Operationen sind etwas im Leben, worauf man wohl gut und gerne verzichten mag. Sollte das jedoch nicht möglich sein und eine OP ist notwendig, gar unumgänglich, verbreiten sich meist erst einmal Sorgen. Vollnarkose? Steht jetzt nicht gerade auf dem Wunschzettel. Geht bei dem Eingriff alles gut? Und vor allem: Wie wird es danach sein? Dass sich in solchen Fällen Angst, Unsicherheit und Kummer ausbreiten, ist keine Seltenheit. Anders jedoch ist das bei einer 87-jährigen Patientin, die kurz vor einer OP steht: Helga Müller (Name der Patientin von der Redaktion geändert) freut sich.
Achtung: Im folgenden Text wird eine Operation sehr detailgetreu beschrieben. Wenn Ihnen das Thema zu nahe geht oder negative Empfindungen/Gefühle auslöst, sollten Sie den Text nicht lesen.
Die bevorstehende OP ist keine klassische. Zumindest nicht ganz. Müller wird mit dem Da-Vinci-Roboter operiert. Bereits vor längerer Zeit hat man bei ihr einen Zwerchfellbruch festgestellt, der jedoch erst einmal nicht weiter schlimm war: Sie habe gut damit leben können, erzählt die Patientin. Das Zwerchfell trennt im menschlichen Körper die Brust- und Bauchhöhle. Aufgrund ihres hohen Alters sah man zunächst von einer Operation ab. Aber der Bruch wurde größer. Durch das entstandene Loch im Zwerchfell arbeitete sich der Magen aus der Bauchhöhle in die Brusthöhle und landete schlussendlich unter dem Herz – wo er natürlich nicht hingehört.
Das Ende vom Lied: eine Refluxerkrankung. Hierbei fließt Mageninhalt anhaltend und regelmäßig aus dem Magen hoch in die Speiseröhre. Das wiederum führt zu lästigen Symptomen wie Sodbrennen oder saurem Aufstoßen. Vor allem im Liegen machte Müller die Krankheit gravierende Probleme. Deshalb war eine OP vonnöten, um alles wieder an Ort und Stelle zu bringen. „Ich hatte mir in der Stadtbibliothek den Vortrag über den Roboter angesehen und beschlossen, dass, wenn eine Operation, dann nur damit. Ich bin so begeistert gewesen“, sagt die 87-Jährige.

Im OP-Saal steht der Da-Vinci, zwischen all den anderen Geräten, anfangs ganz unscheinbar an der Wand. Als wäre es eben ein typisches Utensil, das in Operationssälen steht. Wie sich später herausstellt: der Schein trügt. Insgesamt besteht der Roboter aus drei einzelnen Teilen: der Konsole, die vom operierenden Arzt bedient wird, dem Roboter selbst mit seinen vier Armen und einem großen, turmartigen Gerät, das die Software enthält.
Das gesamte Gerät bietet dem Arzt eine 3D-Ansicht und vergrößert das Bild bis auf das Zehnfache. Am Boden der Konsole befinden sich mehrere Pedale. Damit kann der Akteur die Steuerung der vier Arme wechseln. Gleichzeitig können immer nur zwei Arme bedient werden. Außerdem wird die Kamera im Körper mit den Pedalen umplatziert. Auch die hochfrequente Stromzufuhr an die Operationsinstrumente wird dadurch kontrolliert und weitergegeben.
Da-Vinci-Roboter kann nicht eigenständig operieren
Der operierende Arzt war in diesem Fall Professor Dr. Dr. Franck Billmann. Er kam am 1. Januar 2025 von der Heidelberger Uniklinik als neuer Chefarzt für Viszeral-Thorax- und Gefäßchirurgie ans Klinikum nach Heidenheim. „Die Arbeit mit dem Roboter läuft nach dem Meister-Sklaven-Prinzip: Der Roboter alleine kann nichts machen, er braucht für alles einen Befehl“, sagt der 47-Jährige. Und genau das sei ein Aspekt, der wohl viele Menschen noch verunsichere. „Oft höre ich: 'Von einem Roboter lasse ich mich nicht operieren.' Aber eben das ist nicht der Fall: Es sind immer noch wir Ärzte, die operieren, nur durch die Steuerung des Roboters anstelle unserer eigenen Hände.“ Das wird auch schnell ersichtlich.
Am Kopfteil der Konsole befinden sich Sensoren. Erst, wenn der Chirurg seinen Kopf an die dafür vorgesehene Position bringt, reagiert der Da-Vinci. In dem Moment, in dem der Arzt die Position verlässt, bleibt alles schlagartig stehen und der Roboter ist somit bedienungsunfähig. Zusätzlich sind die Steuerungselemente, die die Arme an dem Roboter bedienen, mit einer Sperre gesichert. Das heißt, sobald der Chirurg die richtige Position eingenommen hat, muss er die Elemente einmal entsperren - auch wenn die Sensoren den Kopf bereits erkannt haben.
Die Arbeit mit dem Roboter läuft nach dem Meister-Sklaven-Prinzip: Der Roboter alleine kann nichts machen, er braucht für alles einen Befehl.
Professor Dr. Dr. Franck Billmann, Chefarzt
Bevor es losgeht, wird die 87-jährige Patientin für den Da-Vinci vorbereitet. Auf einer speziellen Liege wird Helga Müller von der Narkosevorbereitung, bereits im Tiefschlaf, in den Operationssaal gerollt. Da darf keine Zeit verloren gehen: Auf dem Weg vom einen ins andere Zimmer sind die Patienten ohne Sauerstoff. Im OP-Saal angekommen, werden direkt wieder alle nötigen Kabel und Schläuche angeschlossen.
Bevor die Arme des Roboters in den Körper der Frau eindringen, muss die Bauchhöhle mit CO₂ aufgeblasen werden. Die Luft hebt die Bauchdecke von den Organen ab und bietet dem Operateur Spielraum. Erst jetzt legt Billmann selbst Hand an. Zentimetergenau muss der Professor auf der Außenseite des Bauches bemessen, wo die Arme des Roboters eingeführt werden. Hierfür kommen ganz klassisch ein Lineal und ein Stift zum Einsatz. Sobald die Striche ihren Platz haben, wird mit einem Skalpell der erste Schnitt gemacht. Dann noch einer, bis insgesamt sechs kleine Schnitte auf der Bauchdecke angebracht sind. Blut? Gibt es keins, es wird minimalinvasiv operiert.

In vier der sechs Schnitte kommen die Arme des Da-Vincis. Durch das fünfte wird die Kamera eingeführt. Das sechste dient wieder zum innerlichen Aufräumen: Da sich im oberen Bereich der Bauchhöhle ein sehr großes Organ, die Leber, befindet, muss diese für die Dauer der OP auf die Seite geschoben werden – und auch dort bleiben. Für eben diesen Effekt kommt durch das sechste Loch ein Instrument, das die Leber hält.
Tischassistenten begleiten Operation am OP-Tisch
Jetzt steht einer dreistündigen OP nichts mehr im Wege und der Chefarzt nimmt seinen Platz an der Konsole ein. Mit nur einem Knopfdruck wird das Gerät vollständig an seine Person angepasst. „Der Roboter kann die Einstellungen speichern. So muss ich nicht jedes Mal den Sitz erst einstellen oder alles auf mich anpassen, sondern nur auf meinen Namen drücken und er macht das alles passend“, so Billmann.
Bei dieser Operation braucht man deutlich mehr Instrumente, als der Roboter Arme hat. Damit der operierende Chirurg nicht für jeden Wechsel an den OP-Tisch gehen muss, gibt es den Tischassistenten. In diesem Fall ist es Oberarzt Alexander Habrom, ebenfalls von der Chirurgie. Zusammen mit Heike Hankel, die als Operationsassistentin tätig ist, begleitet er die OP die gesamte Zeit über am Operationstisch. Über Mikrofone, die am Kopfteil der Konsole befestigt und mit Lautsprechern im gesamten Operationssaal verbunden sind, kann sich Billmann mit allen anderen im Saal verständigen. So kann die Kamera immer wieder gesäubert und die Instrumente gewechselt werden.

Nun beginnt Billmann die Arbeit mit dem Roboter: Mit millimetergenauen Bewegungen der Steuerelemente ebnet sich der Professor seinen Weg im Körper der 87-jährigen Helga Müller. Neben all den Organen befinden sich in der Bauchhöhle noch jede Menge Gefäße und Gewebe. Um den Magen aus der Brusthöhle herauszuziehen, muss der Arzt zuerst an den Bruch gelangen. Dafür verwendet Billmann eine ganz kleine Schere und arbeitet sich mit großer Sorgfalt und gestochen scharfer 3D-Ansicht durch die Gewebe- und Gefäßstrukturen. In der anderen Hand führt er eine kleine Zange, die die Organe hebt oder zur Seite schiebt. Mit jedem Schnitt, den er mit der Schere macht, hallt ein Piep-Ton durch den ganzen Raum. Auf den Bildschirmen ist Dampf zu erkennen, von Blut nach wie vor keine Spur.
Arbeit mit hochfrequentem Strom
Alle Instrumente, die im Körper der Patientin dazu dienen, etwas zu entfernen, werden mit hochfrequentem Strom angesteuert. Und das ist auch der Grund, warum kein bzw. kaum Blut zu sehen ist, erklärt Daniel Paul, der ebenfalls als operationstechnischer Assistent im OP anwesend ist. „Das sind etwa 200 Grad, die an die Instrumente weitergeleitet werden. Damit wird der Schnitt direkt verödet“, sagt der 35-Jährige. Eine direkte Blutung nach den kleinen innerlichen Schnitten könne somit weitestgehend vermieden werden. Paul ist für diese OP als Springer eingesetzt. Wenn am OP-Tisch etwas fehlt oder aufgebraucht ist, steht er zur Stelle.

Die Operation neigt sich nun langsam dem Ende: Alle Organe sind wieder dort, wo sie hingehören. An der Stelle, wo der Bruch war, geht jetzt die Speiseröhre wieder durch ein der Größe entsprechendes Loch hindurch. Mit einem kleinen Netz, das Billmann am Schluss noch um die Speiseröhre herum an die Unterseite des Zwerchfells genäht hat, soll ein Rückfall der Erkrankung vermieden werden. Stück für Stück setzt die Anästhesie die Narkosemittel ab und Helga Müller darf wieder aufwachen.
Nur neun Tage später flitzt sie wieder durch ihre Wohnung, als wäre nie etwas gewesen: „Ich hatte zu keinem einzigen Zeitpunkt Schmerzen. Ich war auch schon zu Fuß wieder auf dem Markt und freue mich jetzt auf meinen Spargel“, sagt die 87-Jährige und lächelt zufrieden.
Befugnis zum Operieren nur mit Führerschein
Um mit dem Da-Vinci-Roboter operieren zu dürfen, müssen Ärzte und Ärztinnen vorab einen Führerschein für das Gerät machen. Dafür werden sie an bestimmte Zentren geschickt. „Der erste Tag war zur reinen Übung. Der zweite Tag auch, allerdings an einem Schwein“, erzählt Billmann. Dafür sei ein lebendes Schwein in Narkose gelegt worden. Im Anschluss muss sich ein Anwärter oder einer Anwärterin einer Prüfungs-OP unterziehen, bei der sie von einem Experten der Herstellerfirma begleitet werden. Neben Billmann haben in der Fachabteilung Chirurgie der leitende Oberarzt Dr. Thomas Rath sowie Oberarzt Habrom die Befugnis, am Da-Vinci zu operieren. Um das teure Gerät kümmern sich Daniel Paul und Theresa Zellhofer. Sie organisieren alles rund um den Da-Vinci, von Bestellungen neuer Instrumente bis hin zu Neuerungen oder Informationen, die an die Ärzte weiterzuleiten sind.