30 Jahre Psychiatrie

So hat sich die Behandlung von psychisch Kranken im Landkreis Heidenheim verändert

Seit mehr als 30 Jahren gibt es eine psychiatrische Abteilung am Heidenheimer Klinikum. Bei einer Feier am Freitag wurde beschrieben, welchen Einfluss dies auf den Umgang mit psychischen Krankheiten im Landkreis Heidenheim hatte und wie sich die Behandlung verändert hat.

Wer keine Berührungspunkte mit der Psychiatrie hat, dem ist wahrscheinlich nicht bewusst, wie herausragend die Fachabteilung am Heidenheimer Klinikum ist, wie modern die Konzepte sind, nach denen dort gearbeitet wird, und wie tief ihr Einfluss in die Gesellschaft hinein ist. Vor 31 Jahren wurde die psychiatrische Tagesklinik in Betrieb genommen, vor 30 Jahren die Abteilung mit drei Stationen innerhalb des Krankenhauses. Zuvor mussten Menschen mit psychischen Erkrankungen zur stationären Behandlung den Landkreis Heidenheim verlassen, meist bis in die nächste Fachklinik nach Bad Schussenried.

Seither hat sich die Welt für die Betroffenen komplett verändert: Die Behandlung ist wohnortnah möglich, und die Entwicklung geht immer weiter dahin, dass die Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden, nicht einmal ihr Zuhause und damit ihr soziales Umfeld verlassen müssen – Stichwort teilstationäre und ambulante Behandlung durch Tagesklinik, Hometreatment und Psychiatrische Institutsambulanz (PIA).

Zudem gab es in Heidenheim von Anfang an eine Psychiatrie der offenen Türen. In den vergangenen zehn Jahren gewann zudem ein patientenzentrierter Ansatz mit möglichst wenig Zwang und mit möglichst großem Respekt vor den Wünschen der Patientinnen und Patienten an Bedeutung. Chefarzt Dr. José Marie Koussemou zeigte, dass die Zahl der Fixierungen in Heidenheim bei einer Quote von 2,3 Prozent liegt, landesweit sind es 5,3 Prozent der Psychiatriepatienten, die gegen ihren Willen festgehalten werden müssen. Trotzdem ist auch die Gabe von Psychopharmaka seit 2009 gesunken, das heißt, die Patientinnen und Patienten werden auch nicht stattdessen mit Medikamenten ruhiggestellt, sondern möglichst sinnvoll behandelt.

Prominenter Fan Manfred Lucha

Eine so außergewöhnliche Abteilungspsychiatrie wie in Heidenheim hat Fans bis an die Spitze des baden-württembergischen Gesundheitsministeriums: Minister Manfred Lucha (Grüne) hielt zur Feier der 30+1 Jahre Psychiatrie in Heidenheim eine euphorische und von Lob durchtränkte Rede, die natürlich von großem Fachwissen geprägt war – er absolvierte seine Ausbildung zum Krankenpfleger am Psychiatrischen Landeskrankenhaus Weißenau und war später fachlicher Leiter eines gemeindepsychiatrischen Zentrums in Friedrichshafen. Lucha ist Sprecher des gemeindepsychiatrischen Verbundes Bodenseekreis und stellvertretender Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft gemeindepsychiatrischer Verbünde.

Gesundheitsminister Manfred Lucha war voll des Lobes für die Heidenheimer Psychiatrie. Rudi Penk

Neben dem prominenten Fan der Heidenheimer Psychiatrie waren auch Wegbereiter und Mitstreiter aus den vergangenen 31 Jahren gekommen, darunter die beiden vorigen Chefärzte Dr. Wolfram Voigtländer und Martin Zinkler, der ehemalige Krankenhaus-Direktor Hans-Otto Grau, die frühere Pflegedienstleiterin Hildegard Grebhan und der ehemalige Pflegedirektor Klaus Rettenberger. Klinik-Geschäftsführer Dr. Dennis Göbel sagte, die Psychiatrie sei ein unverzichtbarer Bestandteil des Klinikums geworden. Er lobte die angenehme Zusammenarbeit, insbesondere auch mit Chefarzt Dr. José-Marie Koussemou und die Qualität der Versorgung.

Eindrucksvolle Wegstrecke

Peter Polta, der als Landrat den Träger des Klinikums vertrat, sprach von einer „eindrucksvollen Wegstrecke“, den die Psychiatrie in Heidenheim zurückgelegt habe. Er lobte die professionelle und würdevolle Hilfe, die hier für erkrankte Menschen geleistet werde.

Minister Lucha sagte, es gebe kaum ein anderes Krankenhaus, in dem er in den vergangenen Jahrzehnten so oft gewesen sei wie in Heidenheim. Das Ziel sei es, die Teilhabe von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu stärken und gegen Diskriminierung und Ausgrenzung vorzugehen. „Damit haben psychisch Kranke schon immer zu kämpfen.“ Deshalb sei es auch so wichtig, die Psychiatrie als gleichwertige Abteilung in Kliniken zu etablieren.

Besonders hob Lucha auch das Modellprojekt Hometreatment hervor, bei dem Betroffene eine multidisziplinäre Krankenhausversorgung bei sich zu Hause bekommen. Dies sei von großer Bedeutung, weil man damit keine Sonderwelten schaffe. Um das Hometreatment zu ermöglichen, kämpfte Lucha Seite an Seite mit dem damaligen Chefarzt Dr. Martin Zinkler. Was das Thema Zwangsbehandlung angehe, sei er aber etwas strenger als der frühere Chefarzt, sagte Lucha: „Es gibt auch ein Recht auf Behandlung und Teilhabe“, so der Minister. Er würde es nicht akzeptieren, dass die psychische Erkrankung in die soziale Deprivation führe.

Immer weniger stationäre Behandlung

Dr. José-Marie Koussemou, der bereits unter Zinkler als Oberarzt und dessen Stellvertreter arbeitete, entwarf eine klare Zukunftsvision für die Psychiatrie in Heidenheim. Er sieht deren Weg immer weiter weg von den zentralen, stationären Betten am Klinikum und hin zu einer ausgeweiteten und verstärkt ambulanten oder teilstationären Behandlung. Bereits jetzt sei die Bettenauslastung in der Psychiatrie auf 50 Prozent reduziert worden, was die Krankenkassen gerne zum Anlass einer Budgetkürzung nehmen würden. Dabei ist aber nicht die Behandlung reduziert worden, sie findet nur woanders statt und berücksichtigt stärker die Lebens-, Wohn- und Arbeitssituation der Patientinnen und Patienten.

Psychiatriechefarzt Dr. José-Marie Koussemou (zweiter von re.) wird seit vielen Jahren von Fachkrankenpfleger Michael Waibel (re.) unterstützt. Rudi Penk

Für die kommenden zehn Jahren würde sich Koussemou wünschen, dass nur noch 40 Prozent der Patienten stationär behandelt werden, die Plätze in der Tagesklinik dafür aber deutlich ausgebaut werden. Zudem hält er es für sinnvoll, demente Patientinnen und Patienten zum überwiegenden Teil zu Hause oder im Pflegeheim zu behandeln. In einer noch längerfristigen Zukunftsvision träumte er von Zentren für psychische Gesundheit in Heidenheim am Klinikum, in Niederstotzingen und Königsbronn, von wo aus das Hometreatment und die aufsuchende ambulante Behandlung koordiniert werden könnte.

Nebenschauplatz Klinikfinanzierung

Landrat Peter Polta nutzte die Gelegenheit, um bei der Feier in der Psychiatrie auf die Bedeutung der Modernisierung des Klinikums und die Probleme in der Finanzierung einzugehen, was er direkt an den anwesenden und zuständigen Minister adressierte. Für den aktuellen, 138 Millionen Euro teuren Bauabschnitt bekomme der Landkreis 78 Millionen Euro vom Land. Das sei zwar eine gute Förderquote, aber trotzdem verschlechtere sich die finanzielle Lage des Klinikums immer mehr. „Die kommunale Familie kann auf Dauer nicht Ausfallbürge sein“, so Polta.

Minister Manfred Lucha nahm diesen Ball auf, spielte ihn aber weiter in Richtung Bund: Er hoffe, dass der Weg, den man in Baden-Württemberg mit den Kliniken gehe, auch vergoldet werde, so Lucha. „Wir sind so weit wie kein anderes Flächenland“, meinte er.

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar