Wie umgehen mit einem Problem, das im Falle eines Flugzeugabsturzes oder Bombenanschlages sehr viele Menschenleben kosten und große Landstriche auf lange Zeit unbewohnbar machen könnte? Für das sich in der breiten Öffentlichkeit momentan aber kaum jemand zu interessieren scheint? Dessen – auch finanzielle – Auswirkungen noch Generationen spüren werden? Und das im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung mit keinem Wort erwähnt wird: der Lagerung des Atommülls nämlich?
Nur zehn Kilometer Luftlinie vom größten deutschen Zwischenlager im ehemaligen AKW Gundremmingen entfernt – in der Gemeindehalle von Sontheim an der Brenz – suchte man am Freitagabend vergangener Woche nach Antworten auf diese Fragen. Geladen hatten die Bürgerinitiative „Forum Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik e.V.“ und das „Bündnis Atommüll-Lager in Nordschwaben – Nein Danke e. V.“, in dem drei Landkreise mit insgesamt etwa 60 Kommunen organisiert sind.

„Wir wollen das Bewusstsein für die Gefahren der Atomenergie wachhalten“, sagte Forum-Vorstand Raimund Kamm zum Anliegen des Abends. Eingeladen hatte man sich dazu einen Referenten, der wohl wie kein Zweiter in Deutschland die politischen, sicherheitstechnischen, finanziellen und organisatorischen Aspekte der Lagerung des deutschen Atommülls kennt: Wolfram König. Der gebürtige Lübecker war von 2016 bis 2024 Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) und davor Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS).
Ebenso eingeladen hatte man die vier Bundestagsabgeordneten, die aufgrund ihres Wahlkreises eine besondere regionale Nähe zum thematischen „Stein des Anstoßes“ – dem Zwischenlager auf dem Gelände des ehemaligen AKW Gundremmingen – haben: Claudia Roth (Augsburg, Grüne), Alexander Engelhard (Neu-Ulm, CSU), Roderich Kiesewetter (Heidenheim, CDU) und Christoph Schmid (Donau-Ries, SPD). Gekommen war kein einziger, die aktuelle Sitzungswoche des Bundestages hatte deren Teilnahmen verhindert.

Das Thema des Abends umschrieb sehr gut das wohl wichtigste Anliegen der Veranstalter: „Schneller Endlagern!“. Eine Forderung, die im Spätsommer 2024 eine dramatische Zuspitzung erfahren hatte, als bekannt wurde, dass sich die Festlegung auf den Standort eines Endlagers von 2031 auf das Jahr 2074 verzögern wird. Die Bürgerinitiative fordert deshalb die Erhöhung der Sicherheit der oberirdischen Zwischenlagerung und deren möglichst schnelles Ende.
Euphorie ist der Ernüchterung gewichen
Die Hinterlassenschaften aus 62 Jahren Nutzung der Kernenergie nannte Wolfram König eine Hypothek, deren Entsorgung bei unverändertem Vorgehen noch mindestens 90 Jahre dauern könnte. In sechs Jahrzehnten sei die anfängliche Euphorie ob der neuen Technologie allmählich einer Ernüchterung gewichen, zu der auch die Frage des Umgangs mit dem Atommüll gehörte. Dabei seien es insbesondere die in 1750 Castoren gelagerten hoch radioaktiven Abfälle, deren Zwischen- und Endlagerung die größten Sorgen bereitet.
Der Atomausstieg ist erst dann vollzogen, wenn alle Hinterlassenschaften aus der Nutzung der Kernenergie beseitigt sind.
Wolfram König, Präsident a. D. des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung
Er hoffe, so König, dass sich nicht noch die Generation unserer Urenkel mit der Entsorgung des Atommülls befassen müsse, „wir dürfen nicht zugucken, dass es 90 Jahre dauert“. Er forderte deshalb, dass Ideen entwickelt werden, „wie wir schneller zu einem Ergebnis kommen“. Bei jährlichen Kosten von 500 Millionen Euro allein für die Zwischenlagerung wirkt sich jedes Jahr Verzögerung fatal auf den Finanzstock des „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ aus, von dessen Geldern bekanntlich auch das Atommüllendlager finanziert werden soll.
Doppelfunktion des Bundesumweltministeriums
Als großes Problem sieht Wolfram König mittlerweile auch die Doppelfunktion des Bundesumweltministeriums, das auch für nukleare Sicherheit zuständig ist. Dieses sei die Fach- und Rechtsaufsicht des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung und betreibe gleichzeitig die Unternehmenssteuerung der Bundesgesellschaft für Endlagerung und der Gesellschaft für Zwischenlagerung.
König betonte zudem die Wichtigkeit der Arbeit der Bürgerinitiative, die den Prozess der Zwischen- und Endlagerung seit Jahrzehnten begleitet. Es brauche die Zivilgesellschaft, um „immer wieder Druck auf diejenigen auszuüben, die die Entscheidungen treffen“. Denn ohne Kritik wäre auch seine Tätigkeit als Präsident „nicht so gut gelaufen“, sagte er. Der Atomausstieg sei erst dann vollzogen, „wenn alle Hinterlassenschaften aus der Nutzung der Kernenergie beseitigt sind“. In Politik und Gesellschaft herrsche das große Missverständnis vor, die Abschaltung der Reaktoren mit dem Atomausstieg gleichsetzen zu können.
Größtes Zwischenlager Deutschlands
Momentan wird in Deutschland an etwa drei Dutzend Standorten quer über das Land verteilt radioaktiv strahlendes Material gelagert. Das Zwischenlager in Gundremmingen – 10 Kilometer Luftlinie von Sontheim an der Brenz gelegen – ist dabei das größte in Deutschland. Ende April dieses Jahres waren dort 142 Castoren mit 1368 Tonnen hoch radioaktiven Atommülls abgestellt, darunter fast 14 Tonnen des hochgiftigen und radioaktiv strahlenden Plutoniums.