„Gianni Schicchi“ und „Elektra“

Opernfestspiele Heidenheim 2025: Aus dem Designer-Paradies in die Rachehölle

Die Premiere der Opernfestspiele Heidenheim vereinte auf dem Schlossberg zwei musikalisch höchst unterschiedliche Opern an einem Abend, der in großer Dramatik endete.

Wo fängt man an zu erzählen? Am Anfang, mit dem Höhepunkt, mit der Quintessenz? Oder sucht man ein Detail, das vom Kleinen zum ganz Großen führt? Erwischt man den roten Faden, den Ariadne Theseus schenkte und mit dem er den Weg hinaus aus dem Labyrinth fand, nachdem er den Minotaurus erschlagen hatte? Damit wären wir wenigstens schon einmal bei der griechischen Mythologie, und die spielte am Opernabend mit „Gianni Schicchi“ und „Elektra“ eine tragende Rolle. Und auch die Details lassen sich finden.

Im Mittelpunkt der ersten Oper steht der charmante Emporkömmling und Betrüger Gianni Schicchi, eine Figur, die Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“ entnommen ist. Dort, im 30. Gesang der Hölle, reiht sich der Florentiner zwischen die Göttermutter Juno und die trojanische Königin Hekuba, ist also mittendrin in der Welt der römischen und griechischen Mythen, derer sich der Schriftsteller bedient. Dante erzählt eine Heldenreise, die in der Hölle beginnt und über den Läuterungsberg ins Paradies führt.

Der Wunsch nach blutiger Rache

Der Stoff für Richard Strauss‘ „Elektra“ ist direkt den griechischen Sagen entnommen: Die Titelfigur ist die Tochter des mykenischen Königs Agamemnon, der von seiner Frau Klytämnestra und deren Liebhaber Aegisth erschlagen wurde. Elektra wartet auf die Rückkehr ihres Bruders Orest und will blutige Rache für diese Tat. Blutig war die Geschichte allerdings zuvor schon: Agamemnon hat seine Tochter Iphigenie, die Schwester Elektras, geopfert, und Klytämnestra und Aegisth haben neben dem König auch die Seherin Kassandra getötet.

Das Wetter am Freitagabend ließ es zu, dass die Inszenierung wie geplant stattfinden konnte: zu Beginn „Gianni Schicchi“ im Congress Centrum, nach einer Pause und der Wanderung in den Rittersaal „Elektra“ auf der Freilichtbühne. Die Heldenreise absolvierte in diesem Fall also das Publikum, wobei der Weg – zumindest thematisch – eher vom Paradies in die Hölle führte, nicht umgekehrt.

Pucchinis Oper spielt eigentlich 1299 in Florenz, wurde von Regisseurin Vera Nemirova aber in die Gegenwart katapultiert. Aus dem reichen Florentiner Buoso Donati wird ein Modeschöpfer in Ledergeschirr und Morgenmantel (Oliver von Fürich), der sein Vermögen im Testament dem Kloster vermacht und die gierige Verwandtschaft leer ausgehen lässt. Er nimmt Tabletten und stirbt, auch hier weicht die Inszenierung vom Libretto ab.

Geheuchelte Trauer und überzogenes Entsetzen

Die Komödie beginnt sogleich mit dem Auftritt der überdrehten Nachkommen des Toten, die von Cristina Lelli in auffällige „Donati“-Designermode gekleidet wurden und aufs Schönste vorführen, dass Geld nicht Geschmack ersetzen kann. Schauspielerisch geht es in dieser Oper zu wie im Bauerntheater, das Personal rennt von links nach rechts, mit geheuchelter Trauer, überzogenem Entsetzen ausgelöst durch das Testament und komischen Einlagen wie dem Auftritt des tattrigen Arztes Maestro Spinelloccio (Rory Dunne). Das ist in hohem Maße unterhaltsam und gekonnt präsentiert.

Stößchen: Der totgeglaubte Buoso Donati (li., Oliver von Fürich) und Gianni Schicchi (Rory Musgrave), der sich für ihn ausgegeben hat, um das Testament zu ändern, entpuppen sich als Paar. Foto: Oliver Vogel

Die Musikerinnen und Musiker, die kongenialen Stuttgarter Philharmoniker, verschwinden nicht im Graben, sondern sitzen hinter den Sängerinnen und Sängern. Durch einen halbtransparenten dunklen Vorhang ergibt sich ein Schattenspiel, dort dirigiert auch Marcus Bosch. Die Musik tritt damit zumindest optisch in den Hintergrund, auch wenn die Philharmoniker bereits im kurzen Vorspiel das musikalische Kernmotiv vorstellen, das immer wieder auftaucht und wie ein musikalischer roter Faden durch das rund einstündige Stück führt.

Der Musikalische Leiter der Opernfestspiele sieht sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, mit dem Rücken zu den Sängerinnen und Sängern durch den Einakter führen zu müssen. Gerade bei dieser Oper ist das eine besondere Herausforderung: Bei „Gianni Schicchi“ geht es ums richtige Timing, das Schauspiel ist entscheidend für den Erfolg der komischen Oper. Nicht nur der Gesang muss mit dem Orchester harmonieren, auch die spontanen Ausrufe und das Tempo der Darsteller bilden eine Einheit mit der Musik. Das Experiment ist gelungen, auch dank der Hilfe von Monitoren auf der Bühne.

Ein junges, buntes Liebespaar

Die heimlichen Helden des Stücks sind der junge Rinuccio (Stefano Cifolleli) aus der Familie Donato, der Gianni Schicchis Tochter Lauretta (Ava Dodd) heiraten will. Das Paar, dessen Liebe zunächst der Standes- und Vermögensunterschied im Weg steht, ist jung und bunt und genderfluid. Die zentrale Arie der Oper, „O mio babbino caro“, wird wie ein Popsong inszeniert, Ava Dodd singt zum Dahinschmelzen schön und von einer Aura aus Seifenblasen umgeben.

Lauretta als Popstar: Ava Dodd singt die Arie „O mio babbino caro“ in einer Wolke von Seifenblasen. Foto: Oliver Vogel

Julia Rutigliano gibt die Cousine Zita nach dem optischen Vorbild von Donatella Versace und nutzt den Gehstock des Verstorbenen dabei als modisches Accessoire. Gianni Schicchi (Rory Musgrave) bringt die Axt ins Spiel, die er sich locker über die Schulter wirft, was die Berufsgenossenschaft der Waldarbeiter an den Rand des Herzinfarkts treiben dürfte.

Hier wären wir nun bei den entscheidenden Requisiten, die den Weg von der einen Bühne zur anderen finden: Während bei Gianni Schicchi mit Gewalt und Gebrechlichkeit kokettiert wird und der totgeglaubte Buoso Donati am Ende wieder aufersteht und sich als Geliebter des Titelhelden entpuppt, wird es bei „Elektra“ todernst.

Der Weg an den Rand

Schon bei den ersten Klängen der mächtigen Holzbläser im Orchester und dem aufgeregten Gesang der Mägde („Wo bleibt Elektra?“) dürfte dem Publikum klar geworden sein: Das hat musikalisch wenig mit dem lieblichen Singspiel der ersten Abendhälfte zu tun. Richard Strauss‘ Musik führt an den Rand der Tonalität, das Libretto an den Rand der Härte, die die deutsche Sprache zu bieten hat, und die melodischen Tücken der Arien führen die Sängerinnen und Sängern an den Rand dessen, was die Stimme an Kraft, Ausdauer und Technik bewältigen kann.

Die lebensfrohe und die verzweifelte Schwester: Chrysothemis (li., Tineke van Ingelgem) weigerte sich, zusammen mit Elektra (Christiane Libor) die Mutter zu meucheln. Foto: Oliver Vogel

Elektra (Christiane Libor) tritt als wütendes, tobendes Aschenputtel auf, das im grauen Trägerkleid im Dreck sitzt, und ihrem Furor freien Lauf lässt. Ihr Gegenpol ist ihre Schwester Chrysothemis (Tineke van Ingelgem), die Goldmarie des Stücks, die sich nach Liebe und Leben statt nach Tod und Zerstörung sehnt. Die Besetzungen der Rollen mit zwei großartigen Sopranistinnen ist Marcus Bosch hervorragend gelungen: Während über Chrysothemis hellem Sopran quasi ein goldener Schimmer liegt, zieht Elektra in gleicher Tonhöhe die Zuschauer doch in dunkle Tiefen.

Das Bühnenbild hat Harald B. Thor bei dieser Oper sehr schlicht gehalten, wodurch der historische Rittersaal ganz in den Vordergrund rückt. Neben der tödlichen Axt, mit der Agamemnon erschlagen wurde und die Elektra für ihren Bruder aufbewahrt, spielt die Badewanne, in der der Mord geschah, eine wichtige inszenatorische Rolle. Ein darin drapierter Overall stellt den toten König dar, und als am Ende der Mörder Aeghist (nicht wiederzuerkennen: Stefan Cifolelli) durch die Hand von Orest (Thomas Gazheli) darin umkommt, schließt sich der Kreis der Handlung.

Die wahnsinnige Königin: Katerina Hebelková als Klytämnestra (re.) mit ihrer verzweifelten Tochter Elektra. Foto: Oliver Vogel

Auf den Gehstock stützt sich bei „Elektra“ die grausame Königin Klytämnestra, von Katerina Hebelková als eine Mischung aus Wahrsagerin und Wahnsinniger gespielt. Elektras Mutter ist gebrochen von den blutigen Dramen, die sich in ihrer Familie abspielen, wird von Alpträumen gejagt und sucht eigentlich Zuflucht und Absolution bei ihrer Tochter Elektra, die von ihren Racheplänen aber nicht abrückt. Die tschechische Mezzosopranistin macht den Zwiespalt der Figur plastisch und war auch stimmlich die perfekte Ergänzung zu ihren beiden Bühnentöchtern.

Extreme musikalische Dramatik

Marcus Bosch treibt das gewaltige, bläserlastige Orchester in dynamischen Wellen durch das Stück. Auch bei dieser Oper sitzen die Musiker auf der Bühne, aber durch den über sie führenden Balkon eher im Zentrum als im Hintergrund der Inszenierung. Nach zwei Stunden extremer musikalischer Dramatik geht das Stück buchstäblich in Flammen auf und entlässt das Publikum in die mittlerweile hereingebrochene Nacht.

Womit wir beim Fazit wären: War das nun eine gelungene Gesamtinszenierung? Beide Stücke sind stimmig umgesetzt, musikalisch untadelig, der rote Faden ist vorhanden und die Details verbinden das Gegensätzliche zu einem großen Ganzen. Was bleibt, ist die musikalische Diskrepanz zwischen den beiden Stücken, die zwar in etwa gleich alt sind, aber doch unterschiedlicher in ihrer musikalischen Sprache nicht sein könnten. Wem das eine gefällt, der muss das andere nicht mögen. Und dass viele Zuhörerinnen und Zuhörer mit Richard Strauss ihre Schwierigkeiten hatten, war nicht zu übersehen.

Trotzdem: Wenn es durch die Doppelinszenierung gelingt, das Publikum über die gefällige italienische Oper auch nur in die Nähe der musikalischen Moderne zu führen, und so der ewigen Wiederholung des Gefälligen zu entrinnen, ist das Experiment legitim und gelungen.

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