Zukunft des Bauens

Radikalität und Neubesinnung: Architekten fordern bei den Heidenheimer Energiegesprächen ein Umdenken im Bauen

Architekten diskutieren bei den 15. Energiegesprächen in Heidenheim radikale Baukonzepte und die Zukunft des nachhaltigen Bauens mit weniger Ressourcen.

Der Satz „Bleiben Sie radikal!“ schien am Dienstagabend noch eine Weile wie Bühnennebel in den Mauerfugen und zwischen den Deckenbalken des Heidenheimer Lokschuppens zu schweben. Architektin Annabelle von Reutern hatte ihn ausgesprochen, verbunden mit der Aufforderung, Gewohntes zu hinterfragen.

Radikalität, Kapitalismuskritik, freche Konzepte und flammende Plädoyers für weniger Verbrauch – das hatten die Zuhörenden im vollbesetzten Saal gerade erlebt. Markus Weismann, Vorsitzender des Kammerbezirks Stuttgart der Architektenkammer Baden-Württemberg, sprach begeistert von „der besten Veranstaltung seit langem“. Was war geschehen?

Mehr Mut für Visionen

Die Architektenkammergruppe Heidenheim hatte zu den 15. Energiegesprächen eingeladen. Weismann räumte ein, er habe befürchtet, man werde mal wieder über Dämmung reden. Die beiden Architektinnen und der Architekt, die Kammergruppenvorsitzender Stefan Bubeck und sein Team an die Brenz gelotst hatten, bewegten sich unter dem Motto „Zukunft weniger“, aber fernab kleinteiliger Technik-Diskussionen. Sie skizzierten vielmehr Entwürfe für das Bauen der Zukunft – durchaus mit Widersprüchen und Widerhaken.

Volles Haus: Im Heidenheimer Lokschuppen blieben bei den Energiegesprächen kaum Stühle frei. Natascha Schröm

Die Berlinerin von Reutern rief dazu auf, angesichts schwindender Ressourcen nicht in Ohnmacht zu verharren. Ihre Beispiele für schonendes Bauen: Umnutzung von Büroleerstand fürs Wohnen, Aufstocken der klassischen Garagenparks an Mehrfamilienhäusern mit Wohnetagen.

Architekt Van Bo Le-Mentzel plädierte für Zurückhaltung bei den Wohnflächen. Im Schnitt verfüge jeder Bundesbürger heute über 47,5 Quadratmeter Wohnfläche. Le-Mentzels Ansatz: 20 Quadratmeter und trotzdem Rückzugsraum für jeden. Um in Berlin Baulücken zu schließen, hat er unter dem Titel „Gemeinwohlbau“ ein Konzept für serielles Bauen entwickelt, das unterschiedliche Nutzungsformen auf wenig Fläche vereint. Nach mehr Fläche zu streben, hält Le-Mentzel für eine Falle des Statusdenkens: „Das Glück liegt nicht in einer großen Terrasse.“ Zugleich warf er der Tinyhouse-Bewegung vor, zwar kleine Häuser zu bauen, „aber dann brauchen sie zwei Hektar Wald drumherum“.

Plädoyer für den Bestandserhalt

Dass weniger Ansprüche gleichzeitig zumindest gedanklich mehr Raum verschaffen, legte Mechthild Stuhlmacher aus Rotterdam nahe. Ihr Büro hat sich dem schonenden Umbau lange ungenutzter Immobilien verschrieben. Anstelle von Abriss ergänzen sie Gebäude für eine neue Nutzung, bevorzugt mit Holzkonstruktionen. „Bestand hat Charakter“, sagte Stuhlmacher. Den Umkehrschluss überließ sie dem Publikum. Dass der amtliche Denkmalschutz visionäre Neunutzung bisweilen ausbremse, bestätigte die Architektin. Dennoch: „Wir haben oft die gleichen Ziele und intelligente Denkmalpflege ist immer gesprächsbereit.“

Geld und Langeweile sind der Endgegner.

Van Bo Le-Mentzel, Architekt

Dass ein Wandel im Bauen nicht zuletzt vom Einzelnen ausgehen könne, stellten die drei Fachleute in der von SWR-Moderatorin Nicole Köster geführten Diskussion fest. „Geld und Langeweile sind der Endgegner“, spitzte Le-Mentzel zu. Geld verlocke zu üppigem Bauen. Hinzu komme, dass schädliche Baustoffe weit günstiger seien als nachhaltiges Material, merkte Mechthild Stuhlmacher an: „Es wäre gut für die Kreislaufwirtschaft, wenn wir die Folgekosten mit einberechnen würden.“ Annabelle von Reutern verallgemeinerte dies noch: „Ein unnachhaltiger Lebensstil ist einfach billiger.“

Bestands-Expertin Stuhlmacher lobte in der Diskussion den bis zur Landesgartenschau 2006 sanierten Lokschuppen, als ein Beispiel dafür, wie Altbauten mit zurückhaltenden Eingriffen einer neuen Nutzung zugeführt werden können. Van Bo Le-Mentzel fand dennoch Lücken im Konzept. Er hätte im offenen Dachraum Platz für Künstler schaffen wollen.

„Wir stehen vor großen Veränderungen“, stellte Weismann abschließend fest. Dies sei für Planerinnen und Planer aber eine Chance: „Wir müssen mehr an die Bedarfe der Menschen denken, weniger an technische Lösungen.“

Landrat Polta: „Einladung zum Umdenken“

Globale Krisen wirkten sich mittlerweile bis in die Haushalte der Menschen aus, sagte Landrat Peter Polta als Schirmherr der Veranstaltung. Das im Titel der Veranstaltung genannte „Weniger“ wollte Polta als „Einladung zum Umdenken“ verstanden wissen. Gefordert seien „mehr langfristige Strategien und mutige Lösungen“. Reduktion könne ein Fortschritt sein, Vorwärtsbewegung entstehe aber vor allem, „wenn man sie anpackt“.