Härtsfeld-Försterin im Interview

Revierleiterin Beatrix Diedering über den Zustand des Waldes, Klimawandel und was sich ändern muss

Sie kennt den Härtsfelder Wald wie ihre Westentasche: Beatrix Diedering ist Revierleiterin des Nattheimer und Dischinger Forstes. Im Interview spricht sie über den Zustand des Waldes, über Auswirkungen des Klimawandels – und darüber, wie sich der Wald in Zukunft verändern muss.

Der Wald ist grüne Lunge, Erholungsgebiet, Lebensraum. Er ist Wirtschaftszweig und ein ganz eigenes, ausgeklügeltes Ökosystem. Wie geht es unserem Wald, welche Auswirkungen hat die Erderwärmung auf unsere Bäume und wie kann der Wald dem Klimawandel trotzen? Welche Spannungen ergeben sich zwischen Forstwirtschaft und Naturschutz – und wie steht eine Försterin zu Windrädern? Beatrix Diedering gibt Antworten.

Frau Diedering, Sie sind seit 2006 für den Dischinger und seit 2017 zudem für den Nattheimer Forst als Revierleiterin zuständig. Sie kennen den Wald in- und auswendig. Sagen Sie uns: Wie geht es unserem Wald?

Auf den ersten Blick eigentlich ganz gut. Er steht gut da. Aber der Wald hat seine Herausforderungen, ganz klar. Wir haben ein relativ großes Stickstoffproblem. Der Stickstoff entsteht durch Abgase, durch Luftverschmutzungen. Die Stickstoffeinträge sind hoch, in der Atmosphäre und somit auch im Wald. Und das macht den Bäumen zum Teil sehr zu schaffen. Denn es bringt sie in ein Ungleichgewicht.

Wie zeigt sich das?

Die Bäume wachsen eigentlich wie der Teufel, die Probleme sind andere. Das zeigt sich etwa in nicht ganz so schönen Nadeln oder eben in einer Anfälligkeit für bestimmte Insekten. Letztendlich kann man im Wald schlecht ein Problem ausmachen, es ist ein ganzer Komplex, der zu betrachten ist.

Trockenheit, Hitzewellen und Starkregen: Lassen Sie uns über den Klimawandel sprechen. Kann man im Wald bereits konkrete Auswirkungen sehen?

Ja, eindeutig. Wir sehen ganz klar, wie manche Baumarten mit den klimatischen Veränderungen kämpfen. Nehmen wir die Buche. Sie kommt mit den extremen Temperaturen und der deutlich stärkeren Sonneneinstrahlung nicht klar, sie bekommt regelrecht einen Sonnenbrand, trocknet nach und nach aus. Die Buche wird neben der Fichte sicherlich eine der Verliererinnen des Klimawandels sein. Ich möchte aber betonen, im Wald sprechen wir immer von langen Zeitfenstern.

Die Buche wird neben der Fichte eine der Verliererinnen des Klimawandels sein.

Beatrix Diedering

In seltenen Fällen gibt es eine ultimative Lösung, dennoch brauchen wir Ansätze: Was muss sich ändern im Wald oder wie muss der Wald sich verändern?

Wir brauchen einen ganz anderen Baumartenmix im Wald. Wir brauchen eine kunterbunte Mischung. So wie der Wald heute aussieht, wird er in 100 Jahren nicht mehr aussehen können. Wir brauchen ein Umdenken.

Und der Baummix kannʼs richten?

Wir wissen einfach nicht, was die Zukunft bringt, welche Pilze oder Schädlinge hier noch aufschlagen werden. Keiner weiß, welche Veränderungen sich noch ergeben werden. Aktuell wissen wir: Es wird insgesamt wärmer, feuchter. Wir wissen auch, dass sich Wetterlagen länger halten. Das heißt, wenn es warm ist, ist es länger warm, wenn es regnet, regnet es und wenn es trocken ist, ist es trocken. Alles wird extremer. Deshalb: Wenn wir einen möglichst großen Mix im Wald haben, können wir auf mehrere Karten setzen. Der Wald wird so stabiler, widerstandsfähiger. Wenn eine Baumart ausfällt, gibt es noch immer eine von den anderen Bäumen getragene Waldstruktur. Wenn man den Wald rein betriebswirtschaftlich betrachtet, ist es nie clever, nur auf ein Pferd zu setzen. Und ökologisch gilt das übrigens auch.

Welche Bäume können es denn gut aufnehmen mit dem Klimawandel?

Über die Dauer werden wir uns eher an südlicheren Bäumen orientieren müssen. Doch auch heimische Baumarten, die aktuell noch eher selten in den Wäldern der Ostalb zu finden sind, werden stark an Bedeutung gewinnen. Zum Beispiel Hainbuchen, Spitzahorn und Elsbeere. Aber man muss auch immer die Böden betrachten. Nicht alles wächst überall. In Nattheim haben wir tolle tiefgründige lehmhaltige Böden, hier wächst viel. In Dischingen aber ist sehr toniger Boden, da hat es der ein oder andere Baum schwer und ich bin bei der Auswahl eingeschränkt.

Man kann sich fragen: Ist an allem der Klimawandel schuld?

Nicht an allem ist der Klimawandel schuld, klar. Wenn man beispielsweise einen Käferbefall betrachtet, muss einfach schnell seitens der Forstwirte gehandelt werden. Das braucht kluges Management und vorausschauendes Arbeiten. Da hat man vielleicht in der Vergangenheit Fehler gemacht. Vielleicht war man hier und da mit dem falschen waldbaulichen Konzept unterwegs. Für uns, für Baden-Württemberg, kann ich sagen: Wir fahren mit unserem Konzept des sogenannten naturnahen Waldbaus seit bald 40 Jahren vergleichsweise ganz gut.

Nicht an allem ist der Klimawandel schuld, klar.

Wir kennen Bilder von verheerenden Waldbränden. Kommt diese Gefahr auch auf uns zu?

Nein, ich denke, aktuell besteht hier keine große Gefahr. Wir haben keine großen Nadelholzflächen und um eine Buche zu entzünden, braucht man schon eher Brandbeschleuniger. Wir haben selbst in längeren Trockenperioden in der Regel nicht die ausgetrockneten Böden und Flächen. Klar, offenes Feuer oder Gezündel darf nicht sein. Bei entsprechendem Wetter schließen wir daher die Grillstellen und weisen auf Gefahren hin.

Wald ist Lebensraum und Erholungsort, ein eigenes Ökosystem. Besitzer wollen aber auch wirtschaftliche Erfolge erzielen. Wie gehen Sie mit diesem Spannungsfeld um?

Das ist ein gewisser Spagat, ja. Aber wir bewegen uns hier zum Glück noch im ländlichen Raum, auch wenn man merkt, dass Nattheim deutlich urbaner ist. Klar, ich hatte auch schon Anrufer, die wissen wollten, ob ich auch wirklich nur kranke Bäume fälle, solche, die ja ohnehin schon am Sterben sind.

Und?

Na, im Gegenteil. Die kranken Bäume, die toten Bäume lassen wir häufig stehen. Das sind dann die Totholzhabitate oder -refugien. Das gehört den Tieren, dem Specht, den Pilzen und Insekten. Diese Refugien schaffen wir ganz bewusst.

Da sind wir mitten im vielzitierten Totholzkonzept. So mancher versteht das nicht.

Der Wald ist ein superkomplexes System. Wir Menschen kratzen nach wie vor nur an der Oberfläche. Wir haben erkannt, dass es ein Problem ist für das Gesamtsystem, wenn wir alles unter den Pflug nehmen und bewirtschaften. Dabei bleiben einfach viele Arten auf der Strecke. Und an jeder Art hängen wieder andere Arten. Es ist ein komplexes Netz und ich kann nicht anfangen und sämtliche Fäden durchschneiden und mich am Ende wundern, dass es nicht mehr funktioniert. Wir müssen versuchen, das Netz so komplett zu halten, dass möglichst alle – vom kleinsten Käferchen bis zum Menschen – glücklich damit sind. Deshalb lassen wir sogenannte Habitatbaumgruppen stehen, größere Bereiche sind die sogenannten Waldrefugien. Die lassen wir bei der Nutzung außen vor und überlassen sie sich selbst.

Der Wald ist ein superkomplexes System. Wir Menschen kratzen nach wie vor nur an der Oberfläche.

Wie legen Sie das fest? Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?

Alle zehn Jahre machen wir Inventur und einen umfassenden Plan. Ich breche das auf Jahrespläne runter. Wie viel Holz kommt raus, was müssen wir pflegen, neu pflanzen, was überlassen wir sich selbst? So versuchen wir das große Ganze im Blick zu haben. Nach fünf Jahren schauen wir auf die Entwicklung und hinterfragen unser Handeln. Eckpunkte wie Totholzhabitate sind erstmal ein freiwilliges Eigentümerziel. Wenn sich der Waldeigentümer aber einmal dafür entschieden hat, das Alt- und Totholzkonzept anzuwenden, findet auch das selbstverständlich in den Plänen Umsetzung.

Abholzungen für Baulandausweisungen etwa sind immer wieder groß in der Kritik. Dieses Thema wird uns sicher noch weiter beschäftigen. Blutet Ihnen da das Herz?

Auf jeden Fall. Meiner Meinung nach gehen wir Menschen viel zu gedankenlos mit der Ressource Boden um. Wir haben nur diesen einen Boden und er ist endlich. Wir sind so furchtbar unkreativ in der Nutzung, weil wir unsere Flächen immer mit nur einer Funktion bebuchen. Wir müssten dazu übergehen, die Fläche mehrfach zu nutzen. Was ich als Försterin gut finde ist, dass das Waldgesetz sehr genau vorschreibt, dass jeder für andere Zwecke genutzte Quadratmeter Wald andernorts wieder aufzuforsten ist.

Die Energiewende ist ein bestimmendes Thema unserer Zeit. In welchem Konflikt stehen Windräder zum Naturschutz im Wald?

Also ich habe Windkraft im Revier – und diese Windkraftanlagen finanzieren den Waldumbau weg von der Fichte hin zum Laubmischwald. Es ist finanziell gesehen also nicht negativ. Pflege und Umbau kosten Geld.

Und wenn wir es ökologisch betrachten?

Klar, ökologisch betrachtet ist ein Windrad im Wald ein größerer Eingriff als auf einem Acker beispielsweise. Die Windräder werden jedoch immer höher, die Nabenhöhen gehen immer weiter weg von den Baumwipfeln, wo auch weniger Tiere unterwegs sind. Unbestritten ist, dass durch Rodungen Lebensraum wegfällt. Aber man kann auch wieder etwas entwickeln.

Revierförsterin in Nattheim und Dischingen: Beatrix Diedering. Foto: Rudi Penk

Anderes Thema: Der Wald ist noch immer eine Männerdomäne. Kommen Sie klar?

Ich komme sehr gut zurecht. Ich könnte mir nicht vorstellen, in einem reinen Frauenkollegium zu arbeiten. Und ich muss sagen: So langsam bricht die Männerdomäne auf, nach und nach kommt weiblicher Nachwuchs. Zudem, wenn ich entscheiden könnte, würde ich die Frau, die sich im Wald bewirbt auch direkt einstellen. Die will das. Die kämpft sich durch.

Sie machen viel in Sachen Waldpädagogik, wissen wir noch genug über unsere Wälder?

Da sehe ich die ganze Bandbreite, ganz ehrlich. Aber ich finde es nach wie vor wichtig und essenziell, unseren Kindern die Natur näher zu bringen. Das ist übrigens auch meine Aufgabe. Ich will nicht dieses Käseglockenprinzip, vielmehr sollten wir lernen, dass wir ein Teil der Natur sind und wir Auswirkungen haben oder den Unterschied machen können. Erst dann kann man ernsthaft und klug die Herausforderungen unserer Zeit betrachten. Denn auch in Zukunft brauchen wir Holz für ganz unterschiedliche Bedürfnisse.

So langsam bricht die Männerdomäne auf.

Zuletzt wurde der Wald in einer öffentlichen Diskussion als Klimakiller dargestellt. Bizarr, oder?

Absolut, da wurde eine Diskussion in eine völlig falsche Richtung geführt. Die Rechnung geht nicht auf. Denn es wurde argumentiert, dass die vielen in den letzten Jahren aufgrund von Krankheit, Stürmen oder Insektenbefall gefallenen Bäume sämtliches in ihnen gebundenes CO2 sofort freisetzten. Das stimmt so nicht. Ein Teil ist sicher in der Atmosphäre, aber der größere Teil ist nach wie vor gebunden in Holzmaterialien, in Möbel, in Häusern, Bauwerken, Böden und dergleichen. Fakt ist: Der Wald ist ein großer CO2-Speicher. Wir brauchen ihn und sollten ihn nicht mit solchen Diskussionen schlechtreden.

Beatrix Diedering ist Försterin in Nattheim und Dischingen

Beatrix Diedering ist 45 Jahre alt, verheiratet und Mutter zweier Kinder. Sie lebt in Syrgenstein. Geboren und aufgewachsen ist sie in Heilbronn. Hineingeboren in eine Jägersfamilie, hatte sie früh eine enge Bindung zum Wald. Nach dem Abitur entschloss sie sich für ein Studium der Forstwirtschaft. Seit 2006 ist sie beim Landkreis Heidenheim angestellt als Revierförsterin für Dischingen, seit 2017 kam die Zuständigkeit für Nattheim hinzu.

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