Festakt zum Jubiläum

975 Jahre „Natta“: Was Nattheim in fast einem Jahrtausend erlebt hat und wie die Gemeinde ihre Geschichte würdigt

Im Jahr 1050 wird Nattheim erstmals urkundlich erwähnt. Die Gemeinde feierte dieses historische Ereignis mit einem Festvortrag in der Martinskirche. Heimatforscher Hans-Rainer Schmid nahm die Nattheimer mit auf eine Zeitreise in die Geschichte ihres Ortes.

Unzählige Menschen und Generationen haben Nattheim geprägt, so stellte es Heimatforscher Hans-Rainer Schmid in seinem Festvortrag dar. Anlass für den historischen Streifzug war ein besonderes Jubiläum, das die Gemeinde am vergangenen Sonntag feierte. Vor etwas mehr als 975 Jahren, am 12. Juli 1050, hielt Kaiser Heinrich III. in „Natta“ Einkehr. In einer örtlichen Taverne unterzeichnete er eine Schenkungsurkunde an den Bischof von Chur – ein Dokument, das zugleich die erste urkundliche Erwähnung des heutigen Nattheim markiert und damit als Geburtsstunde des Ortes gilt. Dieses historische Ereignis wurde am vergangenen Sonntag in der Martinskirche feierlich gewürdigt. Die Gemeinde und der Museumsverein Geschichtswerkstatt hatten zu der Jubiläumsfeier eingeladen.

Namhafte Gäste wie Bundestagsmitglied Roderich Kiesewetter, Landrat Peter Polta, Heidenheims Bürgermeisterin Simone Maiwald und die Landtagsabgeordnete Clara Resch besuchten die Feier. Auch die derzeit zwei Bewerber um das Bürgermeisteramt in Nattheim waren zugegen. Nach der Begrüßung durch Bürgermeister Norbert Bereska und kurzer Vorstellung des Programms durch Günther Paschaweh, Vorsitzender des Museumsvereins, begann direkt der Hauptakt der Veranstaltung, der Festvortrag von Hans-Rainer Schmid.

975 Jahre – mehr als eine Zahl

Für den Heimatforscher zählt nicht nur die reine Anzahl an Jahren, die Geschichte mit sich bringt, im Mittelpunkt stehen für ihn vor allem auch die Menschen. In 975 Jahren sind das um die 40 Generationen, die hier in Nattheim lebten und ihre Spuren hinterlassen haben. Schmid selbst hat seine eigenen Vorfahren in Nattheim recherchiert, die bis zu 400 Jahre zurückverfolgbar sind. Er ist also ein waschechter „Naddamer“.

In seinem Vortrag beleuchtete er nicht nur das zeitliche Geschehen um die urkundliche Ersterwähnung. Vielmehr erzählte Schmid die Geschichte von damals bis heute. Der Fokus lag hierbei vor allem auf Faktoren, die den Fortbestand der Siedlung ausmachten und den Herausforderungen, die die Geschichte mit sich brachte. Mehr als 25 Jahre Arbeit stecken in Hans-Rainer Schmids Heimatforschung, bis auf wenige Ausnahmen recherchierte er für seine Erkenntnisse in mehreren Archiven alles selbst.

Der Nattheimer Hans-Rainer Schmid veröffentlichte bereits 50 Bücher über die Erkenntnisse seiner Heimatforschungen. Foto: Markus Brandhuber

Schmid wies zunächst darauf hin, dass Nattheims Geschichte eigentlich sogar weit vor das Jahr 1050 zurückreicht. Archäologische Funde aus den Badwiesen belegen eine frühalemannische Siedlung mit herrschaftlichem Zentrum. Nach dem Untergang der alemannischen Herrschaft um das Jahr 750 übernahmen die Franken das Gebiet. Im Zuge der fränkisch-deutschen Missionierung entstand höchstwahrscheinlich bereits im 9. Jahrhundert eine erste kleine Holzkirche an jener Stelle, an der später die Martinskirche stehen sollte, geweiht dem heiligen Martin. Hierauf folgte um 1350 ein steinerner Bau, ehe 1867 der neuromanische Kirchenbau entstand, der bis heute das Ortsbild prägt.

Siedlungsspuren schon weit vor 1050

Auch die Reformation und die Bauernaufstände im Jahr 1525 machte vor Nattheim nicht halt. Obwohl Luther seinerzeit nur die bestehende Kirche reformieren wollte, entwickelte sich daraus eine eigene Bewegung. Nattheim war durch die württembergische Zugehörigkeit 1536 gezwungen, den neuen Glauben anzunehmen. Mit der großen Kirchenordnung von 1559 hielt auch in Nattheim die Schulpflicht Einzug. Dafür entstand im Laufe von rund 170 Jahren infolge der Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg und des mangelhaften Bauzustands gleich dreimal ein neues Pfarrhaus, das auch für den Unterricht genutzt wurde. Es wurde jeweils an der gleichen Stelle, in der Nähe des heutigen Heimatmuseums, aufgebaut, bis es 1968 schließlich abgerissen wurde, um Platz für eine Straße zu schaffen.

Schwere Jahre nach der Schlacht bei Nördlingen

Für Nattheim war die Schlacht bei Nördlingen 1634 im Zuge des Dreißigjährigen Krieges verheerend. Kaiserlich-katholische Truppen zogen zerstörerisch und räuberisch durch den Ort. Ein „Amtmann zu Natten“ hält fest, dass nach dem Abzug der Truppen 116 Häuser und Stadel niedergebrannt waren, Vieh und Vorräte geplündert. Ein Jahr lang konnten keine Felder bestellt werden. Der Ort war nahezu völlig zerstört und ein Großteil der Einwohner verhungerte. Der Wiederaufbau lässt sich in den folgenden Jahrzehnten bis 1850 anhand von Gebäuden und historischen Untersuchungen gut nachvollziehen. Ab 1650 wurde aus „Natta“ offiziell Nattheim.

Nattheim besaß seit jeher Grund- und Fließwasser. Es gab mehrere Schachtbrunnen, die nach einer alten Technik angelegt wurden: Rund und gemauert dienten sie dazu, das Grundwasser zu erschließen. Die Qualität des Wassers hing dabei stets von der genauen Lage des Brunnens ab. Wahrscheinlich noch aus römischer Zeit stammt der Sachsenbrunnen. Der Bad- und Salzbrunnen, die heute noch schütten, versorgten wohl Mensch und Vieh bereits in alemannischer Zeit.

Flüsse als Lebensgrundlage

Am Kirchberg gab es dann ab 1840 einen Schachtbrunnen, ab 1870 fiel der Startschuss für die Albwasserversorgung, der sich Nattheim jedoch nicht anschließen wollte. Die Wasserversorgung war außerdem gewährleistet durch die Pumpe der Molkerei, mit der man das Wasser den Kirchberg hochgepumpte und damit die Hauswasserversorgung ab 1903 gewährleistete.

Auch die Landwirtschaft prägte das Leben der Nattheimer über viele Jahrhunderte. 1680 wurde der erste dedizierte Feldweg gebaut, durch spätere Flurbereinigungen konnten die Felder besser erreicht und neu aufgeteilt werden. Auch die Verteilung von Wald, Ackerland und Siedlungen wurde so klarer festgelegt. Bereits vor der Einführung der Kartoffelanbaupflicht im Jahr 1772, die der Bekämpfung von Hungersnöten diente, hatte jeder Bürger in Nattheim das Recht auf einen eigenen Krautgarten.

Dankesworte von Landrat und Bürgermeister

Nach dem Festvortrag sorgte das Duo „Die Zwoi vom Breamagärtle“, bestehend aus Brigitte Bayer und Ingrid Ochs, mit schwäbischen Reimen für humorvolle Unterhaltung und ließ ebenfalls die vergangenen 975 Jahre Revue passieren. So wurde auf amüsante Weise klar, warum der Kaiser damals in „Natta“ Halt machte und nicht in „Hoirna“. Eine damals wichtige Landstraße führte wahrscheinlich direkt nach Nattheim, an Heidenheim vorbei.

Abschließend würdigten Landrat Peter Polta und Bürgermeister Norbert Bereska das Miteinander der Einwohnerinnen und Einwohner von Nattheim als „lebendiges Beispiel für Gemeinschaft und Stärke“ und dankten dem Museumsverein für sein Engagement. Auch Bereskas Verdienste und die positiven Entwicklungen unter seiner Amtszeit wurden von Polta hervorgehoben. Zum Schluss erinnerte der amtierende Bürgermeister noch augenzwinkernd daran, dass auch sein Zweitname Heinrich laute – wie jener Kaiser, der vor 975 Jahren die schriftliche Geschichte Nattheims begründete.

Drei-Felder-Wirtschaft auch in Nattheim

Seit dem 9. Jahrhundert wurde die klassische Drei-Felder-Wirtschaft, bei der das Ackerland in drei Teile aufgeteilt wurde, angewandt. Zwei Felder wurden bestellt, eines blieb brach, um den Boden zu schonen. Die Drei-Felder-Wirtschaft wurde auf der Schwäbischen Alb bis ins frühe 19. Jahrhundert praktiziert, bevor sie nach und nach durch neue Formen der Düngung und Unkrautbekämpfung abgelöst wurde. Die Bewirtschaftung der Felder war durch den Flurzwang genau geregelt.