„Ich glaube nicht, dass der Mensch fertig auf die Welt kommt“ – mit diesem Gedanken beginnt Jeff Beer seinen künstlerischen Weg immer wieder neu. Der 73-Jährige gehört zu den Künstlern, die sich jeder Form der Einordnung entziehen – und das mit Überzeugung. Sein Werk umfasst Musik, Malerei, Fotografie, Skulptur, Poesie und Prosa. Doch wichtiger als das Spektrum ist für ihn das Dazwischen: die Übergänge, das Ineinandergreifen, das Offene.
Beer sieht im neuen Werk weniger einen abgeschlossenen Erfolg als viel mehr einen andauernden Impuls. Routinen meidet er bewusst. „Man könnte sich in der Wiederholung ausruhen und sich treu bleiben“, sagt er, aber man solle „um Gottes willen nicht so bleiben, wie man ist – sondern sich entwickeln und verändern.“ Für ihn ist jedes Werk ein Schritt ins Unbekannte, jedes Bild, jedes Musikstück eine Suchbewegung.
Im Zentrum seines Selbstverständnisses steht die Verbindung der Ausdrucksformen. Musik ist für ihn unmittelbar mit dem Hören verbunden. In der Malerei hingegen sei es die emotionale Qualität der Farbe, die ihn beschäftige. Und in der Fotografie? Da geht es um „die kontinuierliche Beobachtung des unmittelbaren Lebensraums“, so der Künstler.
Mittelpunkt des Zeitgenossenfestivals
„Nur selten erlebt man eine Einladung, die wie ein Geschenk wirkt“, so beschreibt der Künstler seine Reaktion auf die Einladung zum achten Festival „Zeitgenossen“ des Heidenheimer Fördervereins für Neue Musik. Am Samstag, 28. und Sonntag, 29. Juni wird der Lokschuppen Heidenheim zu einem Ort, an dem Musik, Poesie, Fotografie, Skulptur und Lyrik in Verbindung stehen.
Die Ausstellungen und Konzerte finden im Lokschuppen statt, dessen Atmosphäre das Festival wesentlich mitprägen soll. An die Wände darf aus denkmalgeschützten Gründen nichts angebracht werden, weshalb Beer seine Bilder unter anderem an die Wände projiziert und seine Werke auf Stellwänden präsentieren wird.

Die bildnerische Ausstellung umfasst Malerei, Zeichnung, Fotografie, Collagen und Skulpturen. „Stille Blätter“, so wird eine Werkgruppe genannt, zeichnen sich durch subtile Farbverwebungen und feinste Polychromie aus. „Blau ist hier nicht einfach blau“, sagt Beer, „sondern besteht aus vielen verschiedenen Farbtönen, die zusammen eine Fläche bilden.“ Die Werke seien oft wie Gewebe, durch die man hindurchschauen könne – Schichten, durchzogen von feinen Kontrapunkten. Auch musikalisch wird ein großes Spektrum aufgefächert.
Improvisation und Struktur
Drei Konzerte präsentieren Beers Werke und improvisatorische Auseinandersetzungen mit seinen bildnerischen Arbeiten. Ein besonderer Moment erwartet das Publikum mit dem Konzert „Klänge“, in dem fünf Musiker und Musikerinnen eine etwa 50-minütige Improvisation auf Grundlage von neun projizierten Zeichnungsblättern Beers entwickeln. Diese Blätter tragen musikalische Strukturen in sich – als Impulse, nicht als Partituren.
Zudem zeigt sich das Ensemble „les éclats du son“, das 2022 von dem Pianisten Sebastian Voltz und dem Schlagzeuger Max Riefer gegründet wurde. In neuer Besetzung präsentiert sich die Gruppe nun mit den beiden Gründern sowie der Sängerin Angelika Luz, dem Cellisten Martin Jaggi und der Klarinettistin Clara Wigger. Maßgeblich war das Ensemble auch an der Programmgestaltung beteiligt.
Kunst als Lebensform
Jeff Beer, der seine musikalische Ausbildung in Würzburg absolvierte und dort Komposition, Schlagwerk und Klavier bis zum Meisterklassendiplom studierte, erhielt unter anderem den Bayerischen Staatspreis für Musik. In Heidenheim wird er seinen Langzeitzyklus über Wasser präsentieren – ein fotografisches Projekt, das sich über sieben Jahre erstreckt hat.
„Ich bin ein Mensch, der sich lange mit gefundenen Themen auseinandersetzt“, sagt er. „Wenn ich ein Thema finde, das mich fesselt, lasse ich es nicht mehr los.“ Auch in der Fotografie, so Beer, sei jedes Bild ein neuer Weg ins Unbekannte. Auf die Frage, was das Wichtigste in seiner Arbeit sei, antwortet er differenziert: „Da muss man unterscheiden – zwischen dem Moment des Musizierens, dem Zuhören, dem Komponieren, aber auch der bildenden Kunst. Die Bilder begleiten mich, auch wenn ich Musik mache, sie sind Teil derselben inneren Bewegung.“
Die enge Verknüpfung von Klang, Bild und Text soll das gesamte Festival durchziehen. Auch die von ihm verfasste Literatur werde eine Rolle spielen, im Lokschuppen werde dazu ein Büchertisch aufgebaut. Für Jeff Beer ist die Kunst keine Nebensache. „Ich lebe von nichts anderem als meiner Kunst“, sagt er deutlich.
Festival-Programm:
Am Samstag, 28. Juni, wird die Ausstellung um 14 Uhr mit einem Vortrag über „Jeff Beers Skulpturen“ eröffnet. Im Anschluss spielt Jeff Beer sein Werk Seven für sieben Becken und Schlagzeug. Ab 19 Uhr präsentiert das Ensemble „les éclats du son“ gemeinsam mit Jeff Beer am Schlagzeug das erste Konzert des Festivals unter dem Titel „Portrait Jeff Beer“, das sich seinen Werken und Texten widmet. Um 21.30 Uhr folgt das zweite Konzert „Klänge“, eine Improvisation des Ensembles nach einer Zeichnung von Jeff Beer.
Am Sonntag, 29. Juni, beginnt der Festivaltag um 11 Uhr mit dem Vortrag „Jeff Beer und die Fotografie“ Den Abschluss bildet das dritte Konzert Verbindungen, in dem „les éclats du son“ Werke von Dieter Mack, Katharina Roth, Joey Ran, Jonas Baes, Peter Ivan Edwards sowie Jeff Beer zur Aufführung bringt.