Hilfe im Schulalltag

Was Schulsozialarbeit in Herbrechtingen leistet und warum sie immer wichtiger wird

Leistungsdruck, soziale Spannungen, psychische Belastungen: Auch an Herbrechtinger Schulen wird die Schulsozialarbeit zunehmend zur Schlüsselstelle zwischen Kindern, Eltern und Lehrkräften. Was Fachkräfte leisten, wo Grenzen liegen, und warum sie oft die Einzigen sind, die noch durchdringen.

Ein Schüler kommt morgens mit verweinten Augen ins Klassenzimmer. Seit Tagen wirkt er abwesend. Im vertraulichen Gespräch mit der Schulsozialarbeiterin bricht er schließlich sein Schweigen: Mobbing, Angst, Versagensdruck. Situationen wie diese sind längst keine Ausnahme mehr, nicht in Herbrechtingen und nicht anderswo.

Überforderung, psychische Belastungen, soziale Unsicherheit: Schulen stehen bundesweit vor großen Herausforderungen. Auch in Herbrechtingen zeigt sich, wie wichtig die Rolle der Schulsozialarbeit geworden ist, und wie sehr sie sich in den letzten Jahren verändert hat. Während die einen Unterstützung suchen, weil sie gemobbt oder ausgegrenzt werden, brauchen andere Hilfe im Umgang mit Konflikten, Leistungsdruck oder familiären Problemen. „Die Schülerschaft verändert sich, die Themen werden vielschichtiger“, sagt Anja Krol, Diplom-Sozialpädagogin und Schulsozialarbeiterin am Buigen-Gymnasium.

Ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen

Allein im Schuljahr 2023/24 führte sie 56 Beratungen mit Schülerinnen und Schülern durch – hinzu kamen 27 Elterngespräche, 28 Lehrerberatungen und zahlreiche Gruppenangebote wie Klassenrat oder Präventionsworkshops. Auch an der Bibrisschule ist der Bedarf groß: Dort begleitete Hans-Jürgen Schilk im selben Zeitraum 62 Gespräche mit Schülerinnen und Schülern, 25 Elterngespräche und 32 Beratungen mit Lehrkräften. Über 70 präventive Klassenaktionen fanden an beiden Schulen statt – von Sozialtrainings über Mobbinginterventionen bis hin zu Workshops zur Medienkompetenz.

„Es geht um Depressionen, suizidale Gedanken, das ständige Vergleichen in sozialen Netzwerken“, erklärt Krol. Immer mehr Kinder trauten sich nicht, Hilfe zu holen, oder blieben gleich ganz zu Hause. Auch Lehrerinnen und Lehrer suchten zunehmend Rat – etwa bei der Gestaltung des Klassenklimas oder im Umgang mit überfordernden Situationen. Und Eltern wendeten sich mit Sorgen an die Schulsozialarbeit: „Manche Kinder wollen nicht mehr in die Schule gehen – aus Angst, aus Überforderung. Gleichzeitig trauen sich viele nicht, Hilfe einzufordern“, sagt Krol.

Von Bugys bis Bibris: Was Schulsozialarbeit alles leistet

Auch an der Bibrisschule zeigt sich, wie zentral die Rolle der Schulsozialarbeit inzwischen ist. Dort liegt ein Schwerpunkt auf Streitschlichtung und der Förderung sozialer Kompetenzen, sowohl in der Grund- als auch in der Sekundarstufe. „Viele Kinder und Jugendliche haben noch keine Strategien, um Konflikte gewaltfrei zu lösen“, berichtet Schilk. In sogenannten Tat-Ausgleich-Gesprächen helfe er, Einsicht zu schaffen und gemeinsam Lösungen zu finden. Neben Schülerinnen und Schülern suchten auch Lehrkräfte und Eltern regelmäßig Unterstützung, etwa bei schwierigen Erziehungssituationen oder auffälligem Verhalten im Unterricht.

Ein von Schilk beschriebener, entscheidender Wandel: Die Schule ist für viele Kinder längst mehr als ein Lernort. Seit der Umstellung der Bibrisschule auf eine Ganztagsschule sei die Schule zum Lebensraum geworden, so Schilk. Die Folge: mehr Zeit, mehr soziale Reibung – und damit mehr Bedarf an Begleitung. Hinzu kommen Herausforderungen wie Inklusion, soziale Ungleichheit oder psychische Belastungen nach der Corona-Pandemie. Schilk: „Jugendliche sind achtsamer in der Wahrnehmung ihrer psychischen Gesundheit und suchen Hilfe. Schulsozialarbeit ist für sie ein niederschwelliges, vertrauliches Angebot.“

Auch Migration und Fluktuation prägen den Schulalltag. Allein am Buigen-Gymnasium sind in den vergangenen drei Jahren 75 Schülerinnen und Schüler zugewandert, 46 werden derzeit betreut, viele von ihnen aus der Ukraine. „Kaum integriert, müssen manche schon wieder gehen. Das reißt Lücken – im Unterricht, aber auch in den Beziehungen“, sagt Krol. In solch dynamischen Klassenstrukturen sei es besonders wichtig, dass stabile Bezugspersonen präsent sind.

Digitale Welten, reale Folgen

Simon Zimmermann, Lehrer am Buigen-Gymnasium und Stadtrat (FWV), beobachtet diese Entwicklungen täglich und berichtet: „Oft höre ich – vor allem von älteren Generationen – den Satz: ‚Früher ging’s doch auch ohne Schulsozialarbeit!‘ Das mag sein. Aber Schule war früher auch eine ganz andere Welt.“

Auf eine Presseanfrage der HZ mit Bitte um Stellungnahme zum Thema nennt er drei Hauptgründe, warum Schulsozialarbeit heute unverzichtbar ist: Inklusion, Integration und der Umgang mit digitalen Medien.

„Früher gingen Kinder mit Einschränkungen auf spezielle Schulen, heute ist Inklusion selbstverständlich“, sagt Zimmermann. „Das ist ein enormer Fortschritt, aber leider hat sich der Betreuungsschlüssel nicht mitentwickelt“. Zahlreiche pädagogische Fragen und Spannungen blieben damit im Alltag ungelöst – es sei denn, die Schulsozialarbeit ist zur Stelle.

Auch Zimmermann kommt auf den gewachsenen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund zu sprechen: „Viele dieser Kinder kommen ohne Deutschkenntnisse, oft mit traumatischen Erlebnissen im Gepäck. Manche haben Angehörige im Krieg, stehen über soziale Medien mit ihnen in Kontakt.“ Eine psychische Belastung, die man kaum greifen könne. Zimmermann: „Wer soll das auffangen, wenn nicht die Schulsozialarbeit?“.

Hinzu kämen neue digitale Konfliktfelder: Smartphones, soziale Medien, WhatsApp-Gruppen. „Leider findet das Thema Medienkompetenz im klassischen Unterricht zu wenig Platz“, findet Zimmermann. Viele Eltern seien mit dieser Dynamik schlicht überfordert. Die Folge: „Die Konflikte landen bei uns in der Schule, und oft ist es die Schulsozialarbeit, die vermittelt, aufklärt und deeskaliert.“

Vertrauensvorschuss und Alltagshilfe

Dass Schulsozialarbeit wirkt, erleben die Beteiligten immer wieder: „Wenn ein Schüler sich entscheidet, doch wieder in die Schule zu kommen oder wenn sich das Klassenklima entspannt, dann weiß ich, dass unsere Arbeit etwas verändert“, sagt Krol. Ihre Rolle beschreibt sie als Brücke zwischen Schülern und Schule, zwischen Familie und Kollegium, zwischen Krise und Lösung. Wichtig sei vor allem das Vertrauen: „Wir hören zu und behalten es für uns. Das ist oft der entscheidende Unterschied.“

Schilk ergänzt: „Ich wünsche mir, dass Schulsozialarbeit eines Tages so selbstverständlich zur Schule gehört wie das Einmaleins zum Matheunterricht.“

Träger, Finanzierung und Perspektive

Die Schulsozialarbeit an Herbrechtingens Schulen wird von der „eva Heidenheim gGmbH“ getragen, einem freien Träger der Jugendhilfe. Die Finanzierung erfolgt über den städtischen Haushalt (rund 252.000 Euro jährlich), ergänzt durch Mittel des Landkreises (50.000 Euro) und des Kommunalverbands für Jugend und Soziales (41.750 Euro). Perspektivisch soll die Schulsozialarbeit dauerhaft auf allen Schularten in Herbrechtingen etabliert werden, vorausgesetzt, der Haushalt gibt es her.

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