60 Rundfunkstationen berichten in den USA, als die Deutschen am 19. September 1965 aufgerufen sind, einen neuen Bundestag zu wählen. Sie strahlen eine dreistündige, in New York produzierte Sendung aus, die sich aus Beiträgen von zwölf Sprechern und Redakteuren aus Köln und Bonn zusammensetzt.
Das Interesse in den Staaten am politischen Geschehen jenseits des Atlantiks ist damit um ein Vielfaches größer als bei den vorangegangenen vier Wahlen, und auch in Heidenheim erwarten die Menschen mit großer Spannung das Ergebnis der Stimmenauszählung.
Abelein holt Direktmandat
Grund: Bislang bildeten Ulm und Heidenheim einen gemeinsamen Wahlkreis, den Bundeskanzler Ludwig Erhard seit 1949 im Parlament vertrat. Fortan gilt jedoch ein anderer Zuschnitt. Während Erhard seine politische Heimat an der Donau behält, kandidiert im neuen Wahlkreis „174 Aalen-Heidenheim“ Manfred Abelein für die CDU. Und der Neue liefert auf Anhieb. Er fährt knapp 58 Prozent der Stimmen ein und holt sich das Direktmandat.
SPD-Bewerber Adolf Hasenöhrl hingegen verpasst als Zweitplatzierter den Einzug in den Bundestag, weil er nicht über die Landesliste seiner Partei abgesichert ist. Es kann rückblickend also nicht als gutes Omen gelten, dass in jeder Wahlkabine in der Heidenheimer Rauhbuchschule ein roter Polstersessel steht.
Promenadenkonzert am Wahlsonntag
Ein nicht alltägliches Rahmenprogramm bekommen derweil diejenigen Schnaitheimerinnen und Schnaitheimer geboten, die in der Hirscheckschule ihre Stimmen abgeben: Im Hof gibt der örtliche Musikverein unter Leitung von Hans Schanelec ein Promenadenkonzert zum Besten. Offenbar sehr zum Gefallen der Wähler, die die flotten Weisen eifrig beklatschen.
Noch weitaus enthusiastischer fiele der Applaus vermutlich aus, machten die Rolling Stones auf ihrer Deutschlandtournee auch in Heidenheim Station. In München jedenfalls lassen die dem Berichterstatter der Heidenheimer Zeitung zufolge „fünf nicht gerade sehr gepflegten jungen Menschen“ gleich an zwei Abenden den Zirkus-Krone-Bau beben. 8000 Jugendliche, so ist anschließend zu lesen, „wackelten mit dem Oberkörper und heulten den Heulbojen frenetischen Beifall zu“.

In Heidenheim verbringen unterdessen viele Jugendliche die letzten Tage des Sommers im Waldbad. Er geht als der bis dahin besucherschwächste in die Geschichte ein: Gerade einmal 96.468 zahlende Gäste kommen bis zum offiziellen Ende am 20. September in die Freizeiteinrichtung im Westen der Stadt. Einziger positiver Aspekt aus Warte der Stadtverwaltung: Sie spart sich das Geld für den Blumenstrauß, den üblicherweise der 100.000 Badegast überreicht bekommt.
Unterm Strich bleibt freilich ein enttäuschendes Resultat, das der Autor einer wohl treffend als Abgesang zu bezeichnenden Bilanz mit einer reichlich trostlosen Beobachtung garniert: „Ein toter Frosch schwimmt in den hellblauen, nachsommerlich ruhigen Fluten des Schwimmerbeckens.“
Das Augenmerk gilt nun bis auf Weiteres Bauvorhaben, die in absehbarer Zeit das Bild der Stadt an verschiedenen Stellen prägen sollen. So liegen Pläne für ein neues, viereinhalb Millionen Mark teures Amtsgerichtsgebäude in Heidenheim auf dem Tisch. Baubeginn laut Staatlichem Hochbauamt Schwäbisch Gmünd: Ende 1966/Anfang 1967.
Gezählt sind zudem die Tage der alten Güterabfertigung beim Heidenheimer Bahnhof. Eine halbe Million Mark soll in die Hand genommen werden, um die wenig komfortable Holzbaracke durch einen massiven Neubau zu ersetzen. Er soll neben einer Schalterhalle Platz bieten für Büros, Dusch-, Lager- und Aufenthaltsräume.

Schlagzeilen macht neben der Bahn auch der Straßenverkehr. Und zwar negative. In der Heidenheimer Innenstadt treiben nämlich seit Juni Autoknacker ihr Unwesen. Ihr Vorgehen folgt stets dem gleichen Muster: Sie zerschneiden mit Messern das Stoffverdeck, setzen die Wagen in Gang und starten zu Spritztouren. Ist jedoch das Lenkradschloss eingerastet, beschränken sie sich darauf, alles Brauchbare mitzunehmen und sogar Bauteile abzuschrauben.
Spezialisiert sind die Unbekannten auf Fiat-Modelle mit 500 bis 700 Kubikzentimetern Hubraum, weshalb in der öffentlichen Diskussion schnell von der „Fiat-Bande“ die Rede ist. Dicht auf den Fersen scheint die Polizei zwei Autodieben, als diese auf der Friedrich-Pfenning-Straße einen Unfall bauen und anschließend türmen. Die Chancen, ihrer habhaft zu werden, dürften nicht allzu schlecht stehen: Einer ist mit einem Gipsbein unterwegs.
Warum ausgerechnet 60 Jahre zurück?
Im Dezember 2008 war der Lokschuppen Schauplatz eines Festabends, bei dem eine seit 60 Jahren bestehende freie und unabhängige Presse in Heidenheim im Mittelpunkt stand. Damals mischten sich Aus- und Rückblicke. Unter anderem wurde die Idee geboren, regelmäßig in Erinnerung zu rufen, worüber die HZ jeweils 60 Jahre zuvor berichtet hatte. Die Serie startete mit der Rückschau auf 1949. Mittlerweile gilt das Augenmerk dem Jahr 1965.