Der 1. FC Heidenheim gegen die SV Elversberg, die SV Elversberg gegen den 1. FC Heidenheim. Am Donnerstag, 22. Mai (Voith-Arena), und am Montag, 26. Mai, bestreiten die beiden Teams die Relegation zur Bundesliga (jeweils um 20.30 Uhr). In der Drittligasaison 2013/14 waren sie zuletzt aufeinander getroffen. Für den FCH war das Spiel in der Gemeinde Spiesen-Elversberg ein besonderes.
Mit einem Punkt konnte der FCH am 19. April 2014 den Zweitliga-Aufstieg perfekt machen – und das vier Spieltage vor Saisonende. Ganz offiziell hielt man sich auf FCH-Führungsebene mit solchen Rechenspielchen zurück, verwies auf die Schwere der Aufgabe, gab sich sachlich und tat alles, um nicht in den Verruf eines Traumtänzers zu geraten. Es sei nichts geplant für eventuelle Aufstiegsfeiern, wehrte damals Holger Sanwald jeden Anflug von Partystimmung im Vorfeld ab. Dass sich ein Satz speziell gedruckter Aufstiegstrikots an Bord des Mannschaftsbusses befinden würde, verschwieg man lieber.
Bierduschen anzukündigen und hinterher womöglich im Regen zu stehen – nein, das ist nicht die Art jener schwäbischen Nüchternheit, mit der sich die Heidenheimer fußballerisch so weit nach oben spielten. Seit dem siebten Spieltag waren sie Tabellenführer der 3. Liga – aber das Wort vom Aufstieg blieb von offizieller Seite weitgehend außen vor. Selbst als der FCH die Vorrunde mit neuer Rekordmarke abschloss. Nie hatte ein Drittliga-Herbstmeister mehr Punkte (45). Am 1. Februar 2014 wurde Borussia Dortmund II im Stadion Rote Erde mit 3:0 besiegt, und Augenzeuge Jürgen Klopp unkte, dass es keinerlei prophetischer Gabe mehr bedürfe, den FCH in der 2. Liga zu sehen.
Der 1. FC Heidenheim gerät in Elversberg in Rückstand
In Elversberg ist noch nicht einmal eine Minute gespielt, da liegt der FCH schon 0:1 zurück. Doch es kommt noch schlimmer. Nach 29 Minuten verschießt Marc Schnatterer einen Elfmeter. Kurz vor der Halbzeitpause gibt's an der Mittellinie ein Gerangel zwischen Michael Thurk und mehreren Elversbergern. Thurk lässt sich provozieren, verliert die Nerven, sieht die Rote Karte.
Wir probieren alles, volles Risiko. Seid Ihr dabei?
FCH-Trainer Frank Schmidt zu seinen Spielern
1000 mitgereiste Heidenheimer fühlen sich im falschen Film, man sieht zur Pause lange Gesichter, und nach Feierlaune ist erst einmal keinem mehr, als sich die angefressenen Heidenheimer Spieler – wie es so schön heißt – zum Pausentee versammeln. Pausentee gibt's nicht in der Kabine. Stattdessen eine Art Rütli-Schwur. Momente wie diese sind wie geschaffen für einen Ritt auf der Rasierklinge. Es ist die Alles-oder-nichts-Mentalität, die Frank Schmidt in diesem Augenblick zur Erfolgstugend erhebt. Der Meistertrainer katapultiert seine Schützlinge aus dem Halbzeit-Blues. „Wir probieren alles, volles Risiko. Seid Ihr dabei?", fragt Schmidt und hört ein kollektives „Ja".

„Wir haben ein System gespielt, das es eigentlich gar nicht gibt", wird der Trainer später sagen. Womöglich wäre er damit durchgefallen – damals, als er den Fußballlehrer an der Kölner Sporthochschule erwarb. Aber an diesem Tag fällt er damit nicht durch. Schmidt weiß, wie man Profis kitzelt, wie man sie an der Ehre packt und wann es Zeit ist, das volle Risiko zu suchen. Halbzeit in Elversberg ist der Augenblick zwischen Hopp und Top. Der FCH kommt entweder mit Lackschuhen heim oder barfuß. Singend oder schmollend. Dazwischen gibt's nichts mehr.
Den haue ich rein.
Philip Heise vor dem Freistoß, der zum 1:1 führen sollte
Und so geht es in die zweiten 45 Minuten. Die Heidenheimer marschieren, setzen sich im gegnerischen Strafraum fest, holen eine Serie an Eckbällen heraus – und einen Freistoß. 20 Meter vor dem gegnerischen Tor. Normalerweise eine Sache für Marc Schnatterer. Doch Linksverteidiger Philip Heise interveniert beim Kapitän, bittet um den Ball und verspricht: „Den haue ich rein." Heise nimmt den Mund voll, aber es ist kein leeres Versprechen. Schnatterer scheint es zu ahnen, lässt den Abwehrspieler vor – und Elversbergs Torhüter Kenneth Kronholm lässt den Schuss rein. Es steht 1:1 – und so steht's auch am Spielende.
Aber wie steht's nun in Sachen Aufstieg? Bange Minuten folgen. Mit kuriosen Einlagen. Smail Morabit besorgt ein überdimensional großes Schoko-Ei, österlich verpackt. Seine Mama will der Mannschaft den Aufstieg versüßen. Die Spieler bilden einen Kreis, das Ei ist in der Mitte. Pressesprecher Markus Gamm hat das Handy an, ist mit dem „SWR“ verbunden, kriegt die letzten Sekunden des Leipziger Spiels gegen Darmstadt mit. Dann ein kollektiver Jubelschrei: Leipzig hat 1:0 gewonnen, der FCH damit vorzeitig aufgestiegen. Nie waren die „Roten Bullen" sympathischer. Es folgt der gemeinschaftliche Eiertanz. Irgendwie wird das süße Stück zur bleibenden Erinnerung an diesen Jubeltag im Saarland. „Wenn ich an diese Szene denke, wie wir da zusammenstehen, dann habe ich immer dieses Ei vor Augen", sagte später Frank Schmidt.

Verspätet und mit biergetränktem Aufstiegstrikot erscheint der Heidenheimer Trainer zur Pressekonferenz, die in einer Baracke stattfindet, weil das Elversberger Stadion gerade umgebaut wird. „Ich habe der Mannschaft gesagt: Ihr könnt Geschichte schreiben, es liegt nur an euch", sagt der Trainer. Sein Elversberger Kollege blickt eher gallig drein: Ein Punkt ist für sein Team zu wenig. Die Sportvereinigung wird den Abstiegskampf verlieren.
Frank Schmidt hatte damals seinen bis 2015 laufenden Vertrag bis 2020 verlängert. So klar war die Sache nicht. „Falls wir in der 3. Liga geblieben wären, hätte ich nicht verlängert", sagte der FCH-Coach damals. Nach drei knapp gescheiterten Aufstiegen hätte er dann einem Nachfolger Platz gemacht. Doch nach dem Aufstieg war er überzeugt: „Der Weg ist noch nicht zu Ende."
Nun aber kommt es zum großen Wiedersehen zwischen dem 1. FC Heidenheim und der SV Elversberg. Dieses Mal geht es um nichts Geringeres, als um die Bundesliga. Elf Jahre später.