Leitartikel Klartext

Yin und Yang zwischen Gerstetten und Nattheim

Ehrenamtliches Engagement ist mehr als lobenswert. Trotzdem kann es passieren, dass das Gute gewollt und das weniger Gute gemacht wird, meint HZ-Redaktionsleiterin Silja Kummer.

Sie kennen bestimmt das Yin-Yang-Symbol, das einen Kreis mit einer geschwungenen Linie in eine weiße und eine schwarze Hälfte unterteilt. Die weiße Fläche enthält einen schwarzen Punkt und die schwarze Fläche einen weißen Punkt. Das Symbol heißt auf Chinesisch Taijitu und steht für „das sehr große Äußerste“, man könnte auch sagen, für das große Ganze oder den Ursprung der Welt.

Mir ist das Symbol zum allerersten Mal in Form eines Schmuckstücks begegnet. Sein Träger hat mir erklärt, es bedeute, dass es auf der Welt keine Extreme gebe. Das habe ich im zarten Teenageralter noch nicht so ganz verstanden, aber zumindest beschäftigt mich das Symbol seither immer wieder einmal.

In dieser Woche fiel es mir bei zwei Themen ein, die Bedeutung würde ich dabei eher so beschreiben, dass in jedem Licht auch ein bisschen Schatten steckt. Es begann mit der Nachricht aus Gerstetten, dass dort das Bahnhotel geschlossen werden muss, weil die Genossenschaft nicht so funktioniert, wie sie soll. Das ist vor allem deshalb sehr bitter, weil rund 100 Gerstetterinnen und Gerstetter mobilisiert werden konnten, sich am Projekt Bahnhotel auch finanziell zu beteiligen. Wie viel diese von ihren Anteilen zurückbekommen werden, ist noch unklar. Und wenn sie danach nicht noch einmal bereit sind, einer Genossenschaft Geld zu geben, wäre das auch nur verständlich. Schade, dass das helle Licht des ehrenamtlichen Engagements hier getrübt wurde – und zwar von Ehrenamtlichen selbst.

Vom Prinzip her ähnlich, wenn auch in ganz anderer Ausprägung, ist beim Verein Whild Stage, der das 2Takt-Festival bei Nattheim veranstaltet, ein Schatten auf die hochgelobte Veranstaltung gefallen. In einer gut gemeinten, aber nicht gut gemachten Social-Media-Veröffentlichung haben die Veranstalter den Eindruck erweckt, als wären bei dem Techno-Fest im Sommer mehrere Frauen sexuell belästigt und missbraucht worden. Es sei die Frage aufgekommen, ob das 2Takt noch Sinn mache, hieß es in dem auf Instagram publizierten Text. Das klang ausgesprochen dramatisch. Auf Nachfrage der HZ stellte sich heraus, dass es sich um einen einzelnen Verdachtsfall handelt, bei dem eine junge Frau mit K.-o.-Tropfen betäubt worden sein soll.

Ohne den Einzelfall zu verharmlosen, der für die Betroffene sicherlich gravierende Folgen hat, darf man sich trotzdem fragen, warum die Veranstalter selbst so ein Schlaglicht auf ihr Festival werfen und sich in geradezu reißerischer Weise selbst anklagen. Ja, sexuelle Übergriffe sind schlimm, und man kann Strukturen schaffen, um ihnen vorzubeugen. Aber komplett verhindern wird man sie nie. Und damit wären wir wieder am Anfang: Es gibt keine Extreme, weder das absolute Gute noch das absolute Schlechte. Das ist keine einfache Wahrheit, aber leider eine gültige.