Stadtgeschichte

Neues Buch: Wie man im Giengen des 17. Jahrhunderts Fundraising betrieb

Nach dem verheerenden Brand 1634 war von der Giengener Stadtkirche nur noch die Sakristei übrig. Um den Wiederaufbau zu finanzieren, wurden Bettelreisen unternommen. Ulrich Stark skizziert sie in seinem neuen Buch nach.

Nur ganz wenige Häuser überstanden den schwärzesten Tag der Giengener Stadtgeschichte. Auch von der Stadtkirche war nach dem verheerenden Brand vom 5. September 1634 nicht mehr viel übrig. Lediglich die Sakristei trotzte den Flammen des Infernos. Soweit es ihnen noch möglich war, flohen die Bürgerinnen und Bürger nach Ulm. Die ersten 36 Familien kehrten nach einem Dreivierteljahr im Exil nach Giengen zurück, um die Stadt aus den Ruinen wieder aufzubauen.

Auch das zerstörte Gotteshaus sollte von Neuem erstellt werden. Doch wie sollte das während und unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg finanziert werden? Allgemein bekannt ist, dass der Prediger Simon Böckh (1627-1686) zwei große Reisen durch Deutschland in den Jahren 1652 und 1654 unternahm, um Geld einzusammeln. Darüber hinaus gab es aber auch schon in früheren Jahren solche Betteltouren, darunter eine weite Reise auf der Donau nach Wien an den Kaiserhof. Für den Rückweg nahmen die beiden Reisenden den kürzeren Landweg.

Vom Fundraising im 17. Jahrhundert

In seinem neuesten Buch über das „Fundraising im 17. Jahrhundert“ hat der Giengener Heimatforscher Ulrich Stark nicht nur zusammengetragen, was Simon Böckh in seinen umfangreichen Reisetagebüchern festgehalten hat. Anhand von Abrechnungen, die im Giengener Stadtarchiv in einem separaten Aktenkonvolut erhalten sind, gibt es auch zu den frühen Reisen viel zu erfahren.

Der Giengener Prediger Simon Böckh bemühte sich im 17. Jahrhundert sehr emsig um die Finanzierung des Wiederaufbaus der Stadtkirche. HZ Archiv

So wurden der Bierbrauer und frühere Sonnenwirt Marx Böckh sowie Peter Heerbrand, der nach der Flucht aus Giengen in Ulm blieb und dort als Privatlehrer arbeitete, bereits Anfang 1635 nach Ulm entsandt, um eine „Brandsteuer“ einzusammeln. Über den Erfolg der Mission ist laut Ulrich Stark nichts bekannt.

Noch im selben Jahr machten sich die Beiden noch zu einer viel weiteren Reise an den Kaiserhof nach Wien auf. 16 Wochen Reisedauer sind in der Abrechnung aufgeführt. Schon am ersten Tag zeigte sich, dass sie „mit Leibs- und Lebensgefahr raißen müeßen“, denn bei Langenau wurden sie von Reitern überfallen, die ihnen zwei Gulden abnahmen. Nach der Rückkehr bedauerte Peter Heerbrand, die strapaziöse Reise unternommen zu haben, denn die Stadt Giengen habe die großen Anstrengungen kaum gewürdigt und die beiden Reisenden schlecht ausgerüstet: „Einen Hundt, den ich so weit thete schickhen, wolte Ich mehrers bedencken, als Ir uns bedacht“, beschwerte er sich in einem Brief zur Reiseabrechnung.

Bittsteller trafen nicht immer auf Gegenliebe

Viel zu berichten hatte Simon Böckh über seine beiden großen Reisen 1652 und 1654. Die Erlebnisse sind handgeschrieben in dem Buch „Itineraria Böckiana“ erhalten. Zusammen mit dem Ratsherrn und Kirchenpfleger Jacob Mayer und dem Boten Bonifatius Botzenhardt begab sich der Giengener Prediger von August bis Oktober 1652 in die Schweiz und ins Rheinland und konnte immerhin 1966 Gulden beschaffen.

Nicht immer trafen die Giengener Bittsteller auf das Wohlwollen ihrer Adressaten. In Breisach beispielsweise, an der deutsch-französischen Grenze, versuchte Böckh sein Glück beim Oberst einer deutschen Kavallerie, doch der „machte ein solch stürmisch Gesicht, dass ich gewünschet, ich wäre nie zu Ihme gekommen.“ Der unfreundlichen Geste folgten unfreundliche Worte: „Man soll uns Gienger nichts geben. Wir seyen es nicht werth.“

Die zweite große Reise führte Böckh unter Begleitung von Bonifatius Botzenhardt von Mai bis Dezember 1654 nach Norddeutschland und sicherte weitere 2224 Gulden für den Wiederaufbau der Stadtkirche. Auch hier wusste der Prediger einiges zu berichten, das ihn seltsam „bedunckete“ (dünkte).

In Braunschweig etwa machte er Bekanntschaft mit einer Wirtin, zu der zahlreiche Leute kamen, um ihren Urin darzureichen, worauf sie von der Frau „allereley Medicamente“ erhielten. Dabei konnte die Wirtin weder schreiben noch lesen. Auf einem Spaziergang erfuhr Böckh, dass es sich bei der Frau um eine „Hechs und Zauberin“ handle, die in ihrer finsteren Küche ihren Geist befrage. Vom ursprünglichen Vorhaben, die seltsame Dame in der Küche heimlich zu beobachten, ließ Böckh allerdings wieder ab, weil dies ein „Gott mißfälliger Fürwitz“ von ihm gewesen wäre.

Am Ende resümierte der Giengener Bettelprediger, dass diese „mühsame und beschwehrliche Rayße nicht vergebens und umsonst gewesen“. Er wisse dem „großen und unsterblichen Gott nicht genugsam zu danken“.

Kleines Jubiläum: Starks 20. Buchveröffentlichung

Der Band „Spenden sammeln während und nach dem Dreißigjährigen Krieg“ hat einen Umfang von 364 Seiten und ist im epubli-shop sowie im Buchhandel zum Preis von 25,99 Euro erhältlich. Er erschien in der Serie „Beiträge zur Stadtgeschichte Giengens“ und ist das 20. historische Buch, das Ulrich Stark veröffentlicht hat.

Insgesamt wird unter dem Untertitel „Fundraising im 17. Jahrhundert“ über 15 Sammelreisen zwischen 1635 und 1654 berichtet. Neben persönlichen Reiseschilderungen sind Übersichten über Reiseverläufe, Auflistungen der Spenden und eine Karte mit den eingezeichneten beiden Reiserouten von Simon Böckh 1652 und 1654 enthalten.

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