Irgendjemand muss gepfuscht haben. Noch herrscht im Erweiterungsbau der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) kein Studienbetrieb, und doch hat sich vom Erdgeschoss bis hinauf in den vierten Stock eine Furche in die ansonsten makellose Sichtbetonwand gegraben. Was also ist passiert? Versteckte sich ein Fremdkörper in der Verschalung? Ist ein Kran die Fläche entlanggeschrammt? Hat jemand mit Hammer und Meißel seine zerstörerischen Spuren hinterlassen?

Nichts von alledem. Die Stuttgarter Künstlerin Hannah Zenger war’s, und zwar hochoffiziell. Denn Kunst am Bau erhält bei staatlichen Vorhaben verlässlich einen Platz – immer dann, wenn Charakter und Bedeutung der Projekte eine solche Investition rechtfertigen. Bei der DHBW bestand daran kein Zweifel. Zenger trug also mit feinen Sandstrahlen den Zementleim des Sichtbetons ab, und jetzt zeichnet ihr Werk „Im Fluss“ – die Rolle der regionalen Kies- und Betonindustrie symbolisierend – den Weg der Brenz vom Ursprung in Königsbronn bis zur Mündung in die Donau zwischen Faimingen und Lauingen nach.

Damit nicht genug: Im Außenbereich fällt Max Leiß´ „Skop“ ins Auge. Künstlerisch schlägt das stilisierte Mikroskop die Brücke zum Innenleben des 39,2 Millionen Euro teuren Baus: Dort hat künftig die Bildung ihren Platz. Und das in eher nüchtern-sachlichem Ambiente. Der bereits erwähnte Sichtbeton kontrastiert mit weißen Türen und dunklen Linoleumböden in den Fluren und Unterrichtsräumen, während das Foyer mit Sicht-Estrich versehen wurde. Große Fenster garantieren Helligkeit, versöhnen Ästhetik und Funktionalität. Außerdem schaufeln zwei Innenhöfe Licht herein.

Aber auch auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Innovation steht auf der Visitenkarte des Neubaus. Er befindet sich dort, wo einst die Württembergische Cattunmanufactur (WCM) stand und nach ihrem Abriss belastetes Erdreich hinterließ. Dieses musste entsorgt werden, weshalb kein fester Untergrund übrigblieb. Die DHBW ruht deshalb auf 64 Bohrpfählen. Bis zu 27 Meter in die Tiefe getrieben, erläutert Projektleiter Jens Wätzold, verlaufen in ihrem Inneren Wasserschläuche.

Im Zusammenspiel mit zwei von einer Photovoltaikanlage gespeisten Wärmepumpen ermöglichen es diese Kollektoren, das gesamte Gebäude zu heizen und zu kühlen – je nach Bedarf. Heizkörper und Kühlgeräte sucht man allerdings vergeblich: Beide Funktionen versehen die Decken in den Räumen. Automatisch laufen auch die Lüftung und die Kontrolle des CO₂-Gehalts in den mit einer Festverglasung versehenen Räumen ab.

Gefallen findet das gesamte, nach dem Bewertungssystem für nachhaltiges Bauen zertifizierte Konzept auch bei der Architektenkammer. Sie verschaffte sich bereits vor Ort ein Bild davon und wird die DHBW beim Tag der Architektur am 28. Juni erneut zum Thema machen.

Der Gebäudetrakt setzt sich aus zwei durch eine Dachterrasse verbundene Bauteile zusammen, zwischen denen trockenen Fußes gewechselt werden kann. Im niedrigeren befindet sich auch die Kindern und Jugendlichen gewidmete Zukunftsakademie der Stadt Heidenheim. Selbst wenn eine gestalterische Verwandtschaft mit dem jenseits der Brenz gelegenen DHBW-„Würfel“ sofort ins Auge sticht, sollte kein Klon entstehen: „Die Planer wollten kein Würfelchen“, sagt Dr. Stefan Horrer, Leiter des Amts für Vermögen und Bau Schwäbisch Gmünd, „sondern bei aller erkennbaren Verknüpfung etwas Eigenständiges.“

Völlig aus dem Rahmen fällt angesichts dessen nun die DHBW-Niederlassung an der Bergstraße. Offen ist, wie lange auch dort noch der Hochschulbetrieb zu Hause ist. Und wie viel Wasser bis dahin die Brenz hinabfließt.