Leitartikel Klartext

Nicht nur beim Geisterlehrer-Skandal: Nachfragen lohnt sich immer

20 Jahre lang blieb es unbemerkt, dass fast 1500 Lehrerstellen in Baden-Württemberg nicht besetzt waren. Daraus könnte man etwas lernen: Auch in anderen Bereichen wäre es hilfreich, man würde mehr auf die Stimmen aus der Praxis hören, meint HZ-Redaktionsleiterin Silja Kummer.

Es ist ein typisches Thema für aufwallende Empörung: 1440 Lehrerstellen sind in Baden-Württemberg seit 20 Jahren zwar planerisch vorhanden, aber faktisch nicht besetzt. Der Begriff der „Geisterlehrer“ macht die Runde, man spricht von einem Skandal im Kultusministerium und alle, die ein Misstrauen gegen „die da oben“ hegen, sehen sich bestätigt.

Finanzieller Schaden ist nicht entstanden, es wurde ja niemand bezahlt, der gar nicht da ist. Gleichwohl sind die Auswirkungen auf den Unterricht an den Schulen und die strategische Planung der Lehrerversorgung natürlich gravierend. Wie sich das konkret im Landkreis Heidenheim ausgewirkt hat, kann man schulscharf gar nicht benennen. Aber überall dort, wo Stellen nicht besetzt werden konnten, könnte dieser Softwarefehler in Stuttgart der Grund dafür gewesen sein.

Papier und Praxis

Der eigentliche Aufreger geht aber über die Schulen hinaus: Man hat in einer Arbeitswelt nicht auf diejenigen gehört, die in der Praxis tätig sind oder die Auswirkungen (als Eltern) zu spüren bekommen haben. Das ist leider oftmals auch in Betrieben so. Wenn man sich Zahlen auf dem Papier anschaut, kommt man zu Schlussfolgerungen, die in der Praxis gar nicht umsetzbar sind. Was man bemerken könnte, wenn man die Menschen fragen würde, die die Arbeit tatsächlich machen – und dann auch darauf hören würde, was sie zu sagen haben.

Die Maschine könnte man ins Ausland verlagern, wo die Lohnkosten niedriger sind? Bestimmte Aufgaben können auch weniger Menschen erledigen? Automatisierung führt dazu, dass etwas auf Knopfdruck erledigt wird? Ein bisschen mehr Skepsis wäre bei allen solchen Vorhaben angebracht. Oft lohnt es sich, Dinge zu hinterfragen, ein wenig Tempo herauszunehmen und darüber nachzudenken, welche Interessen die Akteure verfolgen. Und damit sind alle gemeint, Chefinnen und Chefs, Beraterinnen und Berater, Politikerinnen und Politiker genauso wie Betriebsräte, Gewerkschaften und Betroffene.

Im besten Fall kommt man zu einem Konsens, mit dem alle leben können. Oder man entdeckt einen Systemfehler, der seit 20 Jahren die Planungen verfälscht.