Einmal im Jahr laden die Architektenkammer Baden-Württemberg und die Kammergruppe Heidenheim zum Tag der Architektur. Die Rundfahrt ist gefragt, die zu vergebenden Plätze im Reisebus sind schnell ausgebucht. So auch diesmal. Die rund 50 Teilnehmer machten sich diesmal auf zu drei Stationen. Bei der ersten, einem ehemaligen Raiffeisen-Lagerhaus an der Brückenstraße in Herbrechtingen, besichtigte die Gruppe eine Dachwohnung. Der zweite Stopp im Haintal führte in die Aula der ehemaligen Voith-Ausbildungsstätte, wo die weitere Planung für das noch zu bebauende Quartier Haintal/Hardtwald vorgestellt wurde. Den Abschluss bildete die Besichtigung des Digital-Campus der DHBW, ergo den Hochschulneubau auf dem ehemaligen WCM-Gelände.
Nichts muss, alles kann: das ehemalige Raiffeisen-Gebäude in Herbrechtingen
Nichts muss, alles kann: Unter dieser Überschrift lässt sich zusammenfassen, wie Julia und Kevin Weiß sich das Leben und Wohnen unter dem Dach des ehemaligen Raiffeisen-Lagerhauses direkt an der Brenz in Herbrechtingen vorstellen.

Alles ist offen in dem 180 Quadratmeter-Raum: der Blick ins Dachgebälk, die Küche, der Übergang zwischen Wohnen, Essen, Arbeiten und Relaxen. Das Element, das all dies möglich macht und zugleich verhindert, dass bloß ein schnödes Loft entstand, ist ein rund zehn Meter langer, raumgliedernder Schrank. Er trennt Schlafen, Bad, WC und Hauswirtschaftsraum ab, lässt diese privaten Bereiche Koje für Koje hinter corallfarbenen Türen verschwinden. Auf dem Rest der Fläche sind dafür die Zonen im Fluss. „Die Gedanken können hier genauso frei sein wie der Raum“, sagt die Bauherrin.

Entworfen hat diesen Schrank, der wahrlich ein Raumwunder ist, weil er nicht nur Räume trennt, sondern auch sämtlichen Hausrat und Wäsche in sich aufnimmt, der Bauherr selbst. Kevin Weiß ist nicht nur Raum- und Objektdesigner, sondern auch Schreinermeister.

Der Umbau des Dachgeschosses, das zuvor jahrzehntelang als Lagerraum für Sämereien gedient hatte, ist allerdings nur ein Teil des Großprojekts Brückenstraße 6. Denn auch die Fassade, das unten liegende Ladengeschäft sowie die Außenanlagen wurden zwischen 2022 und 2024 modernisiert. Der Anspruch der Bauherren war dabei, die ursprüngliche Ansicht des Gebäudes wiederherzustellen, seinen Charakter zu erhalten, dabei obendrein nur „ehrliche“ Baumaterialien wie heimische Lärche zu verwenden und auch nachhaltig zu heizen, wie Kevin Weiß betont.
Info: Ein Video-Rundgang durch die Dachgeschosswohnung von Kevin und Julia Weiß gibt es in der Reihe „Roomtour“ der ARD. Zu finden ist das Video unter link.hz.de/roomtour
Die Frage der Lage: das Haintal und der Hardtwald in Heidenheim
Ideal gelegen oder ein kaltes Loch? Auf diese Frage gab es bei der zweiten Station im Heidenheimer Haintal mehrere Antworten. Rundfahrt-Teilnehmer, die einst selbst im Voith-Ausbildungszentrum in der Talsenke im äußersten Osten der Stadt gelernt hatten, waren eindeutig im Team „kaltes Loch“. Johannes Panzer, Geschäftsbereichsleiter für Stadtentwicklung, Städtebauliche Planung und Umwelt bei der Stadt Heidenheim, indes betonte die Vorzüge des künftigen Quartiers, von dem zwar noch nichts zu sehen ist, das aber seit mehr als sieben Jahren Gegenstand von Planungen ist.
Wo sich der Prozess aktuell befindet und welche Zukunftsaussichten es für das 8,2 Hektar große Areal Haintal/Hardtwald gibt, darüber wurde in der Aula der ehemaligen Voith-Ausbildungsstätte offen diskutiert. Zunächst aber stellte Panzer vor, was das Bebauungsplanverfahren der Stadt nun vorsieht.

Projektiert sind rechts und links der Landesstraße Wohnhäuser mit drei bis fünf Geschossen, die in Gruppen jeweils Innenhöfe umrahmen, die als halböffentliche Erholungsfläche dienen sollen. Direkt an der Straße sind höhere Häuser geplant, um eine Art Stadteingang zu schaffen. Zwischen den Häusergruppen sollen Frischluftschneisen Durchblicke gewähren und die Bebauung auflockern.

Geplant sind die Bereiche als Wohnbebauung und als Mischgebiet, sodass nicht lärmendes Gewerbe wie Einzelhändler, Ärzte, Büros und ähnliches ins Quartier integriert werden können. Überdies soll ein „Platz der Sinne“ beide Wohngebiete dies- und jenseits der Landesstraße verbinden. Der Platz soll urbanen Charakter bekommen und mit zwei Bushaltestellen den „Mobilitätsschwerpunkt“ der Siedlung bilden. Private Stellplätze für Autos sind fürs ganze Quartier unterirdisch in einer Tiefgarage geplant.
Nach derzeitigem Stand hofft Panzer darauf, dass der Bebauungsplan spätestens Anfang 2026 beschlossen wird. „Das ist eine langwierige Geschichte“, räumt er mit Blick auf den zurückliegenden Planungsweg ein. Davon abgesehen aber ist Panzer optimistisch, was das Interesse möglicher Investoren und die Umsetzung angeht.

Bedenken seitens manchem Rundfahrt-Teilnehmer, dass gerade die geplante, hochwertige Bauweise mit entsprechend später verbundenen höheren Mietpreisen in der potenziell eher unattraktiven Lage des Haintals doch ein Widerspruch sei, wollte Panzer so nicht gelten lassen. Zum einen, weil in Zeiten des Klimawandels vielleicht eines Tages gerade eine schattigere Lage interessant sein könne. Zum anderen betonte er die gute Verkehrslage für Pendler, die beispielsweise im Giengener Raum arbeiten.
Das kleine Schwarze: der Erweiterungsbau der DHBW Heidenheim
Auch wenn die kilometermäßige Entfernung zur nächsten Station der Rundfahrt gering war, so hat auch das dritte Projekt einen längeren Weg hinter sich, bis es Ende Mai für die Nutzung übergeben werden konnte: der Erweiterungsbau der Dualen Hochschule auf dem ehemaligen WCM-Areal. Für rund 800 Studierende und die Zukunftsakademie bietet der Neubau, in dem Beton, Stahl und Glas dominieren, an der Brenz Platz.

Den Gästen der Rundfahrt präsentierten der Projektleiter des Stuttgarter Architektenbüros, Andreas Lutterbach, sowie Jens Wätzold für den Bauherren, den Landesbetrieb für Vermögen und Bau, die Besonderheiten des Gebäudes, das nicht nur klimaneutral betrieben wird, sondern auch vielfach darauf ausgelegt ist, flexibel genutzt zu werden. So gibt es in den meisten Seminarräumen mobile Trennwände. Auch die Aula, die sich über zwei Stockwerke in der Höhe erstreckt, ist räumlich teilbar. Im Außenbereich ist Platz für einen dritten Würfel, für den es bei Bedarf auch schon Planungen gibt.

Erstmal aber soll sich nun nach und nach das Gebäude mit Leben füllen. Es muss buchstäblich ausprobiert werden, wie Wätzold den Rundfahrt-Teilnehmern schilderte. „Wir müssen sehen, ob aus jeder Dose wirklich auch das Kabel herauskommt, das herauskommen soll.“ Es gebe bereits eine Liste an Nacharbeiten. Doch das sei normal bei einem Projekt in der Größenordnung. Zum Wintersemester kommt die volle Nutzung. Dann wird die kleine Schwester des großen schwarzen DHBW-Würfels vor allem digitale Studiengänge unter ihrem Dach beherbergen.
Neben der Heiz- und Kühltechnik, die über Kollektoren in den 64 Gründungspfählen funktioniert, war vor allem die anthrazitfarbene Keramik-Fassade ein Thema, das bewegte. Warum man keine Fassaden-Photovoltaik-Kollektoren integriert habe, wollte etwa ein Teilnehmer wissen. Die Erklärung: Es gab keine auf dem Markt, die den hohen Brandschutzanforderungen gerecht werden. Wäre man auf einen geringeren Standard gegangen, so hätten Rettungs- und Evakuierungspläne grundlegend überarbeitet werden müssen.

Weiteres Thema war zudem die Kunst am Bau, dabei vor allem die in Beton gefräste Brenz, die sich vom Erdgeschoss bis unters Dach schlängelt. Das Kunstwerk habe von Baubeginn an mitgeplant werden müssen: vom Guss der Sichtbetonwände hin bis zur Gerüstplanung. Die echte Brenz fließt währenddessen direkt am Gebäude vorbei. Und ein wenig Wasser wird auch sie noch hinuntergehen müssen, bis auch außen alles so aussieht, wie geplant. Vorgesehen ist eine Bepflanzung mit heimischen Arten im naturnahen Stil. Doch bis die keimt, dauere es noch Monate, war zu erfahren.
