Hebammen unter Druck

Neuer Hilfevertrag: Warum die Heidenheimer Schlossberghebammen Sorge um ihre Selbstständigkeit haben

Ab November soll ein neuer Hebammenhilfevertrag gelten, mit drastischen Folgen für die freiberuflichen Beleghebammen. In Heidenheim äußern sich zwei Sprecherinnen der Schlossberghebammen erstmals öffentlich – nicht für sich, sondern für eine ganze Berufsgruppe.

Wenn ein Kind zur Welt kommt, ist es für die Eltern ein einzigartiger Moment – und für Hebammen ein Beruf voller Verantwortung. Eine Verantwortung, die keine Pausen kennt, keine halben Einsätze und schon gar keine Abstufungen in Prozent. „Die Verantwortung bei jeder betreuten Schwangeren ist 100 Prozent, nicht 80 Prozent und auch nicht 30 Prozent“, sagt Irene Wiesenfarth. Sie ist eine von 13 freiberuflichen Beleghebammen am Klinikum Heidenheim und aktuell gemeinsam mit Ute Maier Sprecherin der Schlossberghebammen.

Beide betonen: Sie sprechen nicht aus persönlichem Interesse. Sie erheben ihre Stimme stellvertretend für viele Hebammen in Deutschland, die sich durch einen neuen Hebammenhilfevertrag in ihrer Existenz bedroht sehen. Und sie machen auch eines deutlich: „Das Klinikum Heidenheim hat mit dem Vertrag nichts zu tun.“ Der Konflikt findet auf anderer Ebene statt.

Ein Vertrag mit weitreichenden Folgen

Der neue Vertrag wurde im Frühjahr 2025 nach einem Schiedsverfahren zwischen Hebammenverbänden und dem GKV-Spitzenverband beschlossen und soll im November in Kraft treten. Er betrifft bundesweit mehr als ein Viertel aller Geburten, die in Belegkreißsälen betreut werden. In Baden-Württemberg sind 19 Kliniken betroffen, in Bayern sogar mehr als 80 Prozent der Kreißsäle. Eigentlich ging es um eine notwendige Anpassung der Gebührenordnung, die seit 2018 nicht mehr verändert wurde.

Doch das Ergebnis des Verfahrens ist für viele Hebammen ein Schock: Statt besser entlohnt zu werden, sollen freiberufliche Beleghebammen künftig weniger bekommen. Und das deutlich. „Die erste betreute Schwangere wird nur noch mit 80 Prozent des bisherigen Stundensatzes vergütet, die zweite oder dritte gleichzeitig betreute Schwangere sogar nur mit 30 Prozent“, erklärt Ute Maier. In der Realität bedeute das einen Einkommensverlust von bis zu 30 Prozent– bei gleichbleibender Arbeitsbelastung und Verantwortung.

Schlossberghebamme Irene Wiesenfarth. Foto: Rudi Penk

Kein Platz für Sparlogik im Kreißsaal

„Das ist, als würde ein Friseur drei Kunden gleichzeitig bedienen und für den zweiten und dritten nur einen Bruchteil des Lohns bekommen“, so Maier. Für sie und ihre Kolleginnen ist diese Regelung nicht nur wirtschaftlich problematisch, sondern auch ein Zeichen mangelnder Anerkennung. „Wir tragen Tag und Nacht Verantwortung für die Gesundheit von Mutter und Kind und sollen dafür nun deutlich weniger verdienen.“ Warum dieser Vertrag zustande kam? „Sparmaßnahmen der Krankenkassen“, vermutet Wiesenfarth. „Und leider fängt man da oft bei kleinen Berufsgruppen an.“ Beide bedauern, dass Hebammen kaum politische Schlagkraft haben. „Wir haben keine Lobby“, sagt Maier nüchtern.

Vor einer ungewissen Zukunft

Noch wirkt sich der neue Vertrag in Heidenheim nicht aus. Die Schlossberghebammen halten zusammen. „Wir haben ein starkes Team, sind hoch motiviert und lieben unseren Beruf“, sagt Wiesenfarth. Doch aus anderen Regionen hören sie schon von Kolleginnen, die ihre Selbstständigkeit aufgeben, mit spürbaren Folgen für die Versorgung. „Wir alle machen das nicht, weil es nur ein Job ist. Es ist eine Berufung“, sagt Wiesenfarth. Dass das gut funktioniert, zeigt sich auch an der Resonanz: Trotz rückläufiger Geburtenzahlen deutschlandweit konnten im Landkreis Heidenheim 2024 fast 1000 Geburten betreut werden – ein Beleg für die Qualität und das Vertrauen, das die Frauen in das Belegsystem setzen. Maier betont: „Das System hat nur Vorteile – für Mütter, für uns Hebammen, für das Klinikum. Es wäre bitter, das durch falsche Weichenstellungen zu gefährden.“

Schlossberghebamme Ute Maier. Foto: Rudi Penk

Appell an Politik und Gesellschaft

Dass der neue Vertrag vollständig zurückgenommen wird, hält sie für unrealistisch. Aber: „An den negativen Stellen muss auf jeden Fall nachgearbeitet werden“, fordert Maier. Der Appell der Schlossberghebammen ist klar: „Wir wünschen uns politische Unterstützung und die Anerkennung unserer Arbeit, nicht nur mit Worten, sondern auch mit tragfähigen Rahmenbedingungen.“ Denn Geburtshilfe ist mehr als ein wirtschaftlicher Prozess. Es ist einer der sensibelsten Bereiche der Gesundheitsversorgung – und dafür braucht es Menschen, die sich mit ganzem Herzen und voller Verantwortung einsetzen können. Und dürfen.

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar