Was passiert, wenn Kunst in Räume zieht, die einst dem Geld vorbehalten waren? Wenn Künstlerinnen und Künstler sich den Platz nehmen, wo früher Kredite verhandelt und Geldanlagen geführt wurden? Die 26. „Open“-Ausstellung gab darauf eine eindrucksvolle Antwort: In der ehemaligen Commerzbank in der Brenzstraße zeigte der Schmelzofen-Verein am Samstag und Sonntag Werke von fast zwei Dutzend Kunstschaffenden.
Das ehemalige Bankhaus, einst bekannt als Villa Jooß, erwies sich als Glücksfall – nicht nur wegen seiner zentralen Lage, sondern auch wegen seiner architektonischen Eigenheiten. Kleine Kammern, verwinkelte Flure, ein Tresorraum im Untergeschoss – sie alle wurden bespielt, mit Bedacht und Gespür.
Ein erstes Fazit von Albrecht Briz: „hervorragend“
Dass viele Kunstschaffende persönlich vor Ort waren, verlieh der „Open“ eine besondere Atmosphäre. Gespräche entstanden – beiläufig oder intensiv. Besucher entdeckten Lieblingsräume, blieben an Details hängen, tauschten sich aus. Die „Open“ funktioniert nicht trotz des ungewöhnlichen Orts – sondern gerade deshalb. „Es ist rappelvoll, die Stimmung ist hervorragend“, sagte Albrecht Briz, Vorsitzender des Schmelzofen-Vereins, und freute sich über den großen Erfolg. Wie viele Besucher genau kamen, lässt sich nur schätzen: 650 waren es am Samstag, am Sonntag deutlich mehr. „Wir sind happy, dass die Menschen auch nach 26 Jahren immer noch Lust haben, unsere Ausstellung zu sehen.“

Mitten im größten Raum im Erdgeschoss begrüßt ein kniehoher Goldklumpen: Briz’ Werk „Glück im Hans oder das fabelhafte Sondervermögen“ zielt mit einem Augenzwinkern auf politische Finanzdebatten und spielt mit der Größe des Raums. Fast verloren liegt er da, der Goldbrocken. Ein Kontrast: Aus diesem offenen, lichtdurchfluteten Bereich zweigen kleine Besprechungsräume ab – Sackgassen, wäre da nicht die Kunst.
Großformat neben Miniatur: Diese Kontraste gab es auf der „Open“ in Heidenheim
Etwa bei Günther Reger, dessen großformatiges Werk sich an der Wand aufspannt. Es zieht förmlich hinein in einen angrenzenden Raum, der sich plötzlich öffnet, Licht hereinlässt – ein Spiel mit Erwartung, Perspektive und Raumwirkung. Was sich wohl in der Nische befindet, durch die das Licht einfällt?
Einen Raum weiter trifft große Geste auf Miniatur: Brigitte Vogel, krankheitsbedingt selbst nicht vor Ort, zeigt kleinformatige Drucke von Köpfen, die sie im Alltag beobachtet hat. Manche scheinen bekannt – Einstein? Merkel? Günter Grass? –, andere erinnern an Nachbarn, Sportler, Lehrer. Ihr Sohn, Fotograf Oli Vogel, gibt Hinweise, doch letztlich bleibt die Deutung offen – und gerade das macht den Reiz aus.
Es ist rappelvoll, die Stimmung ist hervorragend.
Albrecht Briz, Vorsitzender des Schmelzofen-Vereins
Von gesichtslosen Dingen zu berührenden Geschichten: Freya Blösl hat zwei kaputte Akkordeons ihrer Mutter in Einzelteile zerlegt und daraus neue Objekte geschaffen. Ihre Serie „Dekonstruktionen“ zeugt von Erinnerungsarbeit, von Transformation und der Schönheit des Übersehenen – eine Parallele zur Villa, deren Jugendstil-Schönheit mit den Erkern ebenso im Verborgenen liegt.
Sakraler Moment auf dem Weg in die einstige Chefetage
Im Treppenhaus zieht ein leuchtendes Werk die Blicke an: Robert Palleis zeigt seine „Zwanzig Nackten“, inspiriert von Michelangelos Ignudi. Die Wand erinnert mit ihren farbigen Segmenten an ein Kirchenfenster – ein sakraler Moment mitten im Aufstieg zur ehemaligen Chefetage.
Oben angekommen, trifft man auf Carla Chlebarov, die einen Einbauschrank als Ausstellungsfläche nutzt. Ihre Werke strahlen in leuchtendem Orange – der Farbe, die sie „für die interessanteste der Welt“ hält. Mit greller Wucht gemalt – und doch: Wer näher hinsieht, entdeckt Figuren, gezeichnet mit sicherer Hand, fast beiläufig, wie von selbst entstanden. Ein Stier? Eine Hand? Interpretationen sind ausdrücklich erwünscht.
Kunst zum Zuschauen: Welches Motiv Romina Ferrarotti an die Wand zeichnet
Einer der lebendigsten Räume gehört Romina Ferrarotti. Sie zeichnet live an einer Wand, deren Wasserschaden wie gemacht scheint für das entstehende Motiv: ein Aquarium. Wer am Samstag kommt, sieht ein anderes Werk als am Sonntag. Kunst als Prozess – sichtbar, nachvollziehbar – eine Einladung zum Dabeisein, nicht nur zum Betrachten. Am Sonntag sieht man ein Seepferdchen, umgeben von Algen. Schon fertig sind die Druckgrafiken, die die Künstlerin zeigt – von der Decke hängend und damit frei schwebend. Auch sie ein Bestandteil des Aquariums?

Aufmerksamkeit zieht Nicoline Koch-Lutz mit ihrer interaktiven Arbeit „Art-Boxes“ auf sich. In einem Raum voller kleiner Schachteln – Zigarrenschachteln und Schmuckkästchen aus Holz – ist Anfassen ausdrücklich erlaubt. Besucher dürfen die Boxen öffnen. Der Inhalt: Malereien, Collagen, Textiles und früheste Arbeiten der Künstlerin, zusammengeführt zu Leporellos. Es ist ein Rückblick auf ihr Schaffen der vergangenen Jahre – en miniature. Die Besucher falten fleißig mit.
Wie ein Plastikstuhl zum Kunstobjekt aufsteigt
Unter dem Dach der ehemaligen Commerzbank tut sich eine andere Welt auf. Weniger feudal als das Erdgeschoss, abgewohnt, nicht vollständig ausgebaut – ein klassischer Dachboden. Hier dominieren Installationen: Papierbahnen von Beate Gabriel zeichnen Sonnenlicht, das durch die Dachschrägen fällt. Die reale Sonne scheint an diesem Tag tatsächlich – Kunst und Wirklichkeit verschmelzen. Dazu entfaltet sich ein filigranes Blütenmeer aus Origami von Johanna Senoner.
Ebenfalls im Dachgeschoss begegnet man der Arbeit von Arjann Jacob Härtner: „bloc“. 75 Drucke eines einzigen Objekts – des schwarzen Plastikstuhls Monobloc, eines allgegenwärtigen, weltweit millionenfach produzierten Alltagsgegenstands. Schwarz auf Weiß, seriell wiederholt. Der Stuhl wird zum Symbol für Design im Kapitalismus: funktional, billig, demokratisch – aber kulturell übersehen. Die Serie erscheint wie eine stille Anklage – ausgerechnet im Kontext eines ehemaligen Bankgebäudes, wo einst monetäre Werte zählten. Davor: ein einzelner grüner Kinderstuhl aus Plastik. Er erschließt sich erst beim Verlassen der Küche.
Café Sonnleitner wird Teil eines Foto-Kunstwerks
Ein weiterer Höhepunkt ist die fotografische Arbeit „Existir“ von Ignacio Iturrioz. 24 Schwarzweißfotografien, die gemeinsam ein Werk bilden, wechseln zwischen Porträts Heidenheimer Jugendlicher und Ansichten des leerstehenden Cafés Sonnleitner. Der Künstler schlägt mit seiner Gegenüberstellung eine Brücke zwischen zwei scheinbar getrennten Realitäten der Stadt – Jugendliche ohne eigenen Ort auf der einen Seite, ein traditionsreiches, aber vom Verschwinden bedrohtes Café auf der anderen. Iturrioz lädt dazu ein, die eigene Stadt zu hinterfragen: „In welcher Art von Stadt wollen wir weiter existieren?“

Im Keller überrascht Joe Bauer mit einer atmosphärischen Installation: Im Treppenhaus laufen englische Texte über zwei Handy-Displays. Im ehemaligen Tresorraum erklingen Geräusche – war das Donner? Oder doch Teil einer Komposition? Die Kunst wächst hier aus dem Raum heraus, man muss sie suchen – fast wie ein Geheimnis.
Vor dem Gebäude schließlich ein musikalischer Zufall: Die Band „Go slow strike“, bestehend aus Steffen Köble und Daniel Bengesser, singt „S’koscht net viel, Retrostil.“ Eine Textzeile, die unerwartet gut passt.