Demonstrationen

Debatte vor weiterem Eritreer-Treffen

Massiv versuchen Hunderte Menschen aus Eritrea am Samstag, eine Veranstaltung von Landsleuten zu unterbinden. Nach dem Großeinsatz werden die Rufe nach einem Verbot des nächsten Treffens in Stuttgart lauter.

Debatte vor weiterem Eritreer-Treffen

Die Ausschreitungen waren zu massiv, die Zahl der verletzten Polizisten zu hoch und das Ausmaß der Festnahmen zu stark: Nach den Krawallen am Rande einer Eritrea-Veranstaltung in Stuttgart wächst der Druck auf die Stadt, das geplante nächste Treffen eritreischer Vereine am kommenden Samstag zu verbieten. Oppositionsparteien fordern, dies zu prüfen. Dagegen kündigte der Verband eritreischer Vereine an, das nächste Treffen wie geplant zu organisieren. Die Stadt prüft nach Angaben eines Sprecher, unter welchen Umständen eine weitere Veranstaltung im Vorfeld untersagt werden kann.

Am Samstag hatte die Polizei die Veranstaltung der Eritrea-Vereine - nach Angaben der Polizei ein politisches Seminar - gegen heftig randalierende Demonstranten verteidigt. Gegner der Veranstaltung griffen Teilnehmer und vor allem Polizeibeamte an. Dabei wurden 31 Polizisten verletzt. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) sprach am Montag von einem «wütenden, gewaltbereiten und bewaffneten Mob», gegen den sich die Polizistinnen und Polizisten in einer Unterzahl hätten verteidigen müssen, um die Veranstaltung zu schützen. Der «Gewaltexzess» sei unerwartet gekommen.

In Gesprächen mit Polizisten sei ihm von einem «Steineregen» berichtet worden, dem die Beamten ausgesetzt gewesen seien. «Eine Kollegin hat von einer Wand von Steinen gesprochen», sagte Strobl. Er zeigte sich überzeugt: «Die Polizei hat ein Blutbad verhindert. Es ist mir gesagt worden, dass es sehr wahrscheinlich Tote gegeben hätte.»

Der Innenminister kündigte harte Konsequenzen für die 228 zwischenzeitlich festgenommenen mutmaßlichen Demonstranten an, sollten sich die Vorwürfe bestätigen. Gegen sie wird unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährliche Körperverletzung ermittelt. «Die in Frage kommenden Straftatbestände sind kein Pappenstiel» sagte Strobl. Bis auf einen waren sie alle bereits am Sonntag wieder auf freiem Fuß gewesen.

Strobl verteidigte die Polizei vor dem Vorwurf, das Risiko unterschätzt und falsch geplant zu haben. Es seien für eine Versammlung von 80 Menschen in einem geschlossenen Raum 20 Polizeibeamte eingesetzt worden. Zudem habe es im Vorfeld keine Anzeichen oder Hinweise gegeben, die einen höheren Polizeieinsatz notwendig gemacht hätten, sagte der Minister. Es habe zudem seit Beginn des vorigen Jahres sieben ähnliche Termine gegeben, die alle weitgehend ohne Zwischenfälle verlaufen seien. Eine zunächst geplante, aber laut Stadtverwaltung nicht angemeldete Gegenveranstaltung sei zudem wieder abgesagt worden.

Das Stuttgarter Seminar sei mit dem von Krawallen überschatteten eritreischen Festival in Gießen im Juli nicht vergleichbar gewesen, sagte der stellvertretende Stuttgarter Polizeipräsident Carsten Höfler. «Das Störungsausmaß war so nicht vorherzusehen.» Sollte die nächste Veranstaltung am kommenden Samstag in Stuttgart allerdings stattfinden, werde die Polizei die Einsatzkräfte deutlich aufstocken und entsprechend planen.

Der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, sagte dem Südwestrundfunk (SWR): «Ich teile die grundsätzliche Auffassung, dass damit nicht zu rechnen war, eigentlich nicht. Ganz im Gegenteil. Meine Lageeinschätzung wäre eine andere gewesen und ich meine auch, dass das Landeskriminalamt und das Landesamt für Verfassungsschutz auch so beraten haben.» Wer den Vorfall in Gießen erlebt und in den Medien verfolgt habe, der habe grundsätzlich von einem erhöhten Gefährdungspotenzial ausgehen müssen. Die Ereignisse in Stuttgart seien korrekt zu prüfen. «Ich halte es für völlig verfrüht, wenn der Minister heute irgendwelche Dinge verkündet.»

SPD und FDP forderten am Montag Konsequenzen aus den Erfahrungen vom Wochenende. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) müsse entscheiden, ob die Versammlungsfreiheit rechtmäßig eingeschränkt und die geplante Veranstaltung verboten werden müsse, sagte der SPD-Generalsekretär Sascha Binder. «Der Staat hat die Aufgabe, mit der Polizei Versammlungen zu schützen.» Gehe es allerdings um Provokationen und Gewaltausbrüche, müssten Polizisten nicht «sehenden Auges» in Gefahr gebracht werden, sagte Binder.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke warf Stadt und Verfassungsschutz vor, nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein. Es sei offensichtlich, dass es im Vorfeld Erkenntnisdefizite gegeben habe, sagte er. Die Polizei hätte vorgewarnt werden müssen. «Es ist bekannt, dass es in Deutschland zu Konflikten der beiden Eritreer-Fraktionen kommen kann», sagte Rülke. Sollte ein Verbot des kommenden Treffens juristisch nicht durchsetzbar sein, so müssen die Einsatzkräfte verstärkt werden.

Für ein mögliches Verbot zeigt der ausrichtende Verband wenig Verständnis. «Es geht auch um die Frage, ob eine Gewalttat das Sagen haben darf», sagte Johannes Russom vom Dachverband der eritreischen Vereine in Stuttgart der Deutschen Presse-Agentur. Der Schutz der Veranstaltung sei eine Aufgabe des Staates. «Er muss als demokratisches Land daran interessiert sein», sagte Russom. In den vergangenen 40 Jahren habe es derartige Veranstaltungen regelmäßig und ohne Zwischenfälle gegeben.

Nach Polizeiangaben sind unter den mutmaßlichen Tatverdächtigen sowohl Deutsche und Eritreer als auch Dutzende Schweizer Staatsangehörige. In Baden-Württemberg leben nach Angaben des Statistischen Landesamtes mehr als 9000 Menschen mit einem eritreischen Ausweis (Stand 31.12.2022).