Fünf junge Künstlerinnen und Künstler gestalten gemeinsam eine Ausstellung - und das ganz ohne fertiges Konzept, starre Vorgaben und vor allem ohne Grenzen. „Young Artist in Residence“ heißt das Projekt des Kunstvereins Heidenheim, das diese Ausstellung, mit dem Namen „Weggefangen, Platz gegangen“, unter der Leitung von Rainer Jooß, Vorsitzender des Kunstvereins, möglich macht. Mit dieser Ausstellung, welche am Samstag, 28. Juni, ab 19 Uhr eröffnet wird und bis zum 24. August zu sehen ist, möchte er gezielt jungen Positionen Freiräume geben – ganz ohne Vorgaben.
Das Projekt wird aus Mitteln des ZIZ-Programms gefördert, die dem Kulturbündnis Heidenheim zur Verfügung stehen. Ursprünglich waren nur vier Künstlerinnen und Künstler geplant, doch schließlich kam noch ein fünfter hinzu – dadurch müssen die Räume kurzfristig neu sortiert werden. „Das Schöne für mich ist, so einen Versuch starten zu können“, sagt Jooß. Er betont, dass normalerweise eine Ausstellung nur die Werke von einem Künstler oder einer Künstlerin ausstellt. Diesmal ist es aber anders, schließlich stellen fünf Künstler ihre Stücke aus.
Ein kleiner Stein, der ins Rollen geriet: So beschreibt Jooß den Beginn des Projektes, das jungen Kreativen erstmals einen offenen Raum geben sollte – ohne einengende Vorgaben, stattdessen mit der Chance, frei zu wachsen und sich in die Stadt hineinzuentwickeln. Es durfte Fehler geben, Überraschungen und Unvorhergesehenes – denn genau darin lag die Kraft des Experiments. Einen Plan? Gab es nicht. „Ich wollte den Künstlern den Freiraum lassen“, sagt der Vereinsvorsitzende, „um etwas Eigenes entstehen zu lassen, das sich entfalten kann, ohne Zwänge und starre Strukturen.“
Junge Stimmen, freier Raum
Mit dabei ist der 17-jährige Liron Baum, der 2024 für seine Landschaftsmalerei mit dem Roland-Riegger-Preis ausgezeichnet wurde. Seine Arbeiten thematisieren Natur, ohne klassische Landschaftsdarstellung zu sein – oft ruhig, atmosphärisch, aber zugleich auch offen für Interpretationsspielraum. In der Ausstellung präsentiert er drei Werke: ein Bild des Mondes zwischen zwei nackten Menschen. „Jeder sieht den Mond, und die Akte vollziehen wir jeden Tag – mit dem Unterschied, dass hier die Gesichter verborgen bleiben“, erklärt Liron.
Ich liebe alles mit viel Gold und Glitzer.
Aurelia Maurer, Künstlerin
Auch die Performancekünstlerin Sanna Sand – auch bekannt als Sandy J – ist Teil des Projekts. Ihre Arbeiten kreisen um emotionale Zustände, körperliche Präsenz und das Verhältnis zwischen Zuschauer und Künstlerin. Bekannt wurde sie unter anderem durch die „menschliche Waschstraße“ beim 2Takt-Festival. Im Türmle wird sie auf einem Stuhl sitzen, umringt von ihrem Kunstwerk. Still, aufmerksam, aber unberechenbar. „Die Besucherinnen und Besucher wissen nicht, ob sie das Kunstwerk berühren oder einfach nur beobachten dürfen“, sagt Jooß.
Gold, Glanz und Erinnerungen
Aurelia Maurer, ursprünglich aus Kösingen, lebt inzwischen in Heidenheim und präsentiert ein Mobile, das sich über zwei Stockwerke erstreckt. In ihrer künstlerischen Praxis kombiniert sie Metall, Spiegel und Draht zu bewegten Objekten, die mit Licht und Bewegung spielen. „Ich liebe alles mit viel Gold und Glitzer“, betont Maurer. Eines ihrer zentralen Werke heißt „Zwischen Himmel und Blick“: Sterne und Spiegel tanzen in der Luft, werfen Fragmente der Umgebung zurück und changieren zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit.

In einer weiteren Arbeit, „Der goldene Kern“, trifft Natur auf Symbolkraft. Eine vergoldete Walnuss wird zur leuchtenden Reliquie des Alltags. Die harte Schale enthalte das Versprechen eines verborgenen Wertes, so Maurer. Und auch „Lost Souls“, vergoldete Gesichter auf alten Fotografien, zeigt ihr Gespür für das Verlorene: Wer waren diese Menschen, deren Identitäten durch Gold überdeckt und zugleich betont werden?
Max Hoffmann, Teil des erweiterten Vorstands des Kunstvereins, arbeitet mit Aurelia und wird zusammen mit ihr die gemeinsame Kunst ausstellen. Beide sind auch bei Whild Stage aktiv. Hoffmann ist dort im Vorstand, Maurer in der Organisation.
Strukturen, die sich neu formen
Alintschick – Künstlername der 2000 geborenen Alina Dick – ist in Heidenheim aufgewachsen und lebt heute in Stuttgart. Ihre Arbeit „not not a knot“ ist ein raumgreifendes Objekt, das von der Decke hängt. Der Raum wurde eigens für das Werk verändert – neue Wände spitzen die Wahrnehmung zu. Offen bleibt, was zuerst da war: Objekt oder Raum? Ihre künstlerische Forschung bewegt sich zwischen Fleischlichkeit, Menschlichkeit und Zukunftsfragen. Zudem ist sie Preisträgerin des Roland-Riegger-Preises 2025.
Diken, mit bürgerlichem Namen Fatih Cimdiken, ist ebenfalls 2000 in Heidenheim geboren und lebt heute in Berlin und Stuttgart. In seinem Film „Çoçuklar“ (türkisch für „Kinder“) nutzt er über 150 kurze Videoclips, die sein älterer Bruder zwischen 2011 und 2013 im Stadtteil Memminger Wanne in Giengen aufgenommen hat. Die Arbeit gibt intime Einblicke in das damalige Leben der Kinder und verhandelt Themen wie Erinnerung, Identität und Kindheit. Fatih verwendet in seiner Kunst unterschiedlichste Medien – von Video über Sound bis zu Performance. Sein zentrales Thema: Was bleibt, wenn Erinnerungen verblassen?
Kunst, die Wurzeln schlägt
Die Ausstellung „Weggefangen, Platz gegangen“ soll mehr als nur ein Projekt – sie soll ein Versuch sein, jungen Stimmen Sichtbarkeit zu geben und Räume zu öffnen. Sie zeigt, wie aus kleinen Ideen große Experimente werden.
Die Idee, jungen Künstlerinnen und Künstlern im etablierten Kunstverein Raum zu geben, verfolgt Rainer Jooß konsequent. Das steckt auch hinter dem Ausstellungstitel „Weggefangen, Platz gegangen“: Während langjährige Mitglieder älter werden oder sich zurückziehen, sollen jüngere Stimmen Verantwortung übernehmen – im künstlerischen wie im organisatorischen Sinn. „Weggefangen, Platz gegangen“ ist Ausdruck dieses Übergangs: Wer geht, macht Platz für Neues.
Dass der ursprünglich von Jooß vorgeschlagene Ausstellungstitel schließlich gemeinsam mit den Teilnehmenden neu definiert wurde, passt zum offenen Konzept des Projekts. Der Titel „Weggefangen, Platz gegangen“ wurde im Austausch entwickelt und bewusst gemeinsam beschlossen – ein weiterer Schritt hin zu gleichberechtigter Mitgestaltung.
Wissenswertes zum Kunstverein
Der Kunstverein Heidenheim wurde im Jahr 1973 gegründet und zählt heute zu den festen kulturellen Einrichtungen der Stadt. Getragen wird der Verein von über 140 Mitgliedern sowie einem ehrenamtlich arbeitenden Vorstand. An der Spitze steht der Vorsitzende Rainer Jooß. Für die Kommunikation ist Bettina Augustin verantwortlich, die finanziellen Belange liegen in den Händen von Schatzmeister Helmut Graf. Als Ehrenvorsitzender wird Franklin Pühn geführt, der mittlerweile verstorben ist. Zum erweiterten Vorstand gehören außerdem die Beisitzer Walter Häfner, Manuel Meiswinkel, Gunther Kerbes, Simone Maiwald, Marco Hompes, Max Hoffmann und Reika Novak.