Man stelle sich vor, man müsste beruflich noch einmal ganz neu starten. Und das in einem Land, dessen Sprache man nicht spricht und in dem die bisherige Ausbildung und Berufserfahrung nicht anerkannt werden. Die Hürden scheinen ziemlich hoch, und doch gibt es eine Menge Menschen in Deutschland, die den Weg trotzdem bewältigen. Einige von ihnen waren am Donnerstag beim Perspektiventag für Migrantinnen auf dem Podium und berichteten im Gespräch mit Richard Meckes vom Regionalbüro für berufliche Fortbildung Aalen von ihren Erfahrungen. Eingeladen zum Perspektiventag, der in den Räumen der Jugendberufsagentur in Heidenheim stattfand, hatte die Agentur für Arbeit zusammen mit dem Jobcenter.
Vom Management an die Kasse
Liudmyla Hanzha und Bohdana Levchenko stammen aus der Ukraine und arbeiten beide bei Marktkauf in Schnaitheim. Sie waren zusammen mit dem Geschäftsführer des Supermarkts Frank Rebmann zur Veranstaltung gekommen. Liudmyla Hanzha kam vor drei Jahren nach Deutschland und arbeitet an der Kasse des Supermarkts. Sie hat in der Ukraine Management studiert und sagt von sich selbst, dass sie gerne mit Menschen kommuniziere. Die Mutter von zwei Kindern berichtete, ihr gefalle ihre Arbeitsstelle, und sie lobte auch das Arbeitsklima. Ihr Traumjob sei es jedoch nicht, weshalb sie eine Ausbildung anstrebe. Bohdana Levchenko möchte sich ebenfalls weiterbilden. Sie schilderte ihre Kolleginnen und Kollegen als offen und hilfsbereit. Sie ermutigte Migrantinnen, sich etwas zuzutrauen und einfach mal etwas auszuprobieren. „Alles ist besser, als zu Hause zu sitzen“, so Bohdana Levchenko.

Suhair Al Agha stammt aus Syrien. Die Mutter von drei Kindern erzählte, wie schwer sie sich anfangs mit der deutschen Sprache tat, was man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Auch habe viel Verantwortung auf ihr gelastet, da ihr Mann krank sei und deshalb nicht arbeiten könne. In Syrien hat sie studiert und als Lehrerin gearbeitet. In Deutschland gelang ihr der berufliche Start in der Kinderbetreuung im Hort der Bolheimer Buchfeldschule und in der Naturgruppe des Kindergartens. Nun kann die 40-Jährige eine Ausbildung zur Erzieherin beginnen, worüber sie sehr glücklich ist. Suhair Al Agha berichtete von viel Unterstützung, die sie in Deutschland erfahren habe, sowohl vom Landratsamt und dem Jobcenter als auch von privater Seite und von ihrer Familie. Schwierigkeiten habe ihr das Kopftuch bereitet, „aber ich habe dafür gekämpft, es zu tragen“.

Einen vorbildlichen migrantischen Lebensweg ist auch Ziad Alhuraira gegangen. Er kam vor zehn Jahren aus Syrien nach Deutschland. Seit 2016 arbeitet er beim DRK in der Altenpflege, zunächst für zwei Jahre als Helfer, danach hat er drei Jahre lang die Pflegeausbildung absolviert und sich anschließend zum Sozialfachwirt weitergebildet. Heute ist er stellvertretender Wohnbereichsleiter im DRK-Pflegeheim.
Alle auf dem Podium betonten, dass die Sprache für sie der Schlüssel für die berufliche Integration gewesen sei. Sobald man eine Arbeit habe, würde aber auch die Sprache davon profitieren, so Bohdana Levchenko. Insofern könne für den Anfang auch schon ein Minijob weiterhelfen, meinte sie. Als schwierig in Deutschland haben die Migrantinnen und Migranten die Bürokratie erlebt: „Es wäre schön, wenn man auf Fragen und Anträge schneller eine Rückmeldung bekommen würde“, sagte Suhair Al Agha.
Unverzichtbar fürs Gesundheitssystem
Auch die Perspektive der Arbeitgeber kam zur Sprache: So berichtete Alexander Voigt, Prokurist der DRK-Pflegedienste Heidenheim, dass rund 60 Prozent des Personals in seinem Unternehmen einen Migrationshintergrund haben. Bei den rund 100 Auszubildenden, die im August beim DRK starten, liege der Anteil der Migrantinnen und Migranten sogar bei 80 Prozent. Vor diesem Hintergrund verstehe er die Diskussion über Zuwanderung nach Deutschland überhaupt nicht, sagte Voigt: „Ohne die Frauen mit Migrationshintergrund wäre das Gesundheitssystem schon lange zusammengebrochen.“

Für Frank Rebmann, Leiter des Marktkaufs in Schnaitheim, sind Menschen mit Migrationshintergrund sehr wertvolle Mitarbeitende. Sie machen in seinem Supermarkt rund die Hälfte der Angestellten aus, „und bei den Kunden ist es ähnlich“, sagte er. Deshalb sei es für ihn wichtig, aus möglichst vielen Ländern Mitarbeitende zu haben, die auch mal sprachlich weiterhelfen können. „Viele der Migrantinnen und Migranten, vor allem auch aus der Ukraine, haben einen hohen Bildungsstand und sind eigentlich überqualifiziert“, so Rebmann. Das sei eine tolle Chance für Arbeitgeber. Manche von ihnen würden sein Unternehmen auch wieder verlassen, wenn es ihnen gelinge, in ihrem eigentlichen Beruf Fuß zu fassen. „Aber wir tun natürlich alles dafür, dass es ihnen bei uns gefällt und sie vielleicht auch bleiben.“
Alexander Voigt berichtete aus der Pflegepraxis, dass ein größeres familiäres Umfeld, das Migranten oftmals hätten, gute Voraussetzungen mit sich bringen würde für einen respektvollen Umgang mit alten Menschen. Er wollte aber auch nicht verhehlen, dass es sich bei der Altenpflege um einen Mangelberuf handle und die Bedingungen nicht immer ideal seien. Trotzdem sei Kommunikation bei der Pflege sehr wichtig und würde gute Möglichkeiten für die Entwicklung der Sprachkenntnisse mit sich bringen.
Markus Ebersbach, der Geschäftsführer des Heidenheimer Jobcenters, erzählte, dass er täglich „Durchhaltevermögen und Engagement“ von Migrantinnen erlebe. Er wusste aber auch um die vielen Hindernisse wie die fehlende Anerkennung von Abschlüssen, Vorurteile und familiäre Hürden. „Wir wollen heute zeigen, welches Potenzial in Migrantinnen steckt, und wollen Stimmen hören, die oft überhört werden.“ Ziel sei es, den Frauen Perspektiven aufzuzeigen und Wege zu ebnen. Dafür gab es nach dem Podiumsgespräch mit den ermutigenden Beispielen für die anwesenden Frauen Infostände und Beratung, einen Bewerbungsmappen-Check sowie die Möglichkeit, kostenlose Bewerbungsfotos anfertigen zu lassen.