Bevor sie an die Türen der Büros klopfte, gab es Maultaschen mit Kartoffelsalat: Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, hat am Montag die Jugendberufsagentur (JBA) in Heidenheim besucht. Beim gemeinsamen Mittagessen mit Landrat Peter Polta, dem Leiter des Job-Centers Markus Ebersbach sowie Vertreterinnen und Vertretern der Agentur für Arbeit nutzte sie bereits die Gelegenheit zum Austausch.
In der JBA zeigt sich Nahles dann als aufmerksame Zuhörerin, die gezielt nachfragt: Wie funktioniert das Zusammenspiel der Behörden? Bemerken die jungen Menschen überhaupt, mit welcher Institution sie es zu tun haben? Die Behördenvertreter – Landratsamt, Arbeitsagentur, Job-Center – sind sich einig: Nein, genau das sei der Vorteil. Die Wege seien kurz, die Anliegen würden ohne Umwege bearbeitet.
Die Heidenheimer JBA ist die erste Einrichtung in Baden-Württemberg, in der drei Behörden unter einem Dach arbeiten, nicht nur digital vernetzt, sondern vor Ort in gemeinsamen Räumen. Nahles klopft bei Sachbearbeitenden an, stellt Fragen, hört zu – etwa am Empfang bei Michaela Brunnhuber, die gerade eine junge Besucherin in ein Beratungszimmer begleitet hat. Nahles will wissen, was passiert, wenn jemand spontan ohne Termin kommt. „Auch dann wird natürlich geholfen“, lautet die Antwort. Durch Nachfragen und Weitervermitteln. Zwei Fallmanager des Job-Centers sitzen direkt am Eingang – mit bewusst offener Tür. Sie hören mit, können unbürokratisch mithelfen.
Hilfe aus einer Hand ohne Behörden-Grenzen
Das gemeinsame Ziel: Junge Menschen sollen möglichst umfassend und frühzeitig unterstützt werden auf ihrem Weg ins eigenständige Leben – unabhängig davon, ob es um Geldleistungen, Aufenthaltstitel oder Berufsberatung geht. Jens Thielemann, Leiter der Heidenheimer JBA, bringt es auf den Punkt: „Erst einmal muss das mit der Kohle laufen. Denn wer Geldsorgen hat, der hat keine Kapazität, sich um berufliche Maßnahmen zu kümmern.“ Doch ist das geklärt, kann es gleich eine Türe weiter gehen, wo es dann um Ausbildung, Hilfsangebote oder auch soziale Beratung geht.

Nahles zeigt sich beeindruckt: „Ich finde das hier schon sehr überzeugend“, sagt sie nach Gesprächen mit Berufsberatern, Jugendhilfe und Leistungsabteilung. Dass Anliegen hier institutionenübergreifend bearbeitet werden, sei ein großer Vorteil. „In anderen Städten müssen Jugendliche von einer Station zur nächsten. Hier geht man einfach über den Flur.“ Sie betont: Die Heidenheimer Lösung könne ein Vorbild für andere Landkreise sein. „Ich würde mir wünschen, dass das ein Roll-out-Modell für Baden-Württemberg wird.“
Nach rund einem Jahr Betrieb ziehen auch die Beteiligten vor Ort eine positive Zwischenbilanz. Die Zusammenarbeit laufe gut, das Konzept greife. Nahles bestätigt: „Es gibt viele Jugendberufsagenturen – aber dass wirklich alle unter einem Dach sitzen und Hand in Hand arbeiten, das ist selten. Und hier ist es gelungen.“
Nahles geht die Digitalisierung in Deutschland zu langsam voran
Ein weiteres Thema, das Nahles umtreibt: die Digitalisierung. Sie fragt bei Mitarbeitenden nach, ob die beworbene App genutzt wird. Das Interesse kommt nicht von ungefähr: Innerhalb des BA-Vorstands verantwortet Nahles auch den Bereich IT. Die Rückmeldung vor Ort ist jedoch ernüchternd. „Schon die Registrierung ist oft zu kompliziert“, sagt eine Mitarbeiterin. Jugendliche unter 18 dürfen ihren elektronischen Personalausweis nicht nutzen – dieser ist aber Voraussetzung für die Anmeldung. Nahles nickt: „Das IT-Angebot in Deutschland ist benutzerunfreundlich.“
Sie skizziert die Idee eines bundesweiten digitalen Wallets – einmal registrieren, alle Behörden nutzen. „Andere Länder haben das längst. Wir müssen dahin kommen.“ Innerhalb der Bundesagentur für Arbeit wolle sie den Datenfluss verbessern. „Mehr Daten laufen lassen statt Menschen“, lautet ihr Motto. Ein Beispiel dafür sei das antragslose Kindergeld. Stichwort: „One only.“
Fachkräftemangel als Herausforderung
Hintergrund ihres Engagements ist auch die demografische Entwicklung: Die Zahl der Schulabgänger sinkt, der Arbeitsmarkt braucht Fachkräfte. „Sieben Millionen Menschen fehlen bis 2035“, sagt Nahles. Und das liegt nicht daran, dass niemand mehr arbeiten wolle in Deutschland. „Alle sind faul hier? Nein. Wir sind nur weniger.“
Gerade deshalb müsse verhindert werden, dass junge Menschen im Übergang verloren gehen. Das Heidenheimer Modell leiste dazu einen wichtigen Beitrag, so Nahles. Ein Verbesserungsvorschlag kommt dennoch: Man könne Eltern stärker einbinden. „Ein Familientag wäre ein nächster Schritt – denn Eltern spielen eine wichtige Rolle bei der Berufsorientierung.“ Die JBA in Heidenheim sei aber schon jetzt weiter als viele andere Standorte, lobt Nahles. „Hier ist in kurzer Zeit sehr viel richtig gemacht worden.“
Zum Abschied wurde es sportlich: Mit Blick auf den Bundesligisten FCH sagte die bekennende Lautern-Anhängerin schmunzelnd: „Ich habe als Fan des 1. FC Kaiserslautern schwere Zeiten hinter mir. Vom Deutschen Meister bis zum Verein, der nicht einmal mehr im SWR gesendet wird. Ich wünsche dem 1. FC Heidenheim und den Fans, dass ihnen das erspart bleibt.“
Von SPD-Politikerin zur Agenturchefin
Andrea Nahles ist seit 2022 Vorstandvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit. Davor war sie lange Jahre eine prominente SPD-Politikerin: Arbeitsministerin, Bundestagsabgeordnete, SPD-Parteivorsitzende, Generalsekretärin und Fraktionschefin. Seit ihrem Wechsel an die Spitze der BA ist sie nicht mehr parteipolitisch aktiv, sondern konzentriert sich auf arbeitsmarktpolitische Steuerung und Modernisierung der Bundesagentur.