwischenstopp bei einem Bäcker in Ichenhausen füllten ein doppelter Espresso, Kuchen, eine Limo und ein Tütchen Gummibärchen das Tablett. Quasi das Happy Meal für Radler und eine willkommene Abwechslung zur Banane, zum dickflüssigen Kohlenhydratgel und dem süßen Sportgetränk. Oder kurz gesagt: schneller Zucker für schnelle Beine.

Die schnellen Beine sollten bei der Königsetappe durch das Inntal bis nach Matrei in den Vordergrund rücken. Nach kurzem Aufstieg nach Seefeld und einer langen Abfahrt fehlten nur 17 Kilometer bis zum nächsten Espresso-Limo-Duo am Zielort. Selbst der einsetzende Regen kratzte nicht an der Stimmung, als der Weg über einen Kreisverkehr aus Innsbruck hinausführte. Die Rolle des Spielverderbers übernahm dann der folgende Abschnitt mit Blick auf die Skisprungschanze am Bergisel. In dem Winkel, in dem die Springer sonst ins Tal fliegen, ging es nun gefühlt bergauf.

Das Rad wollte nicht voran, eher rückwärts, und das Wasser fand trotz Regenjacke seinen Weg bis unters Trikot und in die Socken. Das Gefühl? So schwer kann keine der gefürchteten Einheiten von Frank Schmidt sein. So sehr können die Muskeln nicht brennen. Das hört nie auf. Tat es doch, und der Kaffee gefolgt vom verdienten Bierchen schmeckte danach noch besser. Alles ist nur halb so wild, wenn es hinter einem liegt.
Mit Udo Jürgens im Ohr über den Brenner
Zwischen dem Start der Schlussetappe und der Ankunft in Südtirol wartete noch das Dach der Tour: die Brennerstraße hinauf, bei der Erinnerungen aufpoppten. Der Weg in den Urlaub nach Italien bedeutete früher viele Lkw, Stau, aber vor allem wenig Platz und viele Höhenmeter. Zum Glück sind Kindheitserinnerungen nicht immer ganz faktentreu. Die gefühlt einwöchige Autofahrt nach Jesolo dauerte in Wirklichkeit nur 14 Stunden. So auch am Brenner: Es ging bergauf und das stetig, aber die Lkw quälen sich mittlerweile auf der in Sichtweite liegenden Autobahn in Richtung Grenze, die vielen Radler haben heute fast freie Fahrt.

Anders als am Vortag wurde der wieder 17 Kilometer lange Anstieg bei blauem Himmel zum Gipfelsturm. Nach etwas mehr als einer Stunde kam auf 1360 Metern der Grenzstein in Sichtweite. Das Gefühl? Überraschung. Angelehnt an den WM-Song der deutschen Nationalmannschaft mit Udo Jürgens kam die Erkenntnis: „Ich bin schon auf dem Brenner.“
Die Ankunft: zu früh, aber mit dem richtigen Gemüt
Auf den topografischen Höhepunkt der Tour folgte der landschaftliche. Zur Freude der strapazierten Oberschenkel ging es die verbleibenden 50 Kilometer auf perfekten Radwegen mit eigenen Tunneln vorbei an hohen Gipfeln und tiefen Schluchten durch das Wipptal. Auf den sanften Kehren verschwammen die Erinnerungen an die quälenden Kilometer des Vortags und wie aus dem Nichts tauchte zwischen langen Reihen von Apfelbäumen das ersehnte Ortsschild von Natz auf, ein paar Tritte später das Ziel. Die Ankunftszeit an der gemütlichen Pension am Marktplatz: 13.17 Uhr und damit 13 Minuten schneller als vorhergesagt.

Nach einer kurzen Dusche stellte sich die Gefühlsfrage bei einem Kaffee mit frischem Apfelstrudel ein letztes Mal. Die Stimmung der Dolomiten ist aufgesaugt, der Blick über den malerischen Platz sucht vergebens nach jeglicher Hektik, und die Beine sind zwar müde, nach über 350 Kilometern werden sie die paar Meter zum Trainingsplatz des FCH aber auch noch schaffen.
