Streuobstwiesen im Kreis Heidenheim

Baumschnitt im Spätwinter: eine Wissenschaft für sich

In vielen Fällen schadet es nicht, die Natur einfach machen zu lassen. Bei der Entwicklung von Obstbäumen sieht die Sache allerdings anders aus: warum sie regelmäßig geschnitten werden müssen und warum man dafür einen echten Plan braucht.

Der Obstlehrgarten in Bergenweiler. Typisches spätwinterliches Wetter auf der Ostalb: acht Grad, etwas windig, trüb und leichter Nieselregen. Vielleicht nicht gerade die angenehmsten Bedingungen für die Teilnehmer des diesjährigen Fachwartlehrgangs des Kreisverbands für Obstbau, Garten und Landschaft (KOV) Heidenheim – aber was muss, das muss eben. Die Zeit wird langsam knapp, idealer Zeitpunkt für den Schnitt von Obstbäumen ist nämlich der ausgehende Winter. Warum das so ist, erklärt Rainer Prechtel vom Obst- und Gartenbauverein Hürben, der gemeinsam mit anderen Fachwarten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer heute anleitet: „Nach der Wintersonnenwende erwachen die Bäume aus ihrer Winterruhe und transportieren Nährstoffe aus den Wurzeln wieder nach oben in die Äste.“ So sind sie in der Lage, die Wunden, die ihnen beim Schnitt zugefügt werden, wieder zu verschließen. Was Nadelbäume mit ihrem Harz leisten, erledigen die Laubgehölze mit frischem Zellgewebe.

Aber warum muss er überhaupt sein, dieser Obstbaumschnitt? Die regelmäßige Pflege von Obstbäumen sorgt dafür, dass die Ernte gleichmäßiger ausfällt und die Pflanze vital bleibt. So können Obstbäume mit einem regelmäßigen Schnitt mehrere Jahrzehnte alt werden. Grundsätzliche Zielgebung ist, dass die Krone des Baums möglichst licht- und luftdurchflutet sein soll, um beispielsweise Pilzerkrankungen zu vermeiden. Nicht zuletzt, sagt Prechtel, sind Schnittmaßnahmen auch unter Sicherheitsaspekten sinnvoll: Die Krone müsse so zugänglich bleiben, dass sie ohne Probleme mit der Leiter erreichbar ist.

Die Suche nach einem gesunden Mittelmaß

Das klingt zunächst recht simpel. Dass es das nicht ist, wird spätestens an diesem Nachmittag im Obstlehrgarten Bergenweiler klar: Selbst Teilnehmer, die schon den ein oder anderen Kurstag hinter sich haben, stehen nicht nur einmal etwas ratlos vor den Apfelbäumen. „Wer einen Obstbaum schneiden will, braucht einen Plan“, sagt Prechtel, der gleichzeitig aber davor warnt, allzu verkopft und zaghaft an die Sache heranzugehen. Also was jetzt? Die Suche nach einem gesunden Mittelmaß beginnt.

Rainer Prechtel vom OGV Hürben leitet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fachwartkurses an. Foto: Rudi Penk

Zunächst gilt es bei jungen Bäumen zu entscheiden, welche Form die Krone einmal haben soll. „Alle Kronenformen müssen ein Gerüst bilden, das den Baum durch sein Leben begleitet“, erklärt Prechtel. Da gibt es die traditionelle Pyramidenform: Dabei sollen Leitäste vom Stamm wegführen, möglichst in einem flachen Abgangswinkel. Von diesen Leitästen aus erstrecken sich die Fruchtäste nach oben. Etwa zehn Jahre dauert es, bis ein Apfelbaum mit dieser Kronenform richtig trägt, damit sollte auch die Erziehung der Leitäste abgeschlossen sein. Geschnitten werden sollte er jährlich.

Die typische Pyramidenkrone eines Apfelbaums – wenn auch etwas ungepflegt. Foto: Rainer Prechtel

Pyramide oder Oeschberg?

Prechtel selbst ist Befürworter des sogenannten Oeschbergschnitts. Der signifikante Unterschied besteht in der beschränkten Leitastzahl: drei bis vier Leitäste, möglichst in jede Himmelsrichtung, die vom Stamm zunächst flach, später dann steiler nach oben abgehen und eine typische Tulpenform nachbilden. Ein weiterer Vorteil ist die Stabilität der Krone, sagt Prechtel: „Bei Vollertrag muss ein Leitast schon mal 100 Kilogramm Gewicht aushalten.“ Und: „Der Pflegeaufwand bei Oeschberg ist nach der Erziehungsphase verhältnismäßig gering und kommt einem natürlichen Wachstum am nächsten. Ein solcher Baum kann auch mal vier bis fünf Jahre ungeschnitten stehen bleiben, ohne dass etwas Großartiges passiert.“

Dieser Baum wurde nach Oeschberg erzogen. Foto: Rainer Prechtel

Grundsätzlich sollten jene Äste, die beim Oeschbergschnitt von den Leitästen abgehen, nach außen und von der Krone weg wachsen, damit diese ausreichend Luft und Licht bekommt. Da Apfelbäume aber selten einfach so von alleine das tun, was der Mensch gerne hätte, müssen sie so geformt werden. Erziehung nennt das der Gartenexperte. Ein Trick dabei ist das Knospen-Ausbrechen: Dabei werden die zur Krone hingewandten Knospen an einem Zweig ausgebrochen, damit sich nur an der gegenüberliegenden Seite neue Triebe bilden können. „Diese Methode ist für den Baum deutlich schonender als das Schneiden zu einem späteren Zeitpunkt“, sagt Prechtel, „die Wunden, die der Baum wieder verschließen muss, sind deutlich kleiner.“

Der Trick mit dem Umkehrauge

Ein weiterer Erziehungstrick beim Schnitt nach Oeschberg ist die sogenannte Umkehraugenmethode. Dabei wird die Leitastspitze angeschnitten, wodurch die oberste Knospe, das sogenannte Auge, am Ast automatisch steil nach oben austreibt, das darunterliegende wiederum deutlich flacher. Alle anderen Augen, die nicht in die gewünschte Richtung weisen, werden ausgebrochen. Im zweiten Jahr wird der steil nach oben gerichtete Trieb gekappt, weshalb nur noch der Trieb übrig bleibt, der in die gewünschte seitliche Richtung wächst.

Ein Trick, um den Baum in die richtige Richtung zu lenken: Knospen ausbrechen. Foto: Carolin Wöhrle

Klingt kompliziert? Ist es irgendwie auch. Selbst wenn man die Theorie begriffen hat, ist die Praxis noch einmal eine ganz andere Sache. Die Teilnehmer in Bergenweiler können das bestätigen. Man sieht sozusagen vor lauter Ästen den Baum nicht mehr - und damit auch nicht, wo man am besten die Schere oder Säge ansetzen sollte. Dazu gehört wohl auch jahrelange Erfahrung, nicht zuletzt deshalb, weil es einige Zeit dauert, bis der Baum signalisiert, ob das, was da gemacht worden ist, auch tatsächlich gut für die Entwicklung war.

Ein Tipp gegen Wassertriebe

Ein Rat, mit dem aber sicherlich jeder private Obstbaumbesitzer und Laie etwas anfangen kann, ist der zum richtigen Umgang mit ungeliebten Wassertrieben. Die entstehen oft, wenn ein Baum zu stark oder falsch geschnitten worden ist. Die Pflanze reagiert mit vielen neuen, senkrecht nach oben ragenden Trieben. Oft bilden sich regelrechte Nester von Wassertrieben. Hier biete es sich an, rät Prechtel, alle Wassertriebe eines solchen Nestes abzuschneiden und nur einen stehen zu lassen – so lange, bis sich daran eine Frucht gebildet hat. Die Fruchtbildung führe dazu, dass der Baum aufhört, Wachstumshormone in den betroffenen Ast zu pumpen. Die Entstehung weiterer Wassertriebe werde so verhindert. Anschließend kann auch der einzig verbliebene Wassertrieb gekappt werden. „Wer aber alle auf einmal entfernt“, warnt Prechtel, „wird im nächsten Jahr doppelt so viele haben.“

Wer Bäume erziehen will, braucht einen Plan – und einiges an Erfahrung. Foto: Rudi Penk

Es gibt also viel zu beachten beim Thema Obstbaumschnitt: regelmäßig schneiden, um den Ertrag zu sichern und den Baum gesund zu erhalten. Nicht zu viel schneiden, um Wassertriebe zu vermeiden und um zu verhindern, dass die Früchte Sonnenbrand bekommen. Dem Baum nicht zu große Wunden zufügen, sich selbst beim Schneiden am besten auch nicht und überhaupt: planvoll vorgehen. Der beste Ratschlag ist aber wohl der, dass es Menschen gibt, die sich mit dem Thema auskennen und bereits sehr viel Erfahrung mitbringen. Diese Menschen findet man unter anderem in den Ortsgruppen des OGV. Wer selbst anpacken will, kann Fachwartkurse des KOV wie den in Bergenweiler besuchen. Ein Meister ist bekanntlich noch nie vom Himmel gefallen – und vom Baum wahrscheinlich auch nicht.

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