Wenn Hanne Bosch den Sitzungssaal des Amtsgerichts Heidenheim betritt, wird aus der Kommunalpolitikerin und Grundschullehrerin eine Richterin auf Zeit. Seit mehreren Jahren ist sie Schöffin – also ehrenamtliche Richterin ohne juristische Ausbildung. „Ich finde es wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger bei der Rechtsprechung eingebunden werden“, sagt sie. „Das ist für mich gelebte Demokratie.“ Als Schöffin sitzt sie im Strafgerichtssaal an der Seite eines Berufsrichters, in ihrem Fall dem Heidenheimer Richter Rainer Feil, und entscheidet gleichberechtigt mit über Schuld und Strafe. Das sei nicht immer leicht, betont sie. „Man spürt die Verantwortung ganz deutlich. Man entscheidet über Menschen und deren Zukunft.“
Ihr Weg zum Schöffentum
Hanne Bosch wurde in Giengen geboren und wuchs in einer Familie mit sieben Geschwistern auf. „Meine Schwester hat mich darauf gebracht, mich für das Schöffentum zu bewerben“, erzählt Bosch. „Sie meinte, dass ich durch mein Interesse an gesellschaftlichen Fragen und meine Erfahrung im Gemeinderat gut dafür geeignet wäre. Außerdem musste ich als älteste von sieben Geschwistern schon in meiner Kindheit viel schlichten.“

Nach ihrem Studium der Sozialwissenschaften sowie ehrenamtlichem Engagement in sozialen Projekten entschied sich Bosch, diesen Rat ernst zu nehmen. „Als die Stadt Giengen Schöffen für das Amtsgericht Heidenheim suchte, habe ich mich bewusst beworben“, sagt sie. Nach einer Auswahlprüfung und der Nominierung durch den Gemeinderat wurde sie offiziell als Schöffin bestellt. „Es war spannend, diesen Weg zu gehen – vom Hinweis meiner Schwester bis zur Amtseinführung im Gerichtssaal“, so Bosch.
Zwischen Aktenlage und Bauchgefühl
Vor Beginn einer Verhandlung wisse sie oft nur das Nötigste. „Ich bekomme vorher lediglich eine Mitteilung, wann ich erscheinen soll und welches Delikt es betrifft – zum Beispiel Diebstahl oder Körperverletzung“, erzählt Bosch. Alles Weitere erfahre sie erst im Gerichtssaal. „Das ist auch richtig so, denn das Urteil soll allein auf dem beruhen, was in der Verhandlung passiert“, erklärt sie. Sie müsse aufmerksam zuhören, Fragen stellen dürfen die Schöffen ebenfalls. Bosch beschreibt die Atmosphäre im Gerichtssaal als konzentriert, manchmal auch emotional: „Es gibt Momente, da nimmt man das mit nach Hause. Aber man lernt auch, das Gesehene ein Stück weit abzustreifen.“
Ein Ehrenamt mit großem Gewicht
Das Schöffenamt, betont Bosch, sei kein Zeitvertreib. „Man muss sich seiner Verantwortung bewusst sein“, sagt sie. Zwar sei sie als Gemeinderätin mit öffentlichen Entscheidungen vertraut, doch das Schöffentum sei noch einmal etwas anderes: „Hier geht es konkret um Menschen, um ihre Geschichte, um Gerechtigkeit.“ Besonders schätze sie den Austausch in der Urteilsberatung. „Jeder bringt seine Sichtweise ein. Es ist spannend, zu sehen, wie unterschiedlich man Sachverhalte wahrnimmt. Am Ende müssen wir gemeinsam zu einem Urteil kommen.“
„Das Volk entscheidet tatsächlich mit“
Rainer Feil, Direktor des Amtsgerichts Heidenheim und Vorsitzender des Erwachsenenschöffengerichts, betont die Bedeutung der Laienrichter: „Die Rechtsprechung findet im Namen des Volkes statt – und durch die Schöffen wirkt das Volk ganz konkret mit.“ Er erklärt, dass am Amtsgericht Heidenheim derzeit zehn Hauptschöffen im Einsatz sind, die in festen Teams arbeiten. „Diese Teams sind jeweils für bestimmte Wochen zuständig. Das sorgt für Planungssicherheit – und für Unabhängigkeit“, so Feil. Auch Feil hebt hervor, dass Schöffen keine juristische Ausbildung haben sollten, wohl aber Offenheit und Menschenkenntnis: „Man braucht keine Paragrafenkenntnis, sondern Lebenserfahrung, Empathie und die Bereitschaft, zuzuhören.“
„Ich würde es wieder tun“
Hanne Bosch empfinde ihre Aufgabe trotz des zeitlichen und emotionalen Aufwands nicht als Belastung, sondern als Bereicherung. „Ich habe einen anderen Blick auf unser Rechtssystem bekommen“, sagt sie. „Man sieht, dass Justizarbeit nicht schwarz-weiß ist. Da gibt es viele Zwischentöne.“ Wenn sie über ihr Ehrenamt spricht, spürt man ihre Begeisterung. „Ich würde es auf jeden Fall wieder tun“, sagt sie lachend. „Man wächst an der Aufgabe – und man versteht besser, was ‚im Namen des Volkes‘ wirklich bedeutet.“
Rechte, Pflichten und das Beratungsgeheimnis
Schöffen werden in Deutschland nur in Strafsachen eingesetzt. Vor Amtsgerichten urteilen sie bei Vergehen wie Diebstahl oder Körperverletzung, vor Landgerichten bei schwereren Delikten wie Raub oder Totschlag. Sie handeln gemeinsam mit Berufsrichtern und haben bei Urteil und Strafmaß gleiches Stimmrecht. In Zivilprozessen oder speziellen Jugend- und Schwurgerichten kommen sie nicht zum Einsatz. Während der Hauptverhandlung dürfen sie Fragen stellen und an allen Beratungen teilnehmen. Über die Beratung selbst jedoch müssen sie Stillschweigen bewahren – das sogenannte Beratungsgeheimnis verpflichtet sie, niemals über den Verlauf der internen Diskussion zu sprechen. Dieses Prinzip schützt die Unabhängigkeit der Rechtsprechung und die Vertraulichkeit gemeinsamer Entscheidungen.