Mehr als fünf Jahre liegt der erste bestätigte Corona-Fall im Landkreis Heidenheim zurück. Zeit für eine Aufarbeitung zumindest auf lokaler Ebene. Was würde man heute anders machen? Wie wäre man heute aufgestellt, würde erneut eine Pandemie grassieren. Diesen Gedanken aus der Haushaltsrede des Grünen-Fraktionsvorsitzenden Michael Sautter griff Landrat Peter Polta im Verwaltungsausschuss auf und lud Gesundheitsamtsleiter Christoph Bauer ein. Dieser legte dar, wie das Landratsamt die Pandemie bewältigt hat – und wie es künftig aufgestellt ist.
Nachträglich würde ich nicht sagen, dass wir was falsch gemacht haben.
Peter Polta, Landrat
Bauer erinnerte an die Aussage des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Vor einer Bewertung müsse aber erst einmal klar sein, was gut und was schlecht gelaufen sei. „Ich spreche aus Perspektive des Gesundheitsamtes. Für andere Perspektiven bin ich nicht Experte. Wenn sie die Pandemie gesellschaftlich aufarbeiten wollen, müssen Sie auf Bundesebene gehen“, sagte Bauer und dämpfte die Erwartungshaltung einiger Kreisräte, dass er nun sagen könne, welche gesellschaftlichen Maßnahmen richtig waren.
Michael Sautter: „Wo sind wir übers Ziel hinausgeschossen?“
Michael Sautter (Grüne) hakte nach und nannte nächtliche Ausgangssperren und Kontaktsperren: „Wo ist man mit Maßnahmen übers Ziel hinausgeschossen?“, sagte er im Hinblick auf kommende Maßnahmen. Landrat Polta entgegnete, dass man anfangs vieles nicht wusste, wie Auswirkungen auf Schulen oder die Übertragungswege. „Nachträglich würde ich nicht sagen, dass wir was falsch gemacht haben, denn nachher ist man immer gescheiter.“

Die eigentliche Aufarbeitung beginne erst, wenn das Infektionsgeschehen abklinge, um dann für eine nächste Pandemie gut oder sogar besser vorbereitet zu sein, sagte Bauer und reflektierte das damalige Handeln: Parallel zur akuten Krisenbewältigung habe man vor fünf Jahren im Landkreis Heidenheim begonnen, eigene Strukturen zu überdenken, Personal aufzustocken und infrastrukturelle Lücken zu schließen.
Fehlende Digitalisierung war eine Schwachstelle
In der Anfangszeit sei es entscheidend gewesen, die Bevölkerung umfassend zu informieren – trotz sich stetig verändernder Lage. Bald sei klar geworden, dass das vorhandene Personal angesichts der vielen Aufgaben nicht ausreiche. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus anderen Verwaltungsbereichen wurden hinzugezogen. Zudem wurden neue Strukturen geschaffen – etwa eine Corona-Klinik, ein Testzentrum oder ein Impfzentrum im Congress-Centrum Heidenheim. Eine Behelfsklinik wurde vorsorglich vorbereitet.
Ein Symbol für die unzureichende Digitalisierung des Gesundheitsamts sei das Faxgerät geworden. Das Land habe inzwischen einheitliche digitale Strukturen angekündigt – unter anderem werde das System „KIM“ (Kommunikation im Medizinwesen) eingeführt. Dieses ermögliche einen sicheren Austausch sensibler Gesundheitsdaten unter allen Beteiligten. Ab dem 1. Juli soll das Gesundheitsamt Heidenheim daran angeschlossen sein.
Neue Strukturen und mehr Personal im Heidenheimer Gesundheitsamt
Während der Pandemie wurden mehr als 600 Personen zeitweise eingesetzt. Heute verfügt das Gesundheitsamt über 41 Mitarbeitende – vor der Pandemie waren es 32. In Vollzeitstellen sind es nun 32,7 statt zuvor 20,3. Die Personaldecke sei heute breiter aufgestellt, etwa mit Fachleuten für Biologie, Logistik oder Digitalisierung.
Das Coronavirus hält sich nicht an Drehbücher, es mutiert munter vor sich hin.
Christoph Bauer, Leiter des Gesundheitsamts
Die Pandemie habe gezeigt, dass Pläne allein nicht entscheidend seien. „Wir haben die Bekämpfung der Pandemie ohne Pandemiepläne begonnen. Was nicht tragisch war.“ Denn Pläne hätten auch ihre Nachteile: „Das Coronavirus hält sich nicht an Drehbücher, es mutiert munter vor sich hin“, sagte Bauer. Viel wichtiger sei es, sich an Prinzipien zu orientieren. Das Gesundheitsamt habe vor Ort agiert – in Schulen, Familien oder Kliniken. Auch das Bürgertelefon sei früh eingerichtet worden. So früh, dass die ersten Anrufe deutschlandweit eingegangen seien, weil es sonst noch kaum Informationen gab.
Die Arbeitsweise habe sich grundlegend verändert: Heute sei Homeoffice möglich, alle Mitarbeitenden könnten flexibel und digital arbeiten. Auch kleinere Ausbrüche würden inzwischen mit denselben systematischen Methoden dokumentiert wie früher nur bei Großereignissen. Das schule die Mitarbeitenden laufend.
Gesundheitsamtsleiter Bauer sorgt sich um Nachhaltigkeit
Bauer warnte jedoch davor, die gewonnenen Erfahrungen wieder zu verlieren. Der „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ brachte zusätzliche Mittel vom Bund, doch laufe dieser 2026 aus – was danach geschieht, sei unklar beim Blick auf die Aussagen im Koalitionsvertrag: „Das klingt für mich wie ein riesengroßes Fragezeichen“, sagte Bauer. Es bestehe die Gefahr, dass man in alte Muster zurückfalle. Zudem drohten Know-how-Verluste, wenn erfahrene Mitarbeitende der „Babyboomer“-Generation in den Ruhestand gingen.
Ich glaube, wir waren noch nie so gut vorbereitet auf eine Pandemie wie jetzt.
Christoph Bauer, Leiter des Gesundheitsamts
Große Bedeutung misst Bauer künftig dem Einsatz von künstlicher Intelligenz zu, etwa bei der Nachverfolgung von Kontaktpersonen oder der Verlaufsberechnung. Bauer sieht darin ein großes Potenzial, vor allem deshalb, weil man viel Personal einsparen könne. Bauer betonte aber auch, dass dafür jetzt entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden müssten.
Ein massives Problem sei die gesellschaftliche Spaltung: „Wenn 25 Prozent der Menschen nicht mitmachen, wird es extrem schwierig“, so Bauer. Pandemie-Bewältigung funktioniere nur gemeinsam.
Lob für Zusammenarbeit im Landkreis Heidenheim
Landrat Peter Polta betonte die gute Zusammenarbeit mit Städten und Gemeinden. Er wolle künftig Social Media stärker einbeziehen. Auch aus Sicht der Kommunen gab es Lob: „Wir waren der einzige Landkreis, der vorneweg gegangen ist“, sagte Norbert Bereska (CDU). Dieter Henle (Freie Wähler) forderte regelmäßige Katastrophenschutzübungen und lobte Bauers Einsatz.
Bauer selbst betonte: „Ich glaube, wir waren noch nie so gut vorbereitet auf eine Pandemie wie jetzt.“