Angefangen hat alles bei einem Musikantentreffen im Haus der Volkskunst des Schwäbischen Albvereins in Balingen-Frommern vor rund 20 Jahren. Bei dem dreitägigen Meeting, bei dem es viel über traditionelle Musikinstrumente zu erfahren gab, war der Heidenheimer Wolfgang Pösselt sofort angetan vom Hirtenhorn, einem Signalinstrument, mit dem sich einst auch die Schäfer auf der Schwäbischen Alb verständigten. Als der Musikwissenschaftler und historische Instrumentenbauer Dr. Eckhard Böhringer einen entsprechenden Kurs anbot, war Pösselt gleich mit dabei.
Für den langjährigen Multi-Funktionär im Schwäbischen Albverein vereinigen sich in der Wiederbelebung dieses traditionellen Kommunikationsmittels gleich mehrere persönliche Leidenschaften. „Ich habe eine unheimliche Affinität zur Schäferei“, berichtet der 76-Jährige, der bis zum Ruhestand als Kommunikations-Designer bei Zeiss gearbeitet hatte. Die Liebe zur Schäferei hat vermutlich auch genetische Ursachen. Wie Pösselt in späten Jahren erfuhr, hatte einst auch einer seiner Urgroßväter als Züchter und Hirte der wollenen Wiederkäuer sein Brot verdient.
Wanderführer und Referent
Zur Tradition und Heimatpflege passt auch sein Engagement im Schwäbischen Albverein. Pösselt ließ sich als Wanderführer ausbilden, war Referent an der Heimat- und Wanderakademie Baden-Württemberg und Initiator des Albschäferwegs, der vor wenigen Jahren zu „Deutschlands schönstem Wanderweg“ gewählt wurde. Zu guter Letzt hat sich Wolfgang Pösselt auch immer schon der Musik verschrieben – und dabei eher ungewöhnliche Instrumente bedient. Er war Waschbrettspieler bei den „Dixie Busters“, hing 30 Jahre der Guggenmusik an und gründete 1978 die „Oschtalb Ruassgugga“ in Aalen, nachdem er beim Studium in Basel Erfahrungen mit dieser speziellen Form der Fastnachts-Unterhaltung gesammelt hatte.
Vom Alphorn zum Albhorn
In der Schweiz hatten den Studenten der Typografie und des Grafik-Designs auch die Alphörner immer fasziniert. Wie das Hirtenhorn war auch dieses alpenländische Holzblasinstrument anfangs nicht für musikalische Zwecke vorgesehen, sondern diente den Hirten als Signalhorn. Inzwischen ist es längst touristisch so gut vermarktet worden, dass es in der Volksmusik häufig als fester Bestandteil zur Darbietung eidgenössischer Heimatklänge verwendet wird.
Ein ähnlicher Weg wäre auch für das Hirtenhorn denkbar. Hirtenhörner waren einst in ganz Europa in Gebrauch, und in Rumänien gibt es heute noch Spezialisten, die dem Naturinstrument allerschönste Melodien entlocken können. Verbrieft sei, dass auch schon Leopold Mozart, Vaters des Musik-Genies Wolfgang Amadeus, sogenannte Pastorellen für Hirtenhörner geschrieben hat, weiß Wolfgang Pösselt.
Als Werkzeug zur Verständigung war das Hirtenhorn vor 250 bis 300 Jahren – der Hoch-Zeit der Schäferei – auch auf der Alb ein unverzichtbarer Gebrauchsgegenstand der Viehhirten. Über unterschiedliche Tonfolgen wurden über Täler und Berge hinweg nicht nur Informationen weitergegeben, auch Klatsch und Tratsch konnten über diese musikalische Konversation ausgetauscht werden. „Es war eine Art Handy für die Hirten“, sagt Pösselt. Inzwischen verfügt der Heidenheimer über drei selbstgebaute Hirtenhörner mit einer Länge von jeweils rund 2,40 Metern. Solche Größen benutzten vor allem die Kuhhirten. Die Hörner der Schafhirten waren etwas kleiner. Der Heidenheimer hat auch eines gebaut, das sich im Rucksack verstauen lässt.
Gebaut aus Wacholder-Holz
Für den Bau eines Hirtenhorns muss man ungefähr eine Woche Arbeit kalkulieren. Für ein Instrument von der Schwäbischen Alb wird traditionell Wacholder-Holz verwendet. Das geeignete Stück wird der Länge nach in zwei Hälften zersägt, dann so ausgehöhlt, dass die Materialstärke durchgehend vier Millimeter beträgt. Mit Epoxidharz werden die beiden Hälften wieder zusammengeklebt (früher wurde dazu Birkenpech verwendet).
Fahrradschläuche dienen dazu, die Teile nach dem Verkleben fest zusammenzuhalten. Nach dem Trocknen und Schleifen kommt dann, so Pösselt, „der frustrierendste Moment“. Der Teil, an dem das Mundstück aufgesetzt wird, wird mit Wachs verdichtet. Danach gießt man von der anderen Seite Wasser in den Hohlraum, um zu sehen, wo undichte Stellen sind. Oft ist das bei Astlöchern der Fall, die dann auch noch ausgebohrt und mit Epoxidharz dicht gemacht werden müssen. Das Stimmen des Instrumentes ist der letzte große Akt.
Nach soviel Aufwand macht dann das Blasen des selbstgebauten Horns umso mehr Spaß – nicht nur wegen der Töne, die durch die gepressten Lippen am Mundstück erzeugt werden. „Manchmal habe ich das Gefühl, ich trinke ein Wacholder-Schnäpsle“, lacht Wolfgang Pösselt. Die ätherischen Öle des Heide-Gewächses machen's möglich.
Der Traum vom Hirtenhorn-Spielertreffen
Der wissenschaftliche Begriff für das Hirtenhorn lautet „Tuba Pastoritia“. Wolfgang Pösselt möchte das nahezu ausgestorbene Instrument wieder bekannt machen und bringt es deshalb auch bei passenden Veranstaltungen musikalisch zum Einsatz oder präsentiert es beim Schäfer-Erlebnistag. „Ich träume davon, dass es eines Tages ein Hirtenhorn-Spielertreffen gibt“, sagt der 76-Jährige. Wer sich über Kurse informieren möchte, kann über das Internet-Portal www.schwaben-kultur.de unter dem Haus der Volkskunst viel Wissenswertes erfahren.