Wer den Ratssaal unterm Dach des Giengener Rathauses betritt, erblickt links und rechts halbkreisförmige Tischreihen, an denen die Fraktionen sitzen. Von der Tür aus gesehen links die SPD und die Fraktion der Grünen und Unabhängigen, rechter Hand die CDU-Wählerblockfraktion und der Einzelvertreter der in Teilen gesichert rechtsextremen AfD. Dazwischen führt der Weg zur „Regierungsbank“ der Stadtverwaltung.
Zwischen diesen beiden Halbkreisen manifestiert sich seit der Kommunalwahl im vergangenen Jahr immer häufiger auch eine politische Trennung. Besonders deutlich zeigte sich dies in der jüngsten Sitzung: Anträge der einen Seite wurden mit der Stimmenmehrheit der anderen Seite abgelehnt.
Einstimmige Beschlüsse sind im Giengener Stadtparlament zwar alles andere als selten, aber eben auch nicht die Regel. Dennoch befand Benjamin Bahmann von der CDU-Wählerblockfraktion, mit den Entscheidungen vom Donnerstag sei die Zusammenarbeit im Rat „neu ausgelegt“ worden. Von „Totschweigen“ war bei Bahmanns Fraktionschef Matthias Herrmann die Rede. Was war geschehen?
CDU-Wählerblock sorgt sich um die Finanzen
Die elfköpfige CDU-Wählerblockfraktion hat sich seit der Neubesetzung des Rats im Frühsommer 2024 nicht zuletzt auf die Fahnen geschrieben, der Stadtverwaltung in finanzieller Hinsicht auf die Finger zu schauen. Vor allem an der mittelfristigen Finanzplanung gibt es seither Kritik. Giengen könnte sich übernehmen, so die Sorge, die in der vergangenen Woche in zwei Anträge mündete.
In seiner Rede zur Einbringung des Haushalts für 2025 hatte Henle im Oktober 2024 eine Neuausrichtung der städtischen Finanzpolitik erläutert: Man will Rücklagen abschmelzen und mehr Kredite aufnehmen, und zwar aus dem Gedanken heraus, dass eine finanzstarke Kommune mit weniger Fördermitteln aus Bund und Land rechnen kann als eine, die finanziell nicht ganz so weich gebettet ist.
Der im Dezember 2024 bei einer Gegenstimme von Wilhelm Oszfolk (SPD) beschlossene Haushalt wurde im Nachgang vom Regierungspräsidium Stuttgart geprüft und für „gesetzmäßig“ befunden. In den Erläuterungen des sogenannten Haushaltserlasses nehmen die Ausführungen aus der Landeshauptstadt aber einen mahnenden Ton an: „Nach der aktuellen Finanzplanung wird sich die stabile Finanzlage in den Folgejahren nicht fortsetzen.“ Entwickelten sich die städtischen Vorhaben und deren Finanzierung wie geplant, wird nach Einschätzung des RP „eine kritische Größe des Schuldenstands erreicht“. Mit Bezug auf diese Sätze beantragte der CDU-Wählerblock in der jüngsten Ratssitzung eine Stellungnahme seitens der Verwaltung samt Aussprache.
Diskussion im Gemeinderat nicht vorgesehen
Eine Diskussion sah die Stadtverwaltung jedoch nicht vor. OB Henle wollte zwar Stellung nehmen, der Rat sollte diese jedoch schlicht zur Kenntnis nehmen. „Der Erlass hat uns nicht überrascht“, so Henle. Im kommenden Jahr wolle man im Gegensatz zur Planung ein positives Ergebnis erwirtschaften, die Verwaltung stehe aber zum Ziel, die Liquidität zu senken und mehr Darlehen aufzunehmen, um dadurch leichter an Fördermittel zu gelangen. Weitere Aussprache werde es erst bei der nächsten Haushaltsberatung geben.
Die SPD-Fraktionsvorsitzende Gaby Streicher stellte danach einen Antrag zur Geschäftsordnung auf Schließung der Rednerliste zu diesem Punkt. Der Sachverhalt sei klar, die Diskussion „rückwärtsgewandt“. Dies wiederum fand Dr. Bernd Baumgartner „nicht nachvollziehbar“. Wesentliche Punkte des Antrags seiner Fraktion seien nicht beantwortet oder gar diskutiert worden. Dennoch wurde Streichers Antrag mit den Stimmen der SPD sowie der Grünen und Unabhängigen bei einer Enthaltung angenommen.
Ähnlich lief es beim nächsten Antrag der CDU-Wählerblockfraktion, der vorsah, die mittelfristige Finanzplanung von drei Jahren auf zehn Jahre zu erweitern und dabei die zu erwartenden Kosten für Großprojekte wie die Neubauten an der Bühlschule, das Dienstleistungszentrum oder die Umsetzung der Sportstättenkonzeption einzusetzen.
Thema kocht erneut hoch
Hier gab Henle zu bedenken, gesetzlich vorgesehen sei lediglich eine dreijährige Planung. Man habe zudem im Ältestenrat beschlossen, „die finanziellen Eckpfeiler und Schwerpunktsetzungen“ der mittelfristigen Finanzplanung bei einer Ratsklausur im September zu beraten, wenn Informationen zu Förderprogrammen und aktuelle Steuerschätzungen vorlägen. Alexandra Carle (Grüne und Unabhängige) beantragte die Absetzung des Tagesordnungspunkts. Das Thema solle wie abgestimmt bei der Klausur besprochen werden. Baumgartner hielt dagegen: Mit einer mittelfristigen Planung von drei Jahren könne man „die Stadt nicht in die Zukunft führen“. Carles Antrag hielt er für „lächerlich“. Dennoch wurde der CDU-Wählerblock auch hier überstimmt.
Beim Punkt „Anfragen“ kochte das Thema dann noch einmal hoch. Martin Herrmann, Fraktionschef des CDU-Wählerblocks, hielt es für „generell falsch“, wenn ein kritischer Antrag einer Fraktion von einer Mehrheit abgelehnt werden könne. Herrmann befürchtete, das Thema werde „totgeschwiegen“. Der Oberbürgermeister erwiderte, es gehe darum, so vorzugehen, wie im Ältestenrat beschlossen.
Was ist ein Ältestenrat?
Dem Ältestenrat einer Kommune gehören nicht zwingend die ältesten Mitglieder des Gemeinderats an. Laut Geschäftsordnung des Giengener Gemeinderats sind im Ältestenrat der Oberbürgermeister als Vorsitzender, seine ehrenamtlichen Stellvertreter sowie benannte Vertreter der Fraktionen vertreten. Den Fraktionen steht für je angefangene zehn Mitglieder einer Fraktion ein Sitz zu. Derzeit besteht der Ältestenrat aus acht Mitgliedern. Gemäß der Giengener Hauptsatzung hat er unter anderem die Aufgabe, den Oberbürgermeister zur Tagesordnung und zum Gang der Verhandlungen im Gemeinderat zu beraten.