„Sie lügen und betrügen“

Tagebücher des Steinheimers Karl Maier aus der NS-Zeit werden Schulstoff

Im vergangenen Jahr wurden die Tagebücher des Steinheimers Karl Maier unter dem Titel „Sie lügen und betrügen“ publiziert. Aus den Gedanken eines einfachen Mannes über die NS-Diktatur sind jetzt Lehrmaterialien für die Oberstufe an Gymnasien entstanden.

Als klar war, dass aus der Transkription der Tagebücher des Steinheimers Karl Maier ein Buch werden sollte, war für Karl-Heinz Kocka auch klar, dass es Material für den Schulunterricht sein muss. Er hatte über Monate die Tagebucheinträge des Arbeiters aus den Jahren 1934 bis 1945 bearbeitet und von Sütterlin in die heutige Schrift übertragen. Er kennt sie wohl wie kein Zweiter. „Es hat mich emotional sehr ergriffen und ich wollte das auch den jungen Leuten weitergeben.“

Auch Dr. Michael Hoffmann hat sich in den vergangenen Monaten sehr intensiv mit dem entstandenen Buch „Sie lügen und betrügen“ beschäftigt: An ihm war es, daraus Material für den Schulunterricht zu machen. Er ist selbst Lehrer und gehört dem Kompetenzzentrum für Geschichtliche Landeskunde im Unterricht beim Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) an. „Das Buch ist didaktisch wirklich beachtlich“, sagt Hoffmann. „Man hat nun plötzlich die Stimme eines einfachen Arbeiters aus dieser Zeit. Eine Quelle wie diese bekommt man sonst kaum zu fassen. Das ist einzigartig.“

Eine Quelle wie diese bekommt man sonst kaum zu fassen. Das ist einzigartig.

Dr. Michael Hoffmann, Kompetenzzentrum für Geschichtliche Landeskunde im Unterricht

Etwa ein halbes Jahr hat es gedauert, bis aus dem Buch etliche Arbeitsblätter entstanden sind, die seit Juni auf dem Server des ZSL zum Download für Lehrkräfte der Oberstufe am Gymnasium zur Verfügung stehen. Der Aufbau ist immer ähnlich: eine kurze Einführung, ein Textauszug aus den Tagebüchern und dazu eine Handvoll Aufgaben und Fragen. Natürlich kann nicht jeder aus jedem Buch Unterrichtsmaterialien machen. „Das Material muss sich in den Lehrplan einfügen“, erklärt Hoffmann. „Die NS-Zeit nimmt in der Oberstufe viel Raum ein. Teil des Lehrplans sind die Strukturen unter dem NS-Regime und dazu gehören auch Handlungsmöglichkeiten von Menschen im Alltag.“

Der Steinheimer Karl Maier (1881 - 1963). privat

Nun handelte Karl Maier nicht auf die Art und Weise, wie es Georg Elser tat, der nur wenige Kilometer entfernt in Königsbronn lebte und ein Attentat auf Adolf Hitler verübte. Aber Karl Maier dachte frei, dachte äußerst kritisch und vor allem vorausschauend: Bereits 1934 war dem einfachen Mann aus Steinheim klar, wohin das alles führen würde. Damit bricht er laut Hoffmann nochmal ein typisches Vorurteil, das auch viele seiner Schülerinnen und Schüler heute noch haben: ",Die waren halt alle doof damals.' Karl Maier war aber alles andere als doof.“

Von Weimarer Republik über Goebbels bis zum Judentum

Auch bei der Auswahl der Textstellen, die im Unterricht behandelt werden können, achtete Hoffmann darauf, dass sie sich am Lehrplan orientieren: Karl Maier referiert über die Gründe für den Untergang der Weimarar Republik. Karl Maier schreibt über die Machtergreifung und darüber, wie sie sich vor Ort in Steinheim niederschlägt. Karl Maier reflektiert die große Zustimmung für den Nationalsozialismus in den Jahren 1934 und 1935. Karl Maier zerpflückt die Propaganda eines Joseph Goebbels und er gibt Einblicke in sein Verhältnis zum Judentum. „An dieser Stelle sollten Schülerinnen und Schüler nicht allein gelassen werden“, mahnt Hoffmann. Denn die etwas despektierliche Art und Weise, wie Karl Maier damals über deutsche Juden schrieb, spiegelt die Zeit wider, in der er lebte, wäre heutzutage aber alles andere als angemessen.

Karl-Heinz Kocka bei der Buchvorstellung im November 2024. Rudi Penk

Einzelne Lehrerinnen und Lehrer haben Arbeitsblätter zu Karl Maier bereits im Unterricht verwendet. Die Rückmeldungen seien bislang sehr positiv gewesen, sagt Hoffmann. „Es kommt immer gut an, wenn man sich im Unterricht an Einzelpersonen orientieren kann.“ Dabei soll das Material lediglich eine mögliche Ergänzung sein, Hoffmann weiß, wie groß der Druck sein kann, den Lehrplan im Alltag umzusetzen.

Karl-Heinz Kocka bietet Besuche an

Karl-Heinz Kocka jedenfalls ist nach wie vor anzumerken, wie sehr ihm Karl Maier und das Buch ans Herz gewachsen sind und wie glücklich er darüber ist, dass beide nun auch in den Schulunterricht einfließen werden. Er würde sich auch bereit erklären, in einzelne Klassen zu kommen, um mit den Schülerinnen und Schülern beispielsweise über die Hintergründe und über die Entdeckung der Tagebücher zu sprechen. Sollten Lehrkräfte daran Interesse haben, dürfen Sie sich direkt mit ihm in Verbindung setzen: Karl-Heinz.Kocka@t-online.de.

Wer war Karl Maier?

Karl Maier wurde im Jahr 1881 geboren, besuchte sieben Jahre die Volksschule und arbeitete zunächst als Weber und Landwirt. 1910 heiratete er seine Frau Barbara und bekam mit ihr zehn Kinder, von denen aber drei sehr früh starben. Von 1916 bis 1918 erlebte der Steinheimer die Schrecken des Krieges selbst an der Front in Frankreich. Nach seiner Rückkehr arbeitete er bei der WCM in Heidenheim und lief jeden Tag die neun Kilometer von Steinheim zu seiner Arbeit.

Karl Maier stand der Sozialdemokratie nahe und machte seinem Herzen in seinen Tagebüchern Luft, als das Dritte Reich immer mehr in seinen Alltag einzugreifen begann.

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