Vor 125 Jahren

Geköpft, gerädert, aufgespießt: So lief die letzte Hinrichtung auf dem Heidenheimer Galgenberg ab

Nicht 1799, sondern ein Jahr später wurde letztmals ein Mensch in Heidenheim hingerichtet: ein Räuber, der einen Geldboten überfallen und ausgeraubt hat. Der Heidenheimer Historiker Alfred Hoffmann hat die Geschichte akribisch nachgeforscht.

Der Name „Galgenberg“ hat sich bis heute gehalten. Hier war der Schauplatz zahlreicher Hinrichtungen aus einer Zeit, in der Verbrecher hierzulande noch mit dem Tode bestraft wurden. Der Heidenheimer Historiker Alfred Hoffmann ist auf Unterlagen gestoßen, die den Hinweis darauf geben, dass die letzte Hinrichtung nicht 1799, sondern ein Jahr später stattfand: Die Exekution des Brudermörders Christoph Heinrich Widmann am 30. April 1799 war demnach nicht die letzte – und 1799 nicht das letzte Jahr, in dem in Heidenheim ein letztes Todesurteil auf dem Galgenberg vollstreckt wurde. Stattdessen spricht vieles dafür, dass die Enthauptung David Witlingers, eines Straßenräubers, das letzte in Heidenheim vollstrecke Todesurteil ist. Alfred Hofmann beschreibt im Folgenden seine Nachforschungen und die dazugehörige Geschichte:

Der Name Galgenberg ist in Heidenheim geblieben als letztes Zeugnis aus einer Zeit, in der Menschen für ihre Straftaten noch grausam hingerichtet wurden.Der Name Galgenberg ist in Heidenheim geblieben als letztes Zeugnis aus einer Zeit, in der Menschen für ihre Straftaten noch grausam hingerichtet wurden. Rudi Penk

K. K. Meck war in der Deutung vorsichtig. In seiner Chronik notierte er zurückhaltend, Widmanns Hinrichtung „scheine eine der letzten oder gar die allerletzte“ gewesen zu sein.

Woher rührt der Irrtum?

In der Bürgermeisterrechnung 1799/1800 heißt es zu den Exekutionskosten: „Bey Hinrichtung des Strasenräubers David Witlingers von Steinenkirch durchs Schwert ist StadtCorporal Honold mit 24 Mann auf den RichtPlaz gezogen und hat mit seiner Mannschaft dafür erhalten 10 Gulden 48 Kreuzer. Eben denselben bei Hinrichtung des Apotheker Widmanns 10 f. 48 x.“
Das legt zwar eine Reihenfolge der Hinrichtungen nahe, diese ist jedoch trügerisch.

Wie sich der Heidenheimer Künstler Franz Kneer die letzte Hinrichtung auf dem Galgenberg in Heidenheim vorstellte (Veröffentlichung Hans Wulz, 1966).
Wie sich der Heidenheimer Künstler Franz Kneer die letzte Hinrichtung auf dem Galgenberg in Heidenheim vorstellte (Veröffentlichung Hans Wulz, 1966). Hans Wulz

Ein Schreiben des Geheimen Rats gibt Aufschluss

Witlingers Prozessakten und das obligatorische Gutachten des Regierungsrats sind verschollen. Ein Consilium der Tübinger Juristen wurde gar nicht erst eingeholt, weil Witlinger „Ausländer“ war: Geboren 1772 in Steinenkirch, war er Untertan der Reichsstadt Ulm.

In einem 7 cm dicken Bündel im Hauptstaatsarchiv, in dem Fälle von Raub aus den Jahren 1758–1807 enthalten sind, fand sich dann doch noch wenigstens das abschließende Schreiben des Geheimen Rats an den Herzog.

Der Täter und seine Tat

Daraus ergibt sich ein düsteres Bild: Wittlinger wurde 1772 als Sohn des Steinenkirchener Amtsknechts geboren. Er erlernte das Schneiderhandwerk und half dem Vater bei seinen Geschäften. Als dieser 1795 starb, versah er den Dienst noch ein Jahr lang alleine, verlor ihn aber dann „wegen seines Spielens, Trinkens und anderer leichtsinniger Ausschweifungen“. Nachdem er sich wegen einer Geldentwendung mit der Mutter entzweit hatte, verließ er den Ort und führte seitdem ein äußerst unstetes Leben.

Nach Aufenthalten in Böhmenkirch und Plochingen trat er in österreichische Kriegsdienste, entwich daraus, versah Knechtsdienste in Lorch und Cannstatt, ließ sich als Soldat im Ulmer Kreis-Kontingent anwerben, wurde wegen Pferdediebstahls zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt, konnte nach 45 Wochen daraus entweichen, zog ziellos in Oberschwaben und Württemberg umher – und schließlich folgte der Raub.

Im Zuchthaus hatte er Leonhard Bauer kennengelernt, der wegen Diebstahls einsaß. Die beiden trafen sich 1799 wieder – zusammen mit einem dritten Mann, einem Zeugmacher namens Franz. Am 15. September, einem Sonntag, verabredeten sie, den dienstäglichen Geldboten von Königsbronn zu überfallen. Witlinger sollte ihn mit seiner Vorderladerpistole („Terzerol“) erschießen, die anderen sollten ihm Geld und Gepäck abnehmen. Das Terzerol wurde ausprobiert und dann mit zwei Kugeln, Schroten und einem Steinlein geladen.

Mit einer Waffe dieser Art waren die Räuber in Heidenheim unterwegs. MoserB / MoserB in der Wikipedia

Am vereinbarten Tag passte Wittlinger den Boten ab und begleitete ihn unter mancherlei Gesprächen, während seine Kumpanen im Wald verborgen waren, bis nach Steinheim und von da nach Sontheim, wo der Bote sein Gepäck an den Heidenheimer Boten abzugeben hatte. Weil aber immer Leute in der Gegend waren, wagte er es nicht, das Vorhaben auszuführen und der erste Versuch scheiterte.

Der Überfall im Wald bei Steinheim

Am 24. September starteten sie einen zweiten Versuch. Witlinger begleitete den Boten Michael Müller zunächst scheinbar freundschaftlich, trug sogar dessen Gepäck. „Gegen Ende des Herrschafft Waldes Hizingsweiler drükte Wittlinger unversehens seinen Terzerol auf den Müller los und sprang hierauf, wie er nachher angab, in den Wald hinein, wogegen die 2 andere Räuber der Abrede gemäs aus dem Gebüsche hervorgesprungen und dem botten, was er bei sich gehabt, abgenommen haben sollen.“

Müller stürzte benommen zu Boden und merkte gerade noch, wie ihm der Ranzen über den Kopf hinweggestreift wurde. Nach einer Viertelstunde erholte er sich jedoch so weit, dass er nach Steinheim zurücklaufen und den Überfall melden konnte.

Die Beute: 1130 Gulden Steuergelder, ein Brief mit 5 fl 45 x und zwölf Ellen Tuch. Briefe und andere Sachen fand man noch am Tatort verstreut. Die Täter aber entkamen zunächst den ausgeschickten Streifen.

In Schwäbisch Gmünd trennte sich Wittlinger nach Teilung der Beute von den Komplizen und ging über Göppingen nach Steinenkirch, wo er den größten Teil des geraubten Geldes versteckte und von wo er in neuer Kleidung weiterzog.

Während die Komplizen entkamen, wurde Wittlinger im nicht-württembergischen Wäschenbeuren festgenommen – mit einem Teil der Beute. Den Rest fand man im Haus seiner Mutter. Müller identifizierte ihn bei einer Gegenüberstellung.

Wittlinger gesteht und wird verurteilt

Witlinger gestand alles sofort – inklusive des versuchten Mordes und Raubs. In der Schirmvogtei Heidenheim wurde das Geständnis wiederholt und die Zeugen vereidigt. Eine „defensio ad acta“ war ihm erlaubt – das heißt, ein Verteidiger durfte eine schriftliche Stellungnahme abgeben. Ein regulärer Prozess war für Ausländer nicht vorgesehen.

Diese idyllische Aussicht auf Schloss Hellenstein und Heidenheim genießt man heute in der Nähe der einstigen Hinrichtungsstätte, dem Galgenberg. Rudi Penk

Der Geheime Rat wies alle vom Verteidiger vorgebrachten Milderungsgründe (Müller habe kei­nen bleibenden Schaden davongetragen, der größte Teil des Raubs sei restituiert, das freimütige Geständnis des Beklagten) zurück. Vielmehr zählte für den Geheimen Rat: Der Raub betraf eine große Geldsumme und fand auf öffentlichem Weg statt. Allein der versuchte Mord wie der vollbrachte Raub sei jedes für sich ein todeswürdiges Verbrechen. Das Urteil lautete: Hinrichtung mit dem Schwert und Flechtung des Körpers aufs Rad.

Steinheim oder Heidenheim: Wo sollte hingerichtet werden?

Ein Streit entbrannte, wo er denn nun hingerichtet werden sollte. Bezüglich der Vollstreckung hatte das Königsbronner Oberamt unter Verweis auf einen Fall aus dem Jahr 1769 – nämlich den des Steinheimer Mörders Johann Martin Haldenwanger – daran erinnert, dass Steinheim „von Jahrhunderten her“ das Recht habe, die Exekution am eigenen Hochgericht zu vollziehen. Der Missetäter sei daher nach verkündetem Urteil an der Grenze zu Steinheim auszuliefern. Der Regierungsrat widersprach: Der Steinheimer Galgen sei nur noch ein Symbol der in früheren Zeiten vom Kloster Königsbronn ausgeübten Halsgerichtsbarkeit, die längst von Heidenheim aus praktiziert werde. Am Samstag, 28. Dezember 1799, bestätigte Herzog Friedrich II. das Todesurteil – zu vollziehen in Heidenheim.

8. Januar 1800: Der Tag der letzten Heidenheimer Hinrichtung

So wurde Wittlinger am 8. Januar 1800 enthauptet – vom neuen Heidenheimer Scharfrichter Georg Adolph Widmann, der am 26. April 1799 die Nachfolge des ermordeten Johann Jacob Widmann angetreten hatte. Sein Leib wurde aufs Rad geflochten, sein Kopf auf einen Spieß gesteckt.

Wie Heidenheim zum Henker kam: Ein Foto aus dem Jahrbuch 2021/2022 des Heimat- und Altertumvereins zeigt den Heidelberger Scharfrichter Franz Wilhelm Widmann – ein Verwandter aus der Heidenheimer Henkersfamilie.
Wie Heidenheim zum Henker kam: Ein Foto aus dem Jahrbuch 2021/2022 des Heimat- und Altertumvereinszeigt den Heidelberger Scharfrichte rFranz Wilhelm Widmann – ein Verwandter aus der Heidneheimer Henkersfamilie. LArch

Öffentliche Hinrichtungen fanden in Württemberg danach nur noch sporadisch statt, aber mindestens zwei Enthauptungen führte – was bisher kaum bekannt war – auch Georg Adolph Widmann noch durch: am 8. Januar 1821 in Aalen an den Eheleuten Riesenmann, die sich einen Doppelmord mittels einer vergifteten Leberwurst hatten zuschulden kommen lassen.

Zur Hängung zweier Falschmünzer, des „Schlossergesellen Sebastian Gatter und des Strumpfwirkers Köfer aus Zang“, die Ernst Guther in seiner Gerstetter Chronik noch für 1810 anführt (das Jahr, bevor die Hochgerichte im Land niedergelegt wurden), konnte bislang kein Beleg gefunden werden – weder in den Heidenheimer Stadtrechnungen noch im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Auch Kriminalhistoriker Udo Bürger, der mit dem Anspruch auf Vollständigkeit in einem Buch alle Hinrichtungen, die in Württemberg im Zeitraum von 1808 bis 1932 stattfanden, aufgelistet hat, erwähnt sie nicht. Man könnte allenfalls vermuten, dass sie im gemeinsamen Zuchthaus des Schwäbischen Kreises in Buchloe, also in Bayern, exekutiert wurden.

Epilog: Erschwindelter Gesellenbrief und gezinkte Würfel

Wittlinger gestand im Verhör weitere Missetaten. Er hatte sich auch einen Gesellenbrief erschlichen, wie sich im Verhör ergeben hatte. Er hatte nämlich den Schneidermeister Schäfer in Oberurbach unter dem Vorwand, er habe seinen Brief verloren und möchte gerne auf Wanderschaft gehen, überredet, ihm bei der Schneiderlade in Schorndorf einen neuen Brief zu verschaffen. Schäfer war darauf eingegangen und hatte ihm bei den Schorndorfer Obermeistern den Brief ausstellen lassen, indem er behauptete, Wittlinger habe bei ihm drei Wochen lang in Arbeit gestanden. Die Folge: acht Tage Haft bei Wasser und Brot für den Meister.

Dem Ulmischen Oberamt Geislingen sollte folgende Tat mitgeteilt werden: Nach Aussage Wittlingers hat ihm der dortige Beindreher Arnolph Hepp falsche Würfel verkauft und Unterricht in deren Gebrauch erteilt.

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