Ferry Bilics war 26 Jahre lang Vorsitzender der Schnaitheimer Gewerbevereinigung „DIE Fachgeschäfte“. Jetzt hat er sein Amt niedergelegt. Im Gespräch blickt darauf zurück, wie sich Schnaitheim und der Einzelhandel in dem Vorort verändert haben, und zeigt auf, wo die Chancen für die Zukunft der Gewerbetreibenden liegen.
Herr Bilics, der Gewerbeverein, den Sie jetzt 26 Jahre lang geleitet haben, heißt „Die Fachgeschäfte“…
Bilics: … Die Handels- und Gewerbevereinigung Schnaitheim e. V. ...
... aber kurz „Die Fachgeschäfte“.
Wir nennen uns „DIE Fachgeschäfte“, weil das „DIE“ immer ein schöner Aufhänger ist, wie „DIE Info“, „DIE Leistungsschau“, „DIE Fahrradtour“ usw.
Aber gibt es in Schnaitheim überhaupt noch ausreichend Fachgeschäfte im Sinne von kleinen Schuh- oder Bekleidungsgeschäften?
Da hat sich über die Jahrzehnte natürlich auch in Schnaitheim einiges verändert. Ich bin seit 1997 hier mit meiner Kanzlei, komme aber vom Mittelrain und kenne damit die Situation schon seit vielen Jahren. Zu jener Zeit haben einige weitere Einzelhändler angefangen – ein Optiker, ein Fahrradgeschäft, ein Modegeschäft. Es gab mit den bereits vorhandenen Geschäften im Ortskern tatsächlich so etwas wie Einzelhandel. Da war schon wesentlich mehr los als heute.
Das hat sich deutlich verändert.
Ja, das stimmt. Die Zahl der Geschäfte ist rückläufig. Einige, die damals eröffneten, haben inzwischen wieder geschlossen. Was gibt es noch im Ortskern? Fast nichts mehr. Zwei Banken, Dienstleister, Versicherungen, zwei Apotheken und zwei Friseursalons.
Diese Entwicklung ist leider in vielen Dörfern zu beobachten. Ist Schnaitheim heute weniger dörflich als vor einem Vierteljahrhundert?
Was den Zusammenhalt betrifft, sowohl auf der Vereinsebene als auch im Umgang miteinander, haben wir hier durchaus noch einen dörflichen Charakter. Trotz der sehr geballten Industrie und des Handels, die sich um den Schnaitheimer Ortskern herum entwickelt haben. Das Bewusstsein „I ben a Schnoidamer“ gibt es immer noch.
Diesen Eindruck hat man durchaus, und diese eigene Identität ist ja auch gut.
Auf jeden Fall. Wir haben hier neben der großen TSG Schnaitheim auch eine Vielzahl kleinerer Vereine. Allerdings kämpfen davon nicht wenige mit einem Mitgliederverlust und tun sich schwer damit, Nachwuchs zu gewinnen.
Sie sagten, es ist sehr viel Gewerbe, Industrie und Handel in der Peripherie gewachsen. Es sind sehr viele große und kleine Unternehmen hinzugekommen. Hat der Gewerbeverein mit diesen auch Kontakt, oder machen die alle ihr eigenes Ding?
Die Mitgliederstruktur des Vereins ist in fast 50 Jahren gewachsen. Es gibt traditionelle Unternehmen, aber durchaus auch neue Mitglieder. Wir versuchen, weitere Mitglieder zu gewinnen. Es gibt da durchaus Potenzial, wenn man an die vielen hier ansässigen kleinen und mittleren Handwerksbetriebe und Unternehmen denkt. Könnten wir die dazugewinnen, hätten wir nicht nur knapp 50, sondern vielleicht 100 Mitglieder.
Ist es heute schwieriger, Mitglieder zu gewinnen?
Es ist eher ein zeitliches Problem. Man kann sich nicht ständig damit beschäftigen, Mitglieder zu werben. Ich nehme das auch auf meine Kappe, bin aber optimistisch, dass durch den Wechsel frischer Wind in unseren Vorstand kommt und der Verein wieder aktiver Mitglieder wirbt. Ich bin da sehr glücklich, dass mit Brigitte Bosch-Clement eine neue Vorsitzende gefunden wurde, die sich stark engagieren und einbringen wird. Nach 26 Jahren sind die Dinge auch etwas eingefahren, sodass ein Wechsel in der Vereinsführung uns mit neuem Schwung und neuen Ideen nach vorne bringen wird.
Wie sieht die Struktur des Vereins derzeit aus, wie hoch ist der Anteil der Händler, der Handwerker?
Der Einzelhandelsanteil ist gar nicht so gering. Allerdings ist dieser in Schnaitheim verstreut über den gesamten Ortsteil. Ich schätze, etwa die Hälfte kann man zum Handel rechnen. Es sind zudem Dienstleister, Gastronomen und natürlich unsere Handwerker und Industriebetriebe, die den Verein abbilden.
Also gibt es in Schnaitheim noch genügend Handel?
Das Problem ist nicht, dass wir keine Händler haben, sondern dass es im Ortskern praktisch keine mehr gibt. Gerade die Stärkung des Einzelhandels im Ortskern hat einst unseren Verein initiiert, das war 1977. Die Gründer wollten den Einzelhandel im Ortskern stärken und die am Wohl von Schnaitheim interessierten Kräfte bündeln. Der „Feind“ wurde im wachsenden Großhandel auf der grünen Wiese gesehen.
Auch das hat sich geändert.
Ja, inzwischen denken wir anders. Der Einzelhandel im Dorf kann nicht verteidigt werden, weil es ihn fast gar nicht mehr gibt. Jetzt versuchen wir, das Handwerk und den Handel in der Peripherie stärker einzubinden.
Was sind denn die Hauptaufgaben Ihres Vereins, wo liegen die Prioritäten?
Für mich hatte es immer Priorität, Tradition und Moderne zu verbinden. Also Bestehendes zu pflegen und zugleich Neues zu versuchen. Traditionen sind das Maibaum-Aufstellen, unsere Hauptversammlung und gemeinsame Veranstaltungen.
Worum geht es noch?
Als wichtige Aufgabe sehe ich die Vernetzung unserer Mitglieder. Und die Außendarstellung von „DIE Fachgeschäfte“ als Marke, die Werbung für unsere Fachgeschäfte. Wir wollen uns nach außen hin als Gemeinschaft präsentieren, nach innen gilt es, diese Gemeinschaft zu pflegen, zum Beispiel durch gemeinsame Aktivitäten wie Ausflüge und Betriebsbesichtigungen.
Nach außen hin wollen Sie also auch identitätsstiftend für die Schnaitheimer sein?
Ja, natürlich. Es ist uns sehr wichtig, die Schnaitheimer Gemeinschaft zu fördern. Denken Sie nur an die vielen Besucher am Maibaumfest.
Dann könnte der Verein auch „Wir“ statt „Die“ heißen?
Sie haben recht, das wäre denkbar.
Wenn Sie zurückblicken auf die vergangenen 25 Jahre: Was hat den Verein besonders geprägt?
Wir haben immer wunderbar und effektiv zusammengearbeitet. Es gab kaum Misstöne oder Streitigkeiten.
Wie kamen Sie als Rechtsanwalt überhaupt auf die Idee, den Vorsitz zu übernehmen?
Ich kam 1997 nach Schnaitheim. Über den damaligen stellvertretenden Vorsitzenden Gerhard Räpple kam ich zum Verein, für den Vorsitzenden wurde ein Nachfolger gesucht, und dann wurde ich halt „rekrutiert“. Für mich als Neuen in Schnaitheim, zudem mit einem ausländisch klingenden Namen, war das eine tolle Chance, hier Fuß zu fassen und die Menschen kennenzulernen.
Der Verein ist 48 Jahre alt, Sie waren 26 Jahre lang Vorsitzender. Was hat Sie bewogen, jetzt aufzuhören?
Die Erkenntnis, es schon sehr lange zu machen. Ich werde kommendes Jahr 63. Meine Frau und ich hatten mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Auch das hat uns dazu bewogen, in uns zu gehen und zu überlegen, wie wir unser Leben künftig gestalten wollen. Und dazu gehört eben, dass ich mich aus meinen Ämtern nach und nach zurückziehe. Auch beruflich möchte ich im kommenden Jahr deutlich kürzertreten. 26 Jahre, die mir viel Spaß gemacht und viel gegeben haben, sind genug.
Wie sehen Sie den Verein jetzt aufgestellt?
Aus meiner Sicht stehen wir gut da. Wir sind gut vernetzt, haben einen sehr guten, aktiven und freundschaftlich verbundenen Vorstand mit einer neuen, engagierten Vorsitzenden. Es kann nur vorangehen.
Was sind die großen Herausforderungen der Zukunft?
Den Mitgliederbestand aufzustocken. Die Marke weiter zu etablieren und an unserer Außendarstellung zu feilen. Das Wichtigste ist aber, die guten Kontakte zu den Vereinen und Institutionen zu pflegen und die Mitglieder für den Verein zu begeistern, damit „DIE-Schnaitheimer“ sich bei all den Veränderungen in dieser schnelllebigen Zeit behaupten können.