Wenn man den Hof vor Gerhild Stölbens Zuhause in Sontheim an der Brenz betritt, fällt der Blick auf Brombeerranken, Weinreben und wild wachsende Kräuter. Auf dem Geländer der Eingangstreppe sitzen kleine Tonfiguren – ein stiller Hinweis auf das, was drinnen entsteht. Ein Schild an der Treppe verrät: Hier hat die 56-Jährige ihr Tonatelier „Kreative Ton(t)räume“. Seit 2017 lebt sie dort. Das Haus ist größer, doch Stölben hat sich bewusst auf einen einzigen Raum zum Wohnen beschränkt, um ihren Traum vom eigenen Atelier zu verwirklichen. Ohne Zentralheizung, aber mit Holzöfen kocht, arbeitet und schläft sie hier.
Ein Raum zum Wohnen, das ganze Haus für den Traum
Gerhild Stölbens Zuhause in Sontheim hat Charakter – die ersten Grundmauern des Hauses sind bereits 200 Jahre alt und schaffen eine besondere Atmosphäre, die sich in jedem Detail spüren lässt. „Es ist mein Tiny House im Haus“, sagt sie und lacht. Sie geht durch den Flur geradeaus in eines der Zimmer – ihr Rückzugsort, ihr privater Lebensraum. Links neben der Tür steht eine kleine Kücheninsel, die sie selbst zusammengebaut hat. Geradeaus, vor einem der großen hellen Fenster, befindet sich eine Holzbank mit Tisch. Rechts daneben: das Herzstück des Raumes – ein Ofen mit Herdplatten. Darin schürt Stölben das Feuer, um den Raum zu heizen, Essen zu kochen oder Kräuter aus dem eigenen Garten zu trocknen. Warmes Wasser erhitzt sie ebenfalls auf dem Herd – eine Zentralheizung gibt es nicht.
Daneben steht ein Kachelofen mit braunen Keramikfliesen, die dem Raum eine gemütliche, etwas urige Atmosphäre verleihen. An ihm hängen Zwiebeln und Minze zum Trocknen. Hinter dem Ofen findet sich ein kleines Tischchen mit Laptop. „Dort arbeite ich, und daneben schlafe ich im Winter“, sagt die 56-Jährige und zeigt auf das Bett, das unter einem weiteren Fenster steht. Neben dem Bett, hinter einem wand hohen Vorhang, befinden sich Stauraum und Kleiderschrank. „Das ist auf so kleinem Raum praktisch, um trotzdem Ordnung zu halten“, erklärt sie.

Ein kleines und helles Bad in Blau, direkt neben der Küchenzeile, gehört ebenfalls dazu. Auch dort sorgt sie selbst für Warmwasser – mithilfe eines Boilers, den sie vor dem Duschen oder Baden beheizt.
Die Reaktionen ihrer Kursteilnehmer und Besucher auf diese Lebensweise haben sich über die Jahre verändert. „Früher sahen sie die Öfen und meinten, es ist zwar heimelig wie bei Oma, aber leben könnten sie so nicht“, erzählt Stölben. Doch seit der Corona-Pandemie nehme sie eine offenere Haltung wahr. „Jetzt heißt es oft: Wie praktisch, so autark leben zu können.“ Sie ist überzeugt, dass diese Veränderung mit den Krisenzeiten der letzten Jahre zusammenhängt. „Es ist schön, sich keine Sorgen machen zu müssen, im Winter im Kalten zu sitzen“, sagt die 56-Jährige. Das Holz für ihre Öfen stammt aus einem Wald, wo sie es kauft und selbst hackt.

Vom eigenen Atelier bis zu mobilen Kursen
Auf kleinem Raum zu leben, ist Gerhild Stölben schon aus ihrer Studentenzeit gewohnt. Schon im Studium in Karlsruhe, wo sie Lehramt mit Schwerpunkt Biologie und Naturpädagogik studierte, war das ihr Alltag. Nach fünfzehn Jahren zu Hause bei ihren drei Kindern arbeitete sie in Wald- und Waldorfkindergärten – bis sie 2017 in das Haus in Sontheim zog, in dem sie heute lebt. Dort richtete sie sich ihr Tonatelier ein, in dem sie heute verschiedenste Kurse gibt – von Rauchbrandtechnik über Töpfern in der Natur bis zu Angeboten für die Lebenshilfe. Dass sie nur ein Zimmer bewohnt, macht diese selbstständige Arbeit überhaupt erst möglich. „Für mich ist es ein Luxus, hier so leben und arbeiten zu können. Ich sehe das nicht als Verzicht“, sagt die Künstlerin. Gemüse aus dem eigenen Garten und Räume, die sie kreativ gestalten kann – für sie sei das eher ein Gewinn.
Der Ton, das kreative Arbeiten damit, aber auch die Liebe zur Natur begleiten sie seit ihrer Jugend. Beides zusammenzubringen, ist für Stölben bis heute ein zentrales Anliegen. Die meisten Inspirationen für ihre Kurse und Arbeiten ziehe sie aus dem direkten Erleben in der Natur oder aus sich selbst, wenn sie ihrer Experimentierfreude Raum lasse.

Geht man die leicht knarzenden Holztreppen in den zweiten Stock hinauf, liegen dort vier weitere Zimmer: das Tonatelier und zwei kleine Schlafräume, alle hell und einladend. Wenn es nötig ist, bietet Gerhild Stölben hier Kursteilnehmern und privaten Gästen eine Übernachtung an. Im Sommer schläft sie selbst in einem der Gästezimmer. Auch hier wird mit kleinen Holzöfen geheizt. „Im Kursraum hat es im Winter sechs Grad. Deshalb heize ich immer schon zwei Stunden vor Kursbeginn an“, erzählt die 56-Jährige.
Ausblick auf mögliche Gemeinschaftsprojekte
Ihr 18-jähriger Neffe hat eine Behinderung. Durch ihn entstand Stölbens Wunsch, auch für Menschen mit Einschränkungen Kurse anzubieten. Ein zufälliges Gespräch mit dem Vorsitzenden der Lebenshilfe Giengen im Bioladen machte das möglich. Seitdem fährt sie jeden Samstagvormittag mit einer mobilen Töpferwerkstatt zur Lebenshilfe – finanziert über eine Leader-Förderung – und bietet dort Kurse an. „Es macht unglaublich Spaß, mit ihnen zu arbeiten“, sagt sie.

Viele Menschen kommen zu ihr, um vom Alltag abzuschalten. In ihren Kursen schaffen es die Teilnehmer, so vertieft zu arbeiten, dass sie sie dabei nur ungern unterbricht. „Der Ton hat eine therapeutische Wirkung“, sagt Stölben. Es habe etwas Meditatives. Ihr Klientel ist bunt gemischt: „Vom Lkw-Fahrer, über Kinder und Menschen mit Behinderung, bis hin zu Junggesellenabschieden mit Maßkrügen zum Töpfern – es ist alles dabei.“
Gerhild Stölben hat sich mit ihrem Leben auf kleinem Raum und dem eigenen Tonatelier einen lang gehegten Traum erfüllt – und sie ist zufrieden damit. Wenn sie überhaupt etwas vermisst, dann wäre es das Miteinander in einer Gemeinschaft, in der jeder seine Fähigkeiten einbringt. Vielleicht ergibt sich das aber eines Tages noch – Wer weiß, was die Zukunft bringen wird.
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