Triumphe und Tragödien liegen mitunter eng beieinander. Zeitlich. Oder räumlich. So wie auf dem Heidenheimer Schlossberg. Dort, wo der FCH seiner Erfolgsgeschichte Jahr für Jahr ein neues Kapitel anfügt, existierte während des Zweiten Weltkriegs ein Außenlager des Konzentrationslagers (KZ) Dachau. Drei zeitgeschichtliche Beweisstücke jener Periode fanden jetzt den Weg nach Heidenheim zurück, nachdem sie fast ein halbes Jahrhundert lang unbeachtet in einem Keller nahe Stuttgart gelegen hatten: Ofenkacheln, von Zwangsarbeitern mit handschriftlichen Nachrichten versehen.
In den sogenannten Heeräckern auf dem Schlossberg stand vor gut acht Jahrzehnten eine Polizeischule – genau an der Stelle, so zeigen es Luftbilder, an der heute die Voith-Arena ihren Platz hat. Hinter der jetzigen Südtribüne lag das zwischen dem 20. Oktober 1941 und dem 26. November 1942 betriebene KZ-Außenlager, ausgelegt für vier Dutzend Personen.
Häftlinge arbeiteten in der Schlosshaussiedlung
Die Häftlinge mussten unter anderem in der Stadt Schnee schippen. Einige, so beschreibt Dr. Martin Burkhardt, Vorsitzender des Heimat- und Altertumsvereins Heidenheim (HAV), die damalige Situation, „hatten nahegelegene Wohngebäude für Polizeioffiziere und Ausbilder fertigzustellen“. Diese Gebäude stehen heute noch. Sie bilden das Ensemble der Schlosshausiedlung.

Viele Gegenstände und Aufzeichnungen, die heute detailliert Aufschluss über die Geschehnisse jener Wochen und Monate geben könnten, wurden kurz vor Ende des Krieges als möglicherweise belastendes Beweismaterial vernichtet. In der Gedenkstätte des KZ Dachau findet sich hingegen ein bis Mai 2025 einzustufendes Einzelstück: eine einst in einem der Öfen im Schlosshau versteckte Kachel.
Einer der KZ-Häftlinge, der Hafnermeister Johann Prechtl, hatte auf ihrer Rückseite vor dem Einbau in den Ofen seinen Namen und weitere Informationen hinterlassen. Außerdem stehen dort die Unterschriften des Malers Josef Berglehner und des Fliesenlegers Heinrich Weigand. Unter der Überschrift „Urkunde“ folgt auch der Satz: „In Gefangenschaft seit 28. Nov. 1936, wielange noch dass weiß der Täufel“.
Dokument des Widerstands
Burkhardt erkennt darin eine „Botschaft für spätere Zeiten“, und Alfred Hoffmann, profunder Kenner der Heidenheimer Historie, spricht von einem „Dokument der Selbstbehauptung und des Widerstands“. Der Nachwelt solle die Botschaft vermittelt werden: Es waren keine Kriminellen, die diese Räume bewohnbar machten, sondern zu Unrecht Gefangene. „Die Kachel ist sicher auch eher ein Zeugnis der Zuversicht als der Hoffnungslosigkeit“, so Hoffmann.
Im Mai 2025 findet diese Geschichte eine überraschende Fortsetzung. Zu verdanken ist sie dem Ofensetzer Rolf Schwenger. Um das Jahr 1980, so erinnert sich der heute 80-Jährige, erteilt die Landesbaugenossenschaft Württemberg der Firma Ensslin aus Stuttgart-Hedelfingen, bei der er beschäftigt ist, den Auftrag, nach den Kachelöfen im Schlosshau zu schauen.

Dabei stoßen die Handwerker auf Hohlräume, in denen sich drei Kacheln verbergen – trotz strenger Bewachung einst von mutigen KZ-Häftlingen mit persönlichen Botschaften versehen. Weil die Stadtverwaltung kein Interesse an den Fundstücken zeigt, verwahrt Schwenger sie in seinem Keller und rettet sie dadurch für die Nachwelt.
Eine Fernsehsendung über die 80 Jahre zurückliegende Befreiung des KZ Dachau am 29. April 1945 ruft Schwenger die Kacheln in Erinnerung. Er schenkt sie dem HAV, der sie in Person von Martin Burkhardt wiederum unverzüglich an die Stadt Heidenheim weitergibt. Bis auf Weiteres ruhen sie nun im Fundus der Historischen Museen.

Verstauben und abermals in Vergessenheit geraten sollen sie dort keinesfalls, stellt Bürgermeisterin Simone Maiwald klar. Angesichts dessen, dass es nur wenige Artefakte aus jenem Ausschnitt der Heidenheimer Geschichte gebe, müssten sie den Augen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden: „Es ist ein wahrer Schatz, schön und schrecklich zugleich. Und ich bin sehr glücklich, dass er jetzt in Hände kommt, die bereit sind, mit ihm zu arbeiten und sich fundiert damit auseinanderzusetzen.“ Allerdings ist noch offen, in welcher Form die Objekte ausgestellt werden.

Die drei jetzt übergebenen Kacheln unterscheiden sich in Größe und Farbe. Eine enthält gut erkennbar die mit kräftigem Bleistiftstrich auf ihrer Rückseite verewigte und mit „Urkunde“ betitelte Botschaft, die politischen Gefangenen Johann Prechtl und Johann Sobczak hätten einen bestimmten Ofen zwischen dem 20. und 25. Dezember 1941 gebaut. Deutlich mehr Mühe ist erforderlich, um die mit einem Nagel in die Glasur der anderen beiden Fliesen geritzten Worte zu entziffern. Sie beinhalten in beiden Fällen den Namen Johann Sobczak, einmal auch den von Heinrich Weigand und den Zusatz „in Haft seit Oktober 1933 wegen vorbereitung zum Hochverrat“.
Kollektives Erinnern auf dem Schlossberg
Auf dem heutigen Areal des 1. FC Heidenheim standen von 1934 bis 1963 Gebäude und Einrichtungen, die für unterschiedliche Zwecke genutzt wurde. Darunter befanden sich eine Polizeischule, eine SS-Helferinnenschule, eine Maschinengewehr-Schießanlage, ein Außenlager des KZ Dachau und Unterbringungsmöglichkeiten für „Displaced Persons“. Der FCH will sich der daraus erwachsenen geschichtlichen Verantwortung mit einer sorgfältigen historischen Aufarbeitung und einer zeitgemäßen und würdevollen Präsentation der Geschehnisse stellen. In Zusammenarbeit mit der Stadt und dem Fanprojekt Heidenheim entstehen derzeit mehrere Module, die „emotional nachvollziehbar machen sollen, dass die Betroffenen keine Nummern, sondern Menschen waren, die mit uns gelebt haben“, sagt der an dem Vorhaben beteiligte Künstler Rainer Jooß.
Geplant ist zunächst einmal eine Stele vor dem Stadion. Später sollen Führungen und Schulungen folgen, bei denen voraussichtlich ein Bollerwagen eine wesentliche Rolle spielt. Bestückt werden soll er mit Originalen und Repliken, die die Erinnerung wachhalten – darunter Informationstafeln, Fotos und die mit einem roten Winkel für politische Häftlinge versehene KZ-Jacke des Zwangsarbeiters Johann Prechtl. In einer digital geprägten Welt ließen sich vielfach Originale nicht von Fälschungen unterscheiden, gibt Jooß zu bedenken. Er hält es deshalb für wichtig, „analog zu vermitteln, und damit im wahrsten Sinne begreifbar zu machen, dass sich tatsächlich ereignet hat, was auch nach 80 Jahren Erinnerungsarbeit bei vielen Menschen noch nicht angekommen ist“. Besonders unverständlich ist ihm die anhaltend große Nachfrage nach Militaria aus der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.