Heidenheim macht’s. Heidenheims Opernfestspiele machen’s. Machen etwas, was noch nie da war, bringen eine Neuproduktion auf die Bühne, die in dieser Form und nach menschlichem Ermessen noch kein Opernhaus oder Festival noch sonst wer auf dieser Welt präsentiert hat: einen Doppelabend mit „Gianni Schicchi“ und „Elektra“. Aber wem sagen wir das? Heidenheim weiß das inzwischen ja auch.
Was womöglich allerdings noch nicht allgemein bekannt ist, ist, dass tatsächlich schon einmal jemand auf eine sehr, sehr ähnlich ausgefallene Idee gekommen ist. Und zwar vor langer Zeit, kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Ereignet hat sich das Ganze in New York, also weit weg von Heidenheim. Sehr weit weg. Und doch wieder auch nah. Denn an der Metropolitan Opera wählte man nicht nur, so wie jetzt in Heidenheim, erstaunlicherweise eine Komödie und eine Tragödie, also lustig und blutig als Grundierung eines Doppelabends, sondern ebenfalls Puccini und Strauss. Nur andersherum. Zuerst schaurig, dann spaßig, zuerst Strauss und dann Puccini, und zwar „Salome“ und „Gianni Schicchi“.
New Yorker Variante
Und das kam so: Bei „Gianni Schicchi“ handelt es sich ja um einen Operneinakter, der, im Gegensatz zu „Salome“ oder „Elektra“, eigentlich nie auch allein auf der Bühne steht. Denn „Gianni Schicchi“ ist der dritte Teil von Giacomo Puccinis ,Trittico“, also eines Dreifachabends sogar, und wurde gemeinsam mit „Il tabarro“ und „Suor Angelica“, den beiden anderen Teilen, am 14. Dezember 1918 an der Metropolitan Opera in New York uraufgeführt. Puccini hatte dafür eigentlich nach Manhattan kommen wollen, und wenn er bei der Spielplanansetzung geahnt hätte, dass der Krieg bis dahin zu Ende sein würde, hätte er die Reise auch gebucht. So aber war die Zeit für eine Schiffsreise über den Atlantik zu knapp geworden.
Auch ohne den Komponisten war die Uraufführung ein Erfolg. Allerdings hatte sich da schon angedeutet, dass die Leute vor allem „Gianni Schicchi“ mochten, während die beiden eher schaurigen Teile weniger ankamen. Im pragmatischen und im Zweifel auch vor einem Verkaufserfolg nicht zurückschreckenden amerikanischen Opernbusiness reagierte man alsbald, trennte den „Mantel“ und „Schwester Angelica“ von „Gianni Schicchi“ ab und spannte diesen gemeinsam mit dem Richard-Strauss-Reißer „Salome“ vor den Karren. Und der Laden lief. Insofern also wurde der blutig-lustig-Doppelabend mit Strauss und Puccini zwar in New York erfunden. Doch die lustig-blutige Puccini-Strauss-Spielform in der Variante „Gianni Schicchi“ plus „Elektra“ ist tatsächlich eine Heidenheimer Erfindung. So gab es das noch nie.
Spaß und Wucht
„Und so etwas wird’s so schnell wohl auch nicht wieder geben“, sagt Heidenheims Festspielintendant Marcus Bosch. „Eigentlich sollte man allein schon deshalb dabei sein wollen.“ Allerdings fallen Bosch auch noch eine ganze Reihe weiterer Gründe dafür ein, warum er diese so noch nie dagewesene Opernkonstellation auf den Spielplan gesetzt hat. „Wir präsentieren hier etwas, das eindeutig vielfältiger, gegensätzlicher, spannender ist als, sagen wir mal, ein weiterer ,Nabucco`, für den womöglich nur spräche, dass man wahrscheinlich bekommt, was man sich ohnehin erwartet.
Bei uns aber wird man dieses Jahr einerseits entdecken können, dass, nur so viel zu ,Gianni Schicchi‘, Oper so lustig sein kann, wie man das nie erwarten würde. Und was ,Elektra‘ anbelangt, gibt es kaum eine zweite Oper, die so viel musikalische Wucht entwickelt. Das ist wie ein Raketenstart und drückt dich regelrecht in den Sitz. Und vor der blutigen Seite der Tragödie sollte sich ohnehin niemand fürchten, weil sie sich ja lediglich im Kopf abspielt und den Blicken des Publikums verborgen bleibt.“
Viele Gemeinsamkeiten
Apropos Blick. Auch in dieser Hinsicht könnte man Überraschen feststellen. Nämlich, dass lediglich auf den ersten Blick das eine Stück mit dem anderen nichts zu tun zu haben scheint. Beim zweiten oder dritten Hinsehen kann freilich auffallen, dass, mal ganz abgesehen davon, dass beide Opern ohne Chor auskommen und exakt dieselbe Anzahl von Gesangssolisten verlangen, beide Stücke durchaus ein paar sogar durchaus interessante Gemeinsamkeiten aufweisen, die wenigstens in einem Falle womöglich sogar in einen inszenatorischen Zusammenhang zu bringen wären. Denn in beiden Fällen handelt es sich um eine Familiengeschichte, und beide Handlungen fußen auf viel, viel älteren literarischen beziehungsweise mythologischen Quellen.
In „Gianni Schicchi“ rettet der gerissene Titelheld in dieser von einigen Zeilen aus Dantes „Göttlicher Komödie“ inspirierten, sehr lustigen Geschichte nicht nur ein verzweifeltes Liebespaar, sondern schmiedet auf Kosten einer scheinheiligen Trauerfamilie auch sein eigenes finanzielles Glück. Übrigens: Wer meint, mit „Gianni Schicchi“ nichts anfangen zu können, wird vielleicht überrascht sein, zu hören, dass die nur selten aufgeführte Oper die vielleicht berühmteste Puccini-Arie überhaupt beinhaltet. Es handelt sich um „O mio babbino caro“, ein Bravourstück für lyrischen Sopran.
Weißwurst und Schrott
In „Elektra“ wiederum, einer der meistgespielten Opern von Richard Strauss, die am 25. Januar 1909 in Dresden uraufgeführt wurde, geht es um griechische Mythologie. Aber es geht auch ohne, denn die Handlung ist selbsterklärend, wenn man die Vorgeschichte kennt: Nach der Rückkehr Agamemnons aus dem Trojanischen Krieg wurde dieser von seiner Frau Klytemnästra und deren Geliebten Aegisth ermordet. Klytemnästras und Agamemnons gemeinsame Tochter Elektra hat daraufhin ihren kleinen Bruder Orest außer Landes in Sicherheit gebracht. Dort wird er zum Rächer seines Vaters erzogen. Am Hof von Mykene hält Elektra als Einzige die Erinnerung an den Mord an ihrem Vater aufrecht und wartet auf den Tag der Vergeltung. Der beginnt, wenn die Musik einsetzt.
Und wo wir nun schon bei der Musik angelangt wären: auch die kennt Gemeinsamkeiten. Denn die musikalische Sprache bei Puccini ist im Grunde gar nicht so weit weg von Strauss. Beide waren sie Theatermusiker durch und durch und komponierten beide grundsätzlich eng am Text, was deutlich weniger Luft zwischen den Noten bedeutet, als man das beispielsweise von Giuseppe Verdi her kennt.
Und, wer weiß, vielleicht waren es ja auch gerade solche Gemeinsamkeiten, die dazu beitrugen, dass sich die beiden Komponisten nicht unbedingt grün waren. So heißt es beispielsweise von Giacomo Puccini, dass er die „Elektra“ als „Horror“ bezeichnet habe und die „Ariadne auf Naxos“ als „Schrott“. Strauss wiederum soll Puccinis Musik „mit einer delikaten Weißwurst“ verglichen haben, die rasch verzehrt werden müsse.
Fußweg oder Shuttle-Service
Nichts überstürzen hingegen muss das Heidenheimer Opernpublikum in Sachen Pausenverpflegung. Denn die Pause zwischen „Gianni Schicchi“, der zuerst und grundsätzlich im Festspielhaus gegeben wird, und „Elektra“, die bei schönem Wetter draußen im Rittersaal über die Bühne gehen soll, wird satte 45 Minuten dauern. Viel Zeit also, um sich a) in der Pause im Festspielhaus zu erfrischen und anschließend b) den Ortswechsel hinüber zum Schloss zu vollziehen.
Dies wiederum werden Publikum, Ensemble und Orchester gemeinsam auf einem eigens dafür abgesperrten Fußweg tun. Wer will, und das ist neu, wird aber auch einen Shuttle-Service im Kleinbus zwischen Festspielhaus und Rittersaal in Anspruch nehmen können.
Mit dem Verlauf der Proben übrigens ist Festspielintendant drei Wochen vor der Premiere „mehr als zufrieden“. Und von den Sängern „absolut begeistert“.
Sechs Vorstellungen, früherer Beginn
Premiere hat der Doppelabend der Opernfestspiele mit „Gianni Schicchi“ und „Elektra“ am Freitag, 4. Juli. Weitere Vorstellungen folgen am 6., 11., 12., 18. und 25. Juli. Beginn ist an allen Abenden bereits um 19.30 Uhr. Eintrittskarten sind im Vorverkauf in Heidenheim im Ticketshop des Pressehauses erhältlich.