Einzelhandel unter Druck

Fotografen in der Krise: Passbild-Automaten des Bundes bedrohen lokale Fotogeschäfte

Fotogeschäfte in Heidenheim klagen über Passfoto-Automaten in Behörden. Seit Mai sei ihnen ein großer Teil ihres Ertrags weggebrochen. Die Stadtverwaltung argumentiert mit dem Wunsch des Gesetzgebers.

Ein Lächeln, einen Moment für die Ewigkeit festzuhalten, ist der Beruf von Ulrich W. Becker und Kai Fröscher. Becker betreibt das gleichnamige Fotofachgeschäft an der Olgastraße, Fröscher ist seit Mitte 2024 Inhaber von Photo-Porst am Heidenheimer Wedelgraben. Seit einiger Zeit ist ihnen selbst das Lächeln zeitweise vergangen. Der Grund hat den harmlos erscheinenden Namen „Aufnahmesystem der Bundesdruckerei“.

Zwei dieser Systeme stehen im Heidenheimer Rathaus. Seit 1. Mai können sich Menschen, die ein Passfoto für einen Personalausweis oder einen Reisepass benötigen, direkt vor den Automaten setzen und fotografieren lassen. Das Bild steht der Verwaltung dann sofort digital zur Verfügung und wird im Anschluss gelöscht. Der Gedanke dahinter: Passbilder sollen fälschungssicher und vor unbefugtem Zugriff geschützt sein. Ein weiteres Gerät ist im Landratsamt Heidenheim in der Ausländerbehörde in Betrieb.

Fotohändler: Ertrag hat sich halbiert

Bis Mai waren solche Bilder in großer Zahl eine Domäne der professionellen Fotografen. Was sie seither verzeichnen, ist mit dem Begriff Umsatzrückgang unzulänglich umschrieben. Becker und Fröscher sprechen von einem Einbruch, der ihnen etwa die Hälfte des Ertrags genommen hat.

Hat sich per Brief an OB Salomo gewandt: Fotografenmeister Ulrich W. Becker. Natascha Schröm

Das hat für die beiden Unternehmer drastische Auswirkungen: Fotografenmeister Becker sagt, dass er die Ausbildung junger Fotografinnen und Fotografen aus Kostengründen vorerst aussetzt. Bislang hatte er zwei Ausbildungsstellen vorgehalten. Fröscher musste sich von einem Mitarbeiter trennen. In anderen Städten ist die Lage offenbar noch dramatischer: In Aalen haben laut Becker zwei alteingesessene Fotogeschäfte jüngst geschlossen, dort gibt es jetzt keinen Fotohändler mehr. Auch in Schwäbisch Gmünd und Ellwangen kam es zu Schließungen.

Damit es in Heidenheim nicht so weit kommt, hat sich Becker im September in einem Brief an Heidenheims Oberbürgermeister Michael Salomo gewandt. Darin verweist Becker auf die Folgen durch den Automatenbetrieb, aber auch auf eine „Zusage“ von Salomos Vorgänger Bernhard Ilg, keine Automaten aufzustellen. Noch 2023 habe man ihm, so Becker, aus dem Heidenheimer Rathaus schriftlich zugesichert, nicht „ohne Not“ Passbilder verwaltungsintern zu erstellen.

Verzeichnet seit Mai Ertragsrückgang: Photo-Porst-Inhabert Kai Fröscher. Natascha Schröm

Der Brief ist auch den Mitgliedern des Heidenheimer Gemeinderats bekannt, zumindest dem Großteil. Stadtrat Christoph Weichert erkundigte sich in der jüngsten Ratssitzung, wie sich die Verwaltung zu Beckers Schreiben stelle. Der Brief werde rathausintern geprüft, sagte Salomo und führte aus, der Gesetzgeber habe in Sachen Passfotos auf Möglichkeiten vor Ort gedrängt. Bislang hat Becker keine Antwort erhalten.

Zwei Automaten sind im Rathaus in Betrieb

Auf Anfrage der HZ teilt die Stadtverwaltung mit, die Aufstellung der Automaten sei „Wunsch des Gesetzgebers und unserer übergeordneten Behörden zur Steigerung der Bürgerfreundlichkeit“ gewesen. Die Automaten werden der Stadt kostenfrei zur Verfügung gestellt, die sechs Euro, die Nutzerinnen und Nutzer entrichten müssen, verbleiben in der Stadtkasse. Im Gegenzug haben die Rathausmitarbeitenden Arbeitsaufwand für die technische und organisatorische Betreuung der Geräte. Sprich: Fragen zur Bedienung müssen beantwortet werden, es muss auch stets ein Mitarbeitender in Sichtweite sein, um missbräuchliche Benutzung auszuschließen.

Der „Gesetzgeber“ ist in diesem Fall das Bundesministerium des Inneren (BMI). Das Ministerium hat sich im April 2024 in einem Schreiben an mehrere Landesbehörden gewandt, das angesichts zögerlicher Rückmeldungen aus den Kommunen offenbar Schub verleihen sollte. In dem Brief, der der HZ vorliegt, geht das BMI von „etwa 6000 Standorten“ für das Aufnahmesystem in Deutschland aus. Demnach wurde den Behörden vorab jeweils eine errechnete Anzahl benötigter Geräte mitgeteilt, die man „ausdrücklich als ein Angebot verstanden wissen“ solle. Allerdings: Kommunen, die dem Angebot nicht aktiv widersprachen, bekamen die Geräte in der Anzahl geliefert, wie sie die Bundesdruckerei vorgesehen hatte.

Gänzlich unabhängig wurden die Behörden dennoch nicht, denn das bundeseigene Aufnahmesystem Point-ID hat Lücken: Für Kinder unter 1,4 Metern und Kinder, die nicht stillhalten können, empfehlen manche Kommunen bereits den Gang zum Dienstleister. Gerade für solche aufwändigen Aufnahmen müssten sie eigentlich mehr verlangen, sagen Becker und Fröscher, aber angesichts der „Konkurrenz“ in den Rathäusern, haben sie verzichtet, ihre Preise aufwandsgerecht anzupassen.

Zugleich betonen Fröscher und Becker, dass ihre Aufnahmen einen Mehrwert bieten, sie können Kundinnen und Kunden die Bilder für mehrfache Nutzung zur Verfügung stellen, während der amtliche Automat die Bilder nicht speichert.

Im Heidenheimer Rathaus hat man gewisses Verständnis dafür, dass das neue Verfahren „eine wirtschaftliche Belastung“ für örtliche Fotografen darstelle. Aber: „Der Gesetzgeber hat sich trotzdem für diesen Schritt entschieden.“

Fotobranche: Eigenes System errichtet

In Deutschland gibt es rund 1500 Fotohändler, die zum größten Teil im Verbund Ringfoto organisiert sind. Hinzu kommen etwa 1500 freie Fotografinnen und Fotografen, die ebenfalls zu einem großen Teil von Passbildern lebten.

Für diese Unternehmerinnen und Unternehmer kam die Verteilung von Fotoautomaten in Behörden, die einen dreistelligen Millionenbetrag gekostet haben soll, nicht aus heiterem Himmel: Im Herbst 2019 befand der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), es sei auf Dauer zu gefährlich, Passbilder außerhalb von Behörden erstellen zu lassen. Die Ringfoto-Mitglieder waren alarmiert.

Seitdem arbeitete Ringfoto ein eigenes Verfahren zur Erstellung und Übermittlung fälschungssicherer Passbilder aus. Ein Upload-Verfahren wurde entwickelt, eine Hochsicherheits-Cloud wurde eingerichtet, aus der heraus die Bilder direkt an die Ämter gehen und ein halbes Jahr für weitere Nutzung vorgehalten werden. Die Fotohändler vor Ort mussten in Technik und Registrierungen investieren.

Im Falle der Pässe und Ausweise haben die Behörden mit den Aufnahmesystemen einen Schritt in Richtung Digitalisierung getan. Das Argument, nur digital über verschlüsselte Systeme übermittelte Fotos seien fälschungssicher, hat aber Lücken: Für Führerscheine sind weiterhin auch Papierbilder erlaubt.

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