Vor einer Woche landete ein Teil der Familie Staub-García aus Königsbronn in Deutschland. Ein kurzer Besuch, um alles vor Ort zu klären, bevor sie wieder nach Mexiko zurückfliegen, dort haben sie in Morelia eine Wohnung. Für Stefan Staub und die fünfjährigen Zwillinge Julian und Sebastian ist die Zeit in Deutschland eine emotionale Ausnahmesituation. „Die Trennung ist jetzt schon nicht leicht“, sagt Stefan Staub. Denn für sie ist es das erste Mal, dass sie seit dem Unfall von Oliver getrennt sind.
Stabil, aber weiterhin abhängig
Der zweijährige Oliver erlitt bei einem Autounfall in Mexiko im April so schwere Verletzungen, dass er seitdem querschnittsgelähmt ist. Seitdem kämpft die Familie um jede einzelne Bewegung ihres Sohnes. Oliver ist derzeit stabil und wird weiterhin beatmet, erklärt Stefan Staub. Das Gerät ist auf 26 Atemzüge pro Minute eingestellt, doch oft atmet er gemeinsam mit dem Gerät und kommt so auf 38 oder 39 Atemzüge. „Er initiiert Atemzüge, hat aber noch nicht die Kraft für einen vollen Atemzug“, sagt der dreifache Vater.
Doch sie arbeiten daran, dass er bald wieder selbstständig atmen kann. Zudem wollen sie, dass die Halskrause, die Olivers Kopf stützt, bald nicht mehr benötigt wird. Momentan schafft er es bereits acht Stunden am Tag ohne Halskrause. Staub hofft, dass er in ein paar Wochen den ganzen Tag ohne auskommt und sie nur noch beim Aufrichten in ein spezielles Gestell oder im Rollstuhl verwenden wird. „Es gibt viele Nahziele, die wir erreichen wollen, und daran arbeiten wir“, sagt Staub.
Therapie als spielerisches Training
Olivers Training ist spielerisch gestaltet. In einem speziellen Holzgestell wird seine Nacken- und Rückenmuskulatur trainiert. Kopf nach links, Kopf nach rechts – und er muss versuchen, ihn alleine zurückzubringen. „Für ihn ist das jetzt ein Spiel. Er muss selbst aktiv werden, um den Kopf zurückzubringen“, erklärt Staub.

Besonders viel Hoffnung setzt die Familie aus Königsbronn auf die bevorstehende Stammzellentherapie in den USA. Das Programm ist FDA-zugelassen, das bedeutet, dass es von der U. S. Food and Drug Administration offiziell geprüft und genehmigt ist. Oliver kann als weltweit erstes Kind daran teilnehmen. Ziel der Behandlung ist es, das Rückenmark gezielt zu therapieren und seine Chancen auf Beweglichkeit und Selbstständigkeit zu erhöhen. Auch jetzt zeigt der zweijährige Oliver bereits bewusste Bewegungen, auch wenn viele noch unkontrolliert bleiben.
Rund-um-die-Uhr-Betreuung
Aktuell kümmern sich zwei Krankenpfleger rund um die Uhr um Oliver. Therapeuten kommen täglich ins Haus, und auch die Ärzte besuchen die Familie vor Ort. Ein Besuch im Rehabilitationszentrum CRIT in Morelia ist nur alle zwei Wochen notwendig. Das Zuhause in Mexiko ist klein, aber erfüllt den Zweck: In ihm befinden sich Olivers Zimmer mit Beistellbett für ein Elternteil, offene Wohnbereiche und zwei Schlafzimmer im oberen Stock. Eine Notstromversorgung schützt das Beatmungsgerät vor Stromausfällen, die in Mexiko häufig vorkommen.
Die intensive Betreuung bringt jedoch nicht nur körperliche und emotionale Herausforderungen mit sich, sondern auch mediale Aufmerksamkeit. Als ein RTL-Team aus Deutschland für einen Bericht anreiste, wollten die Reporter, dass Laura und Stefan Staub-García mit den Kindern am Tisch sitzen, während Oliver nebenan in seinem Zimmer war. Doch die Eltern lehnten ab: „Das entspricht nicht mehr der Realität. Einer ist immer bei Oliver, deshalb wird es nur wegen des Fernsehens auch nicht passieren.“ Auch die Idee, zum Unfallort zurückzugehen, wiesen sie zurück. Staub betont: „Ich bin jeden Tag dort, ich bin jede Nacht dort. Ich brauche dort nicht physisch sein, damit man von der Seite die Kamera draufhält und man sieht, wie mir eine Träne herunterläuft.“
Der Abschied vom Leben in Deutschland
Die Familie Staub-García hat ihr Haus in Königsbronn verkauft – eine Entscheidung, die alles andere als leicht fiel. „Es ist schon hart. Eigentlich unvorstellbar, weil wir das Haus im April verlassen hatten, als es noch voller Leben war“, sagt Staub. Besonders für die Zwillinge Julian und Sebastian war es schwer zu verstehen. Als sie zusammen mit ihrem Vater das Haus zum letzten Mal besuchten, suchten sie wie selbstverständlich nach ihren Spielsachen. Als sie merkten, dass vieles nicht mehr da war, fragten sie, was passiert sei. Ihr Vater erklärte, dass das Haus nun jemand anderem gehört. Die Fünfjährigen wollten dies zunächst nicht akzeptieren. „Das ist unser Haus“, sagten sie, so Staub. „Aber ich glaube, auch wenn sie es nicht zu 100 Prozent verstehen, brauchen sie das, um den Kreis zu schließen und zu wissen: ‚Okay, das endet jetzt.‘“

Trotz der hohen Ausgaben für Pfleger und Therapien betont der Familienvater, dass die Kosten in Mexiko immer noch niedriger seien, als sie in Deutschland wären. Die Familie erklärt, dass das Geld aus dem Hausverkauf komplett zur Seite gelegt wird. Ihre Hoffnung ist, spätestens in zwei bis drei Jahren nach Deutschland zurückkehren zu können. Die Entscheidung, zunächst in Mexiko zu bleiben, fiel überwiegend wegen der günstigeren und rund um die Uhr verfügbaren Krankenpfleger und Therapeuten.
Stefan Staub wird vor seiner Abreise einen Aufhebungsvertrag bei Hartmann unterschreiben, wo er 26 Jahre lang gearbeitet hatte, um sich voll auf die Betreuung von Oliver konzentrieren zu können und keine Last für sein Team zu sein. „Jetzt arbeiten wir mit Oliver. Das ist unser Job. Alles andere kommt danach“, sagt Stefan Staub.
Blick nach vorn
Die kommenden Monate sind entscheidend: Stammzellentherapie, Abbau der Halskrause, intensives Training – alles mit dem Ziel, Olivers Unabhängigkeit zu erhöhen. Noch ist er weit entfernt vom Laufen, doch die Fortschritte der letzten Monate geben Hoffnung. Staub sagt seinem jüngsten Sohn immer, dass sie beim Heidenheimer Stadtlauf mal zusammen einen Marathon laufen werden und dass er bald wieder mit Lego spielen kann. „Er versteht ja gar nicht, was er hat. Eigentlich hat er geschlafen und ist in einem ganz anderen Zustand aufgewacht. Er weiß ja nicht, dass so eine Verletzung eigentlich unheilbar ist.“ Für die Familie Staub-García ist jeder kleine Schritt ein Schritt in Richtung Zukunft. Ein Schritt, für den sie alles auf sich nehmen – zwischen Mexiko und Deutschland, zwischen Klinik und Familienalltag.
Was ist Stammzellentherapie?
Die regenerative Medizin nutzt Stammzellen, um geschädigtes Gewebe von innen heraus zu reparieren. Stammzellen können beschädigte Zellen ersetzen, Entzündungen reduzieren und die Heilung fördern. Bei Querschnittslähmung sollen sie die Regeneration des Rückenmarks unterstützen. Die Stammzellen wandern zu den verletzten Bereichen des Rückenmarks und interagieren mit den Zellen vor Ort. Studien zeigen, dass selbst Jahre nach einer Verletzung Verbesserungen möglich sind. Manche Patienten haben nach der Behandlung motorische und sensorische Funktionen zurückerlangt.