Leserbrief

Digitaler Wandel mit Brechstange im Heidenheimer Festspielhaus

Leserbrief zum Service beim Meisterkonzert am 22. November im Heidenheimer Congress Centrum:

„Bares ist Wahres“ hat sich in der Vergangenheit gut bewährt. Im Heidenheimer Kulturbetrieb ist das mega out, es gilt jetzt „Bares, das war es, Service ist Rares.“ Beim Meisterkonzert im Festspielhaus wurden die Gäste an der Bar überrascht von dem Hinweis, nur Kartenzahlung sei möglich. Eine derartige Überrumpelung war einige Monate zuvor schon erprobt worden, hatte Frust bei den Gästen verursacht und wurde wieder zurückgenommen. Nun ein zweiter Versuch ohne jegliche Vorwarnung. Digitaler Wandel in Heidenheim mit der Brechstange.

Um Wettrennen in den Pausen zu vermeiden, gibt es in allen Kulturbetrieben der Welt die Möglichkeit, vor der Vorstellung einen Tisch mit Getränken und Speisen zu reservieren. Das schafft Kommunikationsplattformen, sichert den Künstlern im Saal den gebührenden Respekt, reduziert das Gedränge an der Bar, gibt auch Alten und Gehbehinderten die Chance, die Pause zu genießen. In Heidenheim: rigoros abgeschafft, mit der Folge des Wettlaufs zur und der Schlacht an der Bar.

Vom Servicepersonal war zu hören, dass die Regelung es enorm unter Stress bringe, weil ihm die Chance genommen sei, in Ruhe die Tische einzudecken, und die Gäste ungeduldig und unzufrieden seien. Um die Getränkeausgabe den neuen Bedingungen organisatorisch anzupassen, wurden zudem Getränke, die mehrere Handgriffe erfordern, abgeschafft.

Als das Festspielhaus eröffnet wurde, war das mit einem ganzheitlichen Genusserlebnis verbunden: Die räumliche Großzügigkeit lud zum Verweilen ein, die Akustik des Saals zum Ohrenschmaus, das Getränke- und Essensangebot zum kulinarischen Genuss. Es gab Pausenteller mit erlesenen Zusammenstellungen. Irgendwann mussten die belegten Brötchen weichen, die abends wie von vorgestern aussahen und schmeckten. Die vorletzte Stufe des Abstiegs waren lätschige Wraps. Jetzt hat man Speisen ganz abgeschafft.

„Entscheidung von ganz oben“, lassen die Bediensteten mit trauriger Miene wissen. Ganz oben scheint die Rationalisierung oberstes Gebot geworden zu sein. Dass Wein oder Bier ohne etwas zum Beißen in den Kopf steigt, scheint ebenso ignoriert zu werden wie die Geselligkeitsbedürfnisse der Gäste. Gut, man hat sich international angepasst, den Inhalt der Weingläser reduziert, und den Preis aufgerundet. Da kann der Wein den Gästen auch ohne Brezel nicht in den Kopf steigen, und dem Umsatz geht’s trotzdem gut.

Wehklagen über die unattraktive und leere Innenstadt und das fehlende Gastronomieangebot prägen die Gespräche in und über Heidenheim. Dem gegenüber erreichen die herausragenden Kulturangebote renommierte Preise und ziehen zahlungskräftiges Publikum hierher. Ob die Kulturbegeisterten auch noch Gutes erzählen, wenn die Profitgier im Festspielhaus sie sich an Getränkeautomaten bedienen lässt, darf mit Sorge erwartet werden.

Guido Lange, Heidenheim