Die Verhandlung am Amtsgericht Heidenheim am Montag war geprägt von Anträgen, Unterbrechungen und einer polizeilichen Suche. Der Angeklagte Wolfgang Erhard Reich, AfD-Stadtrat sowie Rechtsanwalt und Steuer- und Wirtschaftsprüfer, musste sich wegen des Vorwurfs der unrichtigen Darstellung nach dem Aktienrecht verantworten.
Soweit wir in unserem Beitrag „Untreuevorwurf gegen Stadtrat und Sohn“ vom 1. Juli 2025 berichtet hatten, dass sich Wolfgang Erhard Reich wegen Untreue habe verantworten müssen, stellen wir hiermit richtig, dass kein Untreuevorwurf gegen Wolfgang Erhard Reich bestand.
Das Verfahren gegen seinen Sohn Wolfgang Wilhelm Reich, angeklagt wegen Anstiftung zur Untreue, wurde abgetrennt. Der Grund: Dieser war zur öffentlichen Hauptverhandlung nicht erschienen. Nachdem auch eine polizeiliche Vorführung gescheitert war, erließ Richter Dr. Christoph Edler zwar zunächst Haftbefehl, hob diesen jedoch nach dem Urteilsspruch am gleichen Tag wieder auf. Das Verfahren gegen den dritten Angeklagten, den damaligen Vorstand der Klosterbrauerei Königsbronn AG, wurde gegen eine Geldauflage von 2000 Euro eingestellt. Sein Anwalt hatte mehrmals diese Lösung offeriert: „Mein Mandant hat sich beruflich neu orientiert, arbeitet außerhalb der Reich-Gruppe, mit der er seit fünf Jahren nichts mehr zu tun hat.“
Um was geht es im Gerichtsverfahren?
Im Zentrum des Verfahrens stand ein fast zehn Jahre zurückliegendes Immobiliengeschäft an der Meeboldstraße 50/52 in Heidenheim und dessen Finanzierung über Darlehen innerhalb des Firmengeflechts der Familie Reich. Die Kremlin AG hatte Ende Dezember 2015 das Mehrfamilienhaus erworben, konnte den Kaufpreis aber nicht aus eigener Kraft finanzieren. Wolfgang Erhard Reich sei – so die Darstellung von Oberstaatsanwalt Peter Humburger – faktischer Vorstand gewesen und hätte das Darlehensgeschäft eingefädelt.
Zur Finanzierung überwiesen die Klosterbrauerei Königsbronn AG sowie die Beteiligungen im Baltikum AG, beide Teil des Firmengeflechts, insgesamt 395.000 Euro an die Kremlin AG – ohne ausreichende Rückzahlungssicherheiten, wie die Staatsanwaltschaft kritisierte. Die Verträge seien mündlich geschlossen worden, es habe keine Vereinbarungen zur Rückzahlung gegeben, und die Zinsen seien niedriger als üblich bei Risikodarlehen gewesen. Gerade wegen dieser Umstände hätte das Darlehen im Jahresabschluss der Klosterbrauerei als Risikofaktor im Lagebericht zur künftigen Entwicklung auftauchen müssen – was nicht der Fall gewesen sei. Dies war einer der zentralen Vorwürfe gegen die Angeklagten.
Das sagt die Gutachterin: kein finanzieller Schaden
Per Videoschalte war die Kölner Diplom-Kauffrau Sabine Krauß als gerichtliche Sachverständige zur Verhandlung geladen. Sie sollte im Auftrag des Amtsgerichts bewerten, ob durch das im Dezember 2015 gewährte Darlehen in Höhe von 395.000 Euro an die Kremlin AG ein finanzieller Schaden entstanden war. Ihre Antwort lautete: Nein.
So etwas ist hoch risikobehaftet und unüblich – insbesondere in dieser Höhe.
Sabine Krauß, Gutachterin
Allerdings wäre nach ihrer Einschätzung ein solcher Kredit von einem externen Dritten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gewährt worden. „Es handelt sich um ein ungesichertes Darlehen ohne schriftliche Vereinbarung. So etwas ist hoch risikobehaftet und unüblich – insbesondere in dieser Höhe.“ Auch der vereinbarte Zinssatz von rund zwei Prozent über dem Basiszins liege deutlich unter dem marktüblichen Niveau für vergleichbare Hochrisikodarlehen, das aus ihrer Sicht eher zwischen fünf und acht Prozent hätte liegen müssen.
Wolfgang Erhard Reich sah dies anders: „Es geht um drei Gesellschaften, wo sich alle Vorstände kennen, wo alle im Vertrauensverhältnis stehen. Da braucht man keinen Vertrag, denn es wird kein Risiko gesehen, es wird nichts abgeschrieben, weil jeder weiß: Da geht keiner mit einem Euro Verlust raus.“ Eine Sichtweise, die vor allem die als Zeugen geladenen Aktionäre der Klosterbrauerei Königsbronn so nicht teilten: „Ich halte es für einen Skandal, wenn ein Vorstand ein Darlehen auf Zuruf rausgibt, ohne Sicherheiten.“
Staatsanwaltschaft: Risikodarlehen bewusst verschwiegen
Staatsanwalt Peter Humburger warf Wolfgang Erhard Reich vor, den Jahresabschluss 2015 als Aufsichtsratsvorsitzender gebilligt zu haben, obwohl darin wesentliche Angaben zur finanziellen Lage fehlten. Das Darlehen habe einen nicht unerheblichen Teil des Gesellschaftskapitals ausgemacht, sei nicht als Risiko aufgeführt worden – obwohl sich die wirtschaftliche Lage der Darlehensnehmerin bis zur Abschlussaufstellung deutlich verschlechtert habe. Humburger forderte eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 160 Euro für Wolfgang Erhard Reich.
Verteidigung: Keine operative Verantwortung
Völlig anders sah das Verteidiger Gerhard Proksch. Er argumentierte, dass Reich als Aufsichtsratsmitglied keine operative Verantwortung getragen habe. Seine Aufgabe sei die Kontrolle gewesen, nicht die Geschäftsführung. Zudem habe die vom Gericht bestellte Sachverständige bestätigt, dass durch das Darlehen kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei.
Ich verstehe nicht, wie man dem Aufsichtsrat daraus einen Strick drehen kann.
Wolfgang Erhard Reich, Beschuldigter
Der Verteidiger forderte deshalb Freispruch. Auch Reich selbst zeigte sich empört: „Ich verstehe nicht, wie man dem Aufsichtsrat daraus einen Strick drehen kann.“ Und weiter: „Das Darlehen war ohne Relevanz bezüglich der Bilanzsumme und der Vermögenslage.“
So begründet der Richter den Freispruch für Wolfgang Erhard Reich
Richter Dr. Christoph Edler folgte dieser Argumentation im Wesentlichen: Zum Zeitpunkt der Darlehensgabe seien alle Beteiligten miteinander verwoben gewesen. Er sprach von einem „Gentlemen‘s Agreement“ ohne Risiko. Das änderte sich, als die Klosterbrauerei 2016 das Darlehen fällig stellte, es die Kremlin AG jedoch nicht zurückzahlte. „Spätestens dann hätte man im Lagebericht ergänzen müssen: Wir haben ein Risikodarlehen.“ Zum Hintergrund: Damals musste Sohn Wolfgang Wilhelm Reich seinen Posten als Vorsitzender räumen aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung, und eine neue Person wurde als Vorstand berufen.
Entscheidend sei jedoch die Frage gewesen, ob der Angeklagte als Aufsichtsratsvorsitzender rechtzeitig Kenntnis von der kritischen Entwicklung hatte. Dies ließ sich laut Gericht nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen. Eine Beteiligung oder Kenntnis sei zwar möglich, aber nicht sicher belegbar. Damit sei der Tatbestand der unrichtigen Darstellung nicht erfüllt – der Richter sprach den Angeklagten frei.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wie die Staatsanwaltschaft Ellwangen mitteilt, hat sie das Rechtsmittel der Berufung gegen das Urteil eingelegt.
Was ist eine unrichtige Darstellung?
Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs oder des Aufsichtsrats einer Kapitalgesellschaft machen sich laut Gesetzestext strafbar, wenn sie die Verhältnisse der Gesellschaft in der Eröffnungsbilanz, im Jahresabschluss oder im Lagebericht unrichtig wiedergeben oder verschleiern. Der Strafrahmen umfasst eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.