Um zu verstehen, wer Helmut Palmer war, muss man Anekdoten erzählen. Eine davon stellte Peter Schwarz gleich an den Anfang seines Vortrages über einen Mann, über den der Waiblinger Journalist und jahrelange Wegbegleiter sagt: „So zu sein, hält keiner aus – außer er selbst!“
Die Geschichte geht so: Ein Zeitungsredakteur führt mit Palmer ein Interview, man trinkt dabei ein Apfelschorle. Im anschließend abgedruckten Bericht fühlt sich der Befragte wie so oft „dramatisch missverstanden“ und schickt einen beleidigenden Brief in die Redaktion – inklusive einer Rechnung über 1,50 Mark für das von ihm kredenzte Apfelschorle.
So war er, der Remstal-Rebell. Aber er war eben noch viel mehr. In einer Art „Grundlagenkurs über Helmut Palmer“ versuchte Schwarz, in gut anderthalb Stunden das Porträt eines Mannes zu zeichnen, der irgendwie nicht greifbar ist. Der Vater des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer war laut Schwarz ein Bürgerrechtler, ein Beleidigungsgenie, ein Justizopfer, ein Performancekünstler und ein Baumflüsterer.
Zwischen 1957 und 2001 habe Helmut Palmer insgesamt 289-mal vergeblich für das Amt eines Oberbürgermeisters oder Bürgermeisters kandidiert. 1977 rüttelte der Obsthändler, der regelmäßig auch auf dem Heidenheimer Wochenmarkt anzutreffen war, am Thron des amtierenden Heidenheimer Stadtoberhauptes Martin Hornung, erhielt aber nur 8,7 Prozent der Wählerstimmen. Ganz im Gegensatz zu Schwäbisch Hall, wo er 1974 in zwei Wahlgängen auf jeweils über 40 Prozent kam und anschließend von 10.000 Menschen auf dem Marktplatz gefeiert wurde.
Das Anbrunzen nicht wert
Palmer hatte ein gestörtes Verhältnis zu Obrigkeiten und prangerte in deftigen Worten jegliche Form von Behördenwillkur an. „Sie sind das Anbrunzen nicht wert!“, soll er mal einem Kontrahenten an den Kopf geworfen haben. Gegenständliches in Form einer Windel warf er hingegen einem Staatsanwalt an den Kopf. Vor allem die ständigen Beleidigungen führten ihn immer wieder vor Gericht und auch ins Gefängnis. Nach Recherchen des Buchautors Jan Knauer musste Palmer 70 Verfahren über sich ergehen lassen, wurde 33-mal verurteilt und verbrachte 423 Tage in Haft.
Einmal erschien er in einer Robe zur Verhandlung. Als der Richter darauf bestand, die Amtstracht abzulegen, verweigerte Palmer dies mit dem Hinweis, es handle sich nicht um eine Robe, sondern um einen Talar. Die Posse ging so weit, dass ein Oberkirchenrat in den Gerichtssaal geholt wurde, der aber auch nicht genau definieren konnte, wie Palmers Outfit einzuordnen ist. Als der Angeklagte schließlich Robe beziehungsweise Talar auszog, kam eine KZ-Sträflingsbekleidung zum Vorschein. Ähnliches, versehen mit einem Judenstern, trug Palmer auch, als er am Fuße des Justizkrankenhauses Hohenasperg mit einem drei Meter langen Holzkreuz unterwegs war. Seine Schimpfkanonade wiederholte der selbsternannte Bürgerrechtler auf Wunsch eines SWR-Fernsehteams gerne nochmals – diesmal mit Blick in die Kamera.
Justiz, soll Helmut Palmer mal gesagt haben, sei „wie eine Hühnerleiter – beschissen von oben nach unten“. Von oben nach unten: Nicht von ungefähr fand sich diese Formulierung als Devise in seiner Tätigkeit als Pomologe und Obsthändler wieder. Einige Jahre verbrachte er in der Schweiz und eignete sich hier den sogenannten Öschbergschnitt an. Dabei verfuhr Palmer beim Entfernen von Zweigen nach der Vorgabe: „Die Oberen stutzen, damit die Unteren Licht bekommen.“ Das, so mutmaßte Peter Schwarz, entspreche wohl nicht nur zufällig auch seiner politischen Weltsicht.
Unbeheimatet in der Heimat
Palmers verfeinerter Öschbergschnitt fand später sogar Anerkennung an Lehranstalten und Universitäten, obwohl ihn einheimische Obstbauern ablehnten und sein eigener Verband ihn diffamierte. Ablehnungen gehörten von Beginn an zur Biografie des Mannes mit der unkontrollierbaren schwäbischen „Schwertgosch“. Weil er als uneheliches Kind mit einem jüdischen Vater im Heimatort Geradstetten schon früh Ausgrenzung und Lieblosigkeit zu spüren bekam, sei er traumatisiert gewesen, fühlte sich isoliert („unbeheimatet in der Heimat“) und traute keiner Obrigkeit mehr. Das sei einer der „Schlüssel zum Verständnis von Helmut Palmer“, urteilte ein Weggefährte.
Wie sie es so lange mit ihm ausgehalten habe, fragte sich bisweilen seine Frau Erika. Ihre Antwort: „Ich habe diesen Mann aus Liebe geheiratet.“ Helmut Palmer starb an Heiligabend 2004 in Folge einer Krebserkrankung.
Rebellentum musikalisch interpretiert
Knapp 100 Besucherinnen und Besucher folgten am Mittwochabend den Ausführungen von Peter Schwarz über das „vogelwilde Leben des Helmut Palmer“. Der Vortrag wurde musikalisch begleitet vom Sänger und Gitarristen Axel Nagel. Der Musiker aus dem Ostalbkreis brachte unter anderem eine „Anleitung zum Rebellentum“ zu Gehör, bastelte aus Schmähbriefen, die der Liedermacher Franz Josef Degenhardt erhalten hatte, eine „Schimpflitanei“, interpretierte Hannes Waders „Traumtänzer“ und beeindruckte dabei vor allem durch virtuoses Gitarrenspiel.