Fallanalytiker des LKA erklärt

So tickt der Mörder der Heidenheimerin Maria Bögerl

Fallanalytiker Andreas Tröster vom Landeskriminalamt arbeitet seit zehn Jahren am Mordfall Maria Bögerl. Seine Aufgabe: den Täter analysieren. Wie er den Mörder einschätzt und was das Motiv des Täters sein könnte:

So tickt der Mörder der Heidenheimerin Maria Bögerl

Nach der Entführung am 12. Mai 2010 sucht ganz Heidenheim und eine Hundertschaft der Polizei nach der verschwundenen Maria Bögerl. Tage gehen ins Land – ohne Erfolg. Besteht überhaupt noch die Chance, die 54-Jährige lebendig zu finden? „Nach allem, was wir damals wussten, war uns klar: Die Wahrscheinlichkeit war sehr gering. Wir gingen davon aus, dass Maria Bögerl zu diesem Zeitpunkt bereits tot war“, sagt Andreas Tröster.

Neun Tage nach der Entführung Bögerls aus ihrem Haus in Schnaitheim, werden Andreas Tröster und sein Team von der operativen Fallanalyse des Landeskriminalamts zu dem Fall hinzugezogen. Ihr Job: rekonstruieren, analysieren, bewerten. Den Täter einschätzen. Tage später stellt sich heraus: Ihre erste Bewertung stimmt. Maria Bögerl wurde bereits am Tag ihrer Entführung ermordet. Am 3. Juni wird die Leiche von einem Spaziergänger im Wald bei Nietheim entdeckt.

Mordfall Maria Bögerl: Was ist wie und aus welchem Grund passiert?

Umgangssprachlich und im Fernsehen wird die Tätigkeit der Fallanalytiker häufig als „Profiling“ bezeichnet: „Dabei macht das Erstellen des Täterprofils den kleinsten Teil unserer Arbeit aus“, sagt Tröster. Mit Hollywood-Glamour, Hokuspokus und Hellseherei hat die operative Fallanalyse wenig gemein. Tatsächlich zerlegen die Analytiker einen Fall in seine Bestandteile: Was ist wann passiert und warum ist die Tat geschehen, wie sie geschehen ist? Welches Motiv hatte der Täter?

Nicht bei jedem Verbrechen macht eine operative Fallanalyse Sinn. „Kommt ein Täter zur Tür herein, schießt drei Mal auf das Opfer, dreht sich um und verschwindet – da gibt es für uns nichts zu analysieren“, sagt Andreas Tröster. Zeigt ein Täter kein Tatverhalten, ist die Spurenlage schlecht oder gehört der Täter dem nahen sozialen Umfeld des Opfers an, helfe eine Fallanalyse meist nicht weiter. Im Mordfall Maria Bögerl ist es anders: Über das Verhalten des Täters und sein Vorgehen ist heute einiges bekannt. Doch was sagt das über ihn aus?

Maria Bögerls Mörder ging ein hohes Risiko für wenig Geld ein

„Maria Bögerl wurde aus ihrem eigenen Haus entführt. Der Täter hat sie in ihrer gewohnten Umgebung angegriffen. Man kann darüber spekulieren, ob er an der Tür geklingelt hat. Tatsache ist: Damit ist der Täter ein hohes Risiko eingegangen. Ein Opfer irgendwo in einer einsamen Straße zu entführen, ist weit weniger risikobehaftet“, sagt Tröster. Man könne also überlegen: Kannte der Täter das Opfer – zumindest flüchtig? Kannte er vielleicht sogar die örtlichen Begebenheiten im Haus der Bögerls?

Und obwohl der Täter bei der Entführung Maria Bögerls ein vergleichsweise hohes Risiko eingegangen sei, habe er ein verhältnismäßig geringes Lösegeld gefordert: Ein Hinweis darauf, dass der Täter die Übergabe schnell über die Bühne bringen wollte? Eine deutlich höhere, üblichere Summe im Bereich von zwei bis drei Millionen Euro wäre schwerer zu besorgen gewesen als die geforderten 300 000.

Kriminell oder verzweifelt? Das Profil des Mörders von Maria Bögerl

Was das für das Motiv des Täters bedeutet? „Zwei Möglichkeiten springen einem sofort ins Auge: Er könnte in finanzieller Not gewesen sein. Vielleicht brauchte er genau diese Summe sofort. Oder es handelt sich um jemand mit krimineller Vergangenheit.“ Daraus ergebe sich: Der Täter sei entweder verzweifelt gewesen – oder die Entführung nur ein weiterer Punkt auf einer möglicherweise bereits langen Liste von Verbrechen.

Markant im Mordfall Maria Bögerl: Die vielen Handlungsorte im Landkreis Heidenheim. Der Täter muss sich ausgekannt haben.

Auch der Mord selbst gibt Hinweise auf den Täter und sein Verhalten: Maria Bögerl war tot, noch bevor die Lösegeldübergabe hätte stattfinden sollen. „Wir versetzen uns in die Lage des Täters: War es aus seiner Sicht nötig, das Opfer zu töten?“ Die Lust am Töten sei in den seltensten Fällen der Grund für einen Mord. Bögerl könnte den Täter erkannt haben, so Tröster. Sicher sei, dass der Entführer nie vorgehabt habe, Maria Bögerl lange in seiner Gewalt zu haben. Im Fall Bögerl könnte der Täter die Kontrolle über die Situation verloren haben.

Ihre Leiche wurde im Wald bei Nietheim abgeladen, nur knapp einen Kilometer von der geplanten Lösegeldübergabestelle entfernt, bedeckt mit ein paar Reisigzweigen. Auch wenn die Leiche zunächst übersehen wurde – große Mühe gab sich der Täter beim Verbergen nicht. Möglich also, dass das Ganze so nicht geplant war, dass der Täter improvisieren musste.

Schauplätze im Landkreis Heidenheim: Der Täter kannte sich aus

Markant im Fall Bögerl: Die vielen Handlungsorte. Zum einen ist da das Haus der Bögerls in Schnaitheim, der Ort der Entführung. Dann die Übergabestelle des Lösegeldes: Die Behelfsausfahrt Nietheim an der A 7. Beim Kloster Neresheim wurde die schwarze A-Klasse des Opfers entdeckt. Der Fundort der Leiche im Wald bei Nietheim – und ein weiterer Schauplatz, über den die Polizei bislang schweigt: „Darüber darf ich nichts sagen“, erklärt Tröster. Klar ist jedoch: Die Schauplätze springen einem Ortsfremden nicht gerade ins Auge. „Wir sprechen hier von einem engen geographischen Bereich. Der Täter muss sich die Orte vorher sehr genau angesehen haben oder aber er kannte sich dort bereits richtig gut aus“, sagt Andreas Tröster.

Doch war es überhaupt ein einzelner Täter? Könnten es auch mehrere gewesen sein? „Wir müssen ganz klar sagen: Möglich ist beides“, so Tröster. Die schwarze A-Klasse des Opfers, in dem Bögerl vom Täter entführt wurde, tauchte etwa kurze Zeit nach dem Verbrechen am Neresheimer Kloster auf. „Der Täter muss das Auto dort abgestellt haben. Aber wie kam er dann von dort wieder weg? Ist er dann nach Hause gelaufen? Oder wurde er abgeholt?“

Wie scharf ist das Profil des Täters?

Mit jeder Frage, die die Fallanalytiker beantworten können, schärft sich das Profil des Täters. Damit etwas anfangen können jedoch nur die Ermittler: Ein Täterprofil beschreibe niemals eine einzelne, konkrete Person, so Tröster. Das präzise Alter des Täters zu bestimmen sei beispielsweise nicht möglich.Vielmehr versuchen die Fallanalytiker, Rasterungskriterien zu schaffen, anhand derer ermittelt werden kann. „Wir zeichnen ein Bild und versuchen, es nach und nach zu schärfen“, so Tröster.

Wie scharf ist also das Profil des Täters, der Maria Bögerl ermordet hat? Im Großen und Ganzen: Schwierig, könnte man sagen. Einiges sei im Fall Bögerl klar, etwa die geographische Einschätzung, so Tröster. Die vielen Handlungsorte verraten einiges über den Täter. Aber dass der Fall bislang noch nicht geklärt werden konnte, stelle auch das ein Stück weit in Frage. „Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein: Wir bekommen die Fälle, die nicht einfach zu lösen sind. Es gibt immer ein Problem“, so Tröster. Der Knackpunkt im Fall Bögerl? „Viele Fragen bleiben offen. Zum Beispiel: Warum war dem Täter das Geld auf einmal nicht mehr wichtig?“

So arbeiten die Fallanalytiker des Landeskriminalamts

Seit 1998 gibt es beim Landeskriminalamt in Stuttgart die Einheit Operative Fallanalyse (OFA). Andreas Tröster ist von Beginn an dabei. Heute arbeiten in der Einheit sieben Fallanalytiker und drei Psychologen.

Die Fallanalytiker werden in der Regel bei schweren Verbrechen wie Tötungs- oder Sexualdelikten von der Kriminalpolizei zurate gezogen, um neue Ansätze in die Ermittlungsarbeit einzubringen. Häufig arbeiten sie an sogenannten „Cold Cases“, also ungeklärten Fällen.

Einzelkämpfer gibt es in der operativen Fallanalyse nicht: Es wird stets im Team gearbeitet, in der Regel zu fünft an einem Fall. Die Ausbildung zum Fallanalytiker erfolgt beim Bundeskriminalamt und dauert zweieinhalb Jahre.