Ein Kind, das zwischen streitenden Eltern zerrieben wird. Ein Vater, der Gewalt als Erziehungsmittel verinnerlicht hat. Zwei Kinder, die zu Hause ausrasten, obwohl sie in der Tagesgruppe als unauffällig gelten. Es sind Szenen aus Familien, in denen das Jugendamt eingreifen muss, weil das Leben von Kindern aus der Bahn gerät. In manchen Fällen so massiv, dass über eine Fremdunterbringung in einer Pflegefamilie oder im Heim gesprochen wird. Oder über das, was passieren könnte, wenn niemand handelt oder alle herkömmlichen Hilfen versagen: Verwahrlosung, seelische Störungen, im schlimmsten Fall der Tod eines Kindes. Dann wird gefragt: Wie konnte das passieren, warum hat niemand etwas unternommen?
Was tun, wenn Eltern nicht mehr erziehungsfähig sind?
Der Landkreis Heidenheim führt mit der Aufsuchenden Familientherapie (AFT) nun eine neue Form der Hilfe ein, um Familien in solchen extremen Lebenslagen zu erreichen. Der Jugendhilfeausschuss hat dem neuen Konzept einstimmig zugestimmt.
Ziel ist es, Familien nicht mehr nur sozialpädagogisch, sondern therapeutisch fundiert zu begleiten – dann, wenn andere Hilfen nicht mehr greifen. So beschrieb es Robin Schwarz, Jugendhilfeplaner beim Landratsamt Heidenheim, den Kreisrätinnen und Kreisräten. Eingesetzt wird die Hilfe zum Beispiel bei Eltern, die selbst stark belastet sind und kaum noch Zugang zu ihrem Kind finden oder durch eigene Krankheit, Sucht, finanzielle Sorgen oder andere Umstände erziehungsunfähig sind. Oder wenn ein Kind zwischen den Eltern aufgerieben wird.
Zwei Beispiele von Familien mit schweren Belastungen
So wie in diesem Fall, den Schwarz beschrieb: Mutter, Vater, ein Kind – die Eltern haben sich getrennt und haben einen massiven Scheidungskonflikt. Beide kämpfen um das Sorgerecht, beide wollen, dass das Kind bei ihnen lebt. Die Mutter ist selbst im Heim aufgewachsen und will auf keinen Fall, dass das auch ihrem Kind widerfährt. Der Vater stammt aus einem gewaltvollen Elternhaus mit autoritären Rollenbildern – für ihn ist klar, dass das Kind bei ihm aufwachsen muss. Das Kind selbst entwickelt eine psychische Störung. Zum Glück erfährt das Jugendamt von diesem Fall oder betreut die Familie schon durch andere Maßnahmen und schaltet AFT-Fachleute ein. Im besten Fall passiert nun folgendes: Beide Eltern lernen, ihre eigenen Muster zu erkennen, und hinterfragen ihre Überzeugungen. Nach einem Jahr kann der Fall in eine Scheidungsberatung übergeben werden, die Situation für das Kind ist geklärt.
Wir sprechen nicht über eine klassische Hilfe zur Erziehung mit Fallzahlen von 100 Fällen im Jahr, sondern über Fallzahlen, die wir an zwei Händen abzählen können.
Robin Schwarz, Jugendhilfeplaner
In einem anderen Fall geht es um eine Familie mit zwei Kindern. Beide sind unauffällig in der Tagesgruppe, doch zu Hause eskaliert die Situation fast täglich. Die Familie wird bereits durch sozialpädagogische Familienhilfe begleitet. Doch die Fachkräfte sehen: Die Erziehungsfähigkeit der Eltern ist stark eingeschränkt – auch aufgrund eigener, traumatischer Kindheitserfahrungen. Eine Fremdunterbringung steht im Raum. Mit der AFT gelingt es, die Eltern zur Therapie zu motivieren. Ihre Erziehungskompetenz wächst – die Kinder können in der Familie bleiben.
Im Heidenheimer Modell Hilfe für maximal ein Jahr
Das Konzept sieht laut Schwarz vor, dass immer ein festes Tandem aus Therapeutinnen und Therapeuten die Familien über einen Zeitraum von meist 26 Wochen eng begleitet – bei Bedarf maximal bis zu einem Jahr. Die Fachkräfte kommen zu den Familien nach Hause, beobachten, sprechen, hinterfragen. Und sie helfen, Strukturen zu schaffen, die das Aufwachsen der Kinder wieder sicher machen.
Jugendhilfeplaner Robin Schwarz: „Um es vorneweg zu nehmen: Wir sprechen nicht über eine klassische Hilfe zur Erziehung mit Fallzahlen von 100 Fällen im Jahr, sondern über Fallzahlen, die wir an zwei Händen abzählen können. Aber gerade für diese schwierigen Fälle brauchen wir neue Ansätze, damit wir kostenintensive Dauerhilfe und stationäre Maßnahmen vermeiden können.“
Fokus auf ambulante Hilfe, Pflegefamilien und Unterhalt
Eine Schlüsselrolle in der Jugendhilfe spielt der Bereich der individuellen Hilfen für junge Menschen und ihre Familien. Dazu zählen unter anderem die sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehungsbeistände sowie stationäre Unterbringungen und Inobhutnahmen.
Ziel ist es, Kinder möglichst in ihren Familien aufwachsen zu lassen. Um stationäre Einweisungen zu vermeiden, wird verstärkt auf ambulante Hilfeformen gesetzt. Zum Vergleich: Für die stationäre Unterbringung veranschlagt der Landkreis pauschal mehr als 32.000 Euro pro Fall und Jahr. Bei ambulanten Hilfen sind es rund 4600 Euro.
Die prognostizierten Gesamtausgaben für die Hilfen zur Erziehung betragen im Jahr 2025 rund 8,4 Millionen Euro. Etwa 2,1 Millionen Euro davon sind für ambulante Maßnahmen vorgesehen, 5,6 Millionen Euro für stationäre Hilfen und 650.000 Euro für teilstationäre Angebote wie Tagesgruppen. Erwartet werden insgesamt 660 Fälle, wovon 452 auf ambulante Hilfen entfallen, 175 auf stationäre Maßnahmen, darunter 90 in Vollzeitpflege, sowie 33 auf teilstationäre Angebote.
Eine weitere zentrale Position im Jugendhilfeetat stellen die Unterhaltsvorschussleistungen dar. Sie sollen Nachteile für Kinder und alleinerziehende Elternteile ausgleichen, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil nicht oder nicht regelmäßig zahlt. Ziel ist es, durch konsequente Rückforderungen und frühzeitige Einstellungen der Leistungen die Rückzahlungsquote zu steigern. 40 Prozent hat der Landkreis anvisiert. Für das Jahr 2025 sind Unterhaltsleistungen in Höhe von rund 4,86 Millionen Euro eingeplant, bei insgesamt mehr als 1700 Fällen.