Der neuste Rezeptionist des Heidenheimer Kunstmuseums ist rund zweieinhalb Meter groß, über und über mit grünem und rosa Fell bedeckt und hört auf den etwas umständlichen Namen „Guess I’m a coward“. Eine wahre Kreatur ist dieses Wesen im Museumsfoyer, und damit gewissermaßen das Flaggschiff der neusten Ausstellung: „Creatures“ heißt diese, und ab Samstag, 21. Juni, lässt sie ihre Geschöpfe auf die Stadt los.
Halloween im Juni? Mitnichten. Denn wie Kunstmuseumsleiter Marco Hompes erklärt, mag der Begriff „Kreatur“ heutzutage zwar einen Zwischenbereich der menschlichen Wahrnehmung – irgendwas zwischen Mensch und Tier – meinen, und damit vornehmlich negativ konnotiert sein. Doch der lateinische Wortstamm „creare“ lässt sich mit „erschaffen“ übersetzen. Ergo: etwas Positivem.
Von niedlich und flauschig zu grotesk und absonderlich
Die Ausstellung des Kunstmuseums möchte sich keineswegs auf nur eine dieser beiden Deutungen festnageln. Zehn Künstlerinnen und Künstler widmen sich den „Creatures“ vor allem aus bildhauerischer Sicht und erkunden jenen Zwischenbereich. Ihre Feldstudie fängt niedlich und flauschig an, wird dann zunehmend grotesker und absonderlicher.
Das ist beispielsweise Theresa Rothe, deren Plüsch-Gigant das Foyer ziert. In der Hermann-Voith-Galerie sitzt zudem ihr „Huschibuschi“. Dessen kugelrunder Körper erinnert an einen übergroßen pelzigen Wasserball, sein Kopf lässt Parallelen an einen Mogwai erkennen, bevor sich dieser in einen garstigen Gremlin verwandelt. Skurrile Abweichungen von der regulären menschlichen Anatomie lassen Rothes Kreaturen zunächst fast schon sympathisch wirken. Je länger man sie jedoch betrachtet, desto mehr verfestigt sich der Gedanke: Irgendwas stimmt hier nicht so ganz.

„Etwas gruseliger wird es bei Thomas Liu Le Lann. Seine Arbeiten basieren auf vergangenen Liebschaften, auf Geistern, die ihn nicht loslassen“, erläutert Hompes. Liu Le Lanns Figuren sind geprägt von langen Gliedmaßen, welche sie unbeholfen und fast schon freundlich wirken lassen. Dem gegenüber stehen die schwarzen Kopf- und Gesichtsbedeckungen, die eine Mischung aus Harlekinsmütze und Sturmmaske sind und entsprechend bedrohlich anmuten.
Spürbar verzerrter werden die Ausmaße der Ausstellung bei Nena Cermak. Die Künstlerin liebäugelt mit dem Begriff „Cosmilution“. Darunter versteht sie eine harmonische und zukunftsorientierte Utopie, in der das Zusammenleben verschiedener Spezies tagtäglich ist. Ihre Plastiken verbinden Menschen, Pflanzen und Tiere zu Organismen, an denen sich verschiedene anatomische Details identifizieren lassen, die letztlich aber eine neue, gemeinsame Evolutionsstufe erreicht haben. Aus einem Brutkasten entsprungen, wachsen Cermaks Werke immer weiter und nehmen dabei stetig neue Formen an.
Pilz-Entitäten und parasitäre Verbindungen
Ähnliche Mischgestalten bringt auch Daniel Nehring mit, wenngleich er seine Arbeiten komplett digital entwirft und aus einem 3-D-Drucker ausspucken lässt. Eines seiner Werke beschreibt der Künstler selbst als „imaginierte Pilz-Entität, die parasitäre Verbindungen zu mechanischen Elementen eingeht.“ Der Grundkorpus ähnelt entfernt einer überdimensionalen Zunge, aus der Pilze, Sporen, aber auch Kabel und Datenträger sprießen, um wiederum in Tentakel, Trichter und Druckköpfe überzugehen.
Entfernt menschlich muten Malte Bruns bildhauerische Werke schon deshalb an, weil sie auf seinem eigenen physischen Körper basieren. Die daraus geformten Kunststoffrepliken werden jedoch deformiert, fragmentiert, kombiniert und variiert. „Das Ganze wirkt dann sehr abstrahiert, auch durch die grelle, unnatürliche Farbigkeit der Arbeiten“, erzählt Marco Hompes. Aus einem sich krümmenden Torso sprießen beispielsweise runde Öffnungen, aus denen wiederum grüner Schleim ploppt – nicht unähnlich des Vermehrungsprozesses aus „Gremlins“ oder den Körperanschlüssen aus „Matrix“.

Zur Sektion freigegeben sind zwei Werke der Künstlerin Agnes Questionmark: Die scheinbar abgetrennten Körperhälften eines Lebewesens deuten klar auf eine amphibische Lebensform hin, die dennoch menschliche Züge aufweist. Lange, glitschig-durchsichtige Extremitäten und flossenartige Auswüchse zeugen von einem Leben unter Wasser, am Ende landen die Kreaturen jedoch auf metallenen OP-Tischen, wo sie mindestens präsentiert, vermutlich aber seziert werden.
Andersartigkeit, aber auch die Möglichkeiten und Grenzen der Gentechnik greift die Künstlerin in ihren Werken auf. Gleichzeitig sollen die Amphibien-Menschen in Zeiten steigender Meeresspiegel zeigen, wie der Mensch der Zukunft aussehen könnte.
„Creatures“ lotet Grenzen aus
Was ist eigentlich grotesk? Wo fängt Körperlichkeit an, wo hört sie auf? Die „Creatures“ im Kunstmuseum loten diese Grenzen aus. Wo sie liegen? Das weiß wohl niemand so genau. Vermutlich irgendwo zwischen grünem Plüsch, mechanischen Pilzen und amphibischen Gliedmaßen.
Ausstellung von 21. Juni bis 5. Oktober
„Creatures“ wird am Samstag, 21. Juni, ab 17 Uhr mit einer Vernissage im Kunstmuseum eröffnet. Bis 5. Oktober gibt es die Ausstellung zu sehen. Information zu Führungen und Begleitveranstaltungen gibt es unter kunstmuseum-heidenheim.de.