Fahrlässige Tötung

Senior in Hermaringen an Kartoffelbrei erstickt: Heidenheimer Amtsgericht klärt Schuld der Pflegerin

Eine 38-jährige Pflegekraft aus Hermaringen muss sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten, nachdem ein 85-jähriger Heimbewohner an einem Verschlucken gestorben war. Doch die Angeklagte schweigt – wie das Gericht entschied:

Der Alltag in einem Pflegeheim verläuft oft nach festen Abläufen. Auch am 27. Juli 2023, gegen 12 Uhr, beginnt die Mittagsversorgung in einer Einrichtung in Hermaringen wie gewohnt. Eine Pflegefachkraft reicht einem 85-jährigen Bewohner portionsweise Kartoffelbrei. Was zunächst normal wirkt, entwickelt sich binnen weniger Minuten zu einem medizinischen Notfall. Der Mann verschluckt sich. Die Pflegekraft reagiert, klopft ihm auf den Rücken, entfernt Reste aus dem Mund und setzt die Fütterung fort. Um 12.26 Uhr erstickt der Mann, der alarmierte Notarzt kann ihn trotz Reanimationsversuchen nicht retten.

Anklage wegen fahrlässiger Tötung

Vor dem Heidenheimer Amtsgericht muss sich die 38-jährige Pflegerin nun verantworten. Es ist bereits die zweite Verhandlung in dem komplexen Fall, vor Gericht macht die Angeklagte keine Angaben zur Sache.

Die Staatsanwaltschaft wirft der Frau vor, die lebensgefährliche Situation nicht richtig eingeschätzt zu haben. Sie habe erkennen müssen, dass weiteres Füttern ein hohes Risiko birgt. „Er ist gestorben, weil er von Ihnen zu Tode gestopft wurde“, sagt Richter Dr. Christoph Edler bei der Urteilsbegründung. Der Speisebrei gelangte in die Atemwege des Seniors, ein Erstickungsvorgang setzte ein.

Polizei und Kripo rekonstruieren die Abläufe

Mehrere Polizeibeamte schildern vor Gericht ihre Ermittlungsarbeit. Ein Polizeihauptmeister aus Giengen berichtet, dass die Polizei gerufen wird, wenn das Rettungspersonal feststellt, dass es sich um keinen normalen Sachverhalt handelt. Eine Kriminaloberkommissarin aus Ulm schildert, dass sie die Heimunterlagen gelesen hatte: In diesen wurde berichtet, dass nach dem Klopfen eine kurze Pause gemacht wurde, dann wurde weiter gefüttert und kurz danach trat die Bewusstlosigkeit ein.

Er ist gestorben, weil er von Ihnen zu Tode gestopft wurde.

Richter Dr. Christoph Edler

Ein anonymer Anruf bei der Polizei lenkte die Ermittlungen in eine neue Richtung. Eine Anruferin, vermutet wird eine Mitarbeiterin des Pflegeheims, spricht von problematischen Abläufen in der Einrichtung. Bewohner würden „in menschenunwürdiger Weise“ zur Nahrungsaufnahme gezwungen – mit dem Ziel, Gewichtsabnahmen zu vermeiden. Die Einrichtungsleiterin, die bei der ersten Verhandlung nicht vor Ort sein konnte, nahm an der jetzigen Verhandlung teil. Sie berichtet, sie selbst habe keinerlei Kontakt zum Verstorbenen gehabt, ihr wurde nur im Nachhinein geschildert, was passiert sei, aber nicht im Detail. Zu den internen Regelungen der Einrichtung kann sie keine Angaben machen.

Ein Einsatz, der im Gedächtnis bleibt

Der Notarzt beschreibt den Vorfall als außergewöhnlich belastend: Auf seinem Meldegerät erschien das Einsatzstichwort „Aspiration“. Vor Ort bot sich ein einprägsames Bild: Auf dem Boden neben dem Patienten befand sich eine erhebliche Menge Erbrochenes, auch der Mundraum war stark verschmutzt. Um überhaupt eine Beatmung einleiten zu können, musste der Notarzt zunächst absaugen.

Das rechtsmedizinische Gutachten bestätigt die tragische Vermutung: Der 85-Jährige starb an einem akuten Atemversagen infolge einer Verlegung der Atemwege durch Speisebrei, ein klassischer Erstickungsvorgang. Hinweise auf eine neurologisch bedingte Schluckstörung lagen nicht vor. Die pflegefachliche Gutachterin kritisiert das angewandte Klopfen auf den Rücken als nicht fachgerecht. Vielmehr müsse eine Pflegekraft in der Lage sein, das Risiko eines erneuten Verschluckens korrekt einzuschätzen und im Zweifelsfall die Nahrungszufuhr umgehend beenden. Eine Fortsetzung der Fütterung nach einem solchen Vorfall sei aus pflegerischer Sicht nicht vertretbar.

Zwischen Verantwortung und Strafmaß

Die Angeklagte ist zum Zeitpunkt der Verhandlung vollzeitbeschäftigt, lebt mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern und ist bislang nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, grob fahrlässig gehandelt zu haben: Sie habe den pflegebedürftigen Mann falsch gefüttert und trotz erkennbarer Schluckprobleme nicht aufgehört, Nahrung zu verabreichen – mit tödlichen Folgen. Deshalb plädiert sie auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung sowie eine zusätzliche Geldstrafe. Ein Geständnis liege nicht vor, dies müsse bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.

Die Verteidigung sieht hingegen keine strafrechtlich relevante Schuld bei ihrer Mandantin. Niemand könne im Nachhinein nachvollziehen, wie sich die Situation tatsächlich dargestellt habe – ein Freispruch sei deshalb gerechtfertigt. Das Gericht folgt dieser Einschätzung nicht. Die Pflegekraft habe, so der Richter, weiter gefüttert, obwohl sie erkennen musste, dass der Mann in akuter Gefahr war. Das Amtsgericht spricht die 38-Jährige der fahrlässigen Tötung schuldig und verhängt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, zur Bewährung ausgesetzt. Zudem muss die Frau ihre Verfahrenskosten selbst tragen und 3500 Euro an eine gemeinnützige Organisation zahlen.

Was versteht man unter fahrlässige Tötung?

Fahrlässige Tötung liegt vor, wenn jemand durch eine Fahrlässigkeit den Tod eines anderen Menschen verursacht, ohne dies beabsichtigt zu haben. Juristisch ist sie in Paragraf 222 des Strafgesetzbuchs (StGB) geregelt. Voraussetzung: Die handelnde Person hätte den Tod bei pflichtgemäßem Verhalten vorhersehen und vermeiden können. Typische Fälle sind etwa tödliche Verkehrsunfälle durch Unachtsamkeit.

Die Strafe reicht von Geldstrafe bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Hierbei geht es nicht um Absicht, sondern um mangelnde Sorgfalt – das macht die Abgrenzung zu anderen Delikten wie Totschlag entscheidend.

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