Zwei literarische Gäste

Auf dem Waldfriedhof in Heidenheim findet erstmals eine Lesung statt

Ungewöhnliche Orte der Worte: Am 26. Juni wird es erstmals eine Lesung auf dem Waldfriedhof in Heidenheim geben. Die Veranstalter rechnen mit Gegenwind. Warum ausgerechnet dieser Ort gewählt wurde und wie die Pietät dennoch vollständig gewahrt bleiben soll:

Die meisten tun es im Sitzen oder im Liegen, auf dem Sofa, im Bett oder auch auf der Toilette. Manche tun es hingegen im Stehen, manchmal am Bahnhof, gelegentlich sogar in der Schlange an der Supermarktkasse. Für die Lektüre eines Buches haben ein jeder und eine jede seine und ihre ganz persönliche, manchmal auch ungewöhnliche Präferenz. Auf Lesungen kann das genauso zutreffen, findet nicht zuletzt Thomas Jentsch, Leiter der Stadtbibliothek Heidenheim. 2023 veranstaltete die Bücherei erstmals eine Lesung an einem eher ungewöhnlichen Ort: im Waldbad. Für den nächsten Coup wagt sich die Stadtbibliothek – knapp zwei Kilometer Luftlinie vom Freibad entfernt – auf den Waldfriedhof.

Wer nun ein morbides Bild von Schauerlektüre zwischen Gräbern vor Augen hat, der irrt. Zum einen, weil die Lesung nicht auf den Grabflächen, sondern in der Aussegnungshalle stattfindet, und zum anderen, weil die beiden literarischen Gäste Fee Katrin Kanzler und Thomas Raab am 26. Juni heiteren Lesestoff im Gepäck haben werden.

Erst das Waldbad, nun der Waldfriedhof

Genau wie schon beim Waldbad spielte beim Lesungsort Waldfriedhof der Zufall eine nicht unerhebliche Rolle. 2023 hatte Thomas Jentsch das Jahresprogramm der Stadtbibliothek eigentlich schon in trockene Tücher gepackt. Nachdem ihm jedoch Caroline Wahls Debütroman „22 Bahnen“ empfohlen wurde, führte eines zum anderen, und die Idee für eine Lesung beim Olympiabecken war geboren. Vonseiten des Waldbads habe Jentsch sofort Begeisterung und Zustimmung erfahren.

Der Impuls in Sachen Waldfriedhof kam ebenfalls von städtischer Seite, nämlich in Gestalt von Tanja Weiss, Geschäftsbereichsleiterin für Friedhofswesen und Betriebsverwaltung. „Uns ist es ein Anliegen, das Thema Friedhof an die Menschen heranzutragen, damit sie diesen nicht nur als Sterbeort sehen“, erklärt Weiss. Der Tod gehöre genau wie Friedhöfe zum Leben dazu. Laut Weiss tauschen sich die Friedhofsverwaltungen verschiedener Kommunen regelmäßig darüber aus, wie man die Grabstätten erlebbar machen könne.

Tanja Weiss, Geschäftsbereichsleiterin für Friedhofswesen und Betriebsverwaltung, und Thomas Jentsch, Leiter der Stadtbibliothek Heidenheim. Foto: Maximilian Haller

Im Februar stellte Weiss dem Heidenheimer Gemeinderat ein Friedhofsentwicklungskonzept vor, welches einen durchaus gewagten Vorschlag ins Gespräch brachte: ein Kinderspielplatz auf dem Waldfriedhof. Der Vorstoß stieß sowohl auf Gegen- als auch auf Rückenwind. Für Weiss ist ein Spielplatz keinesfalls die einzige mögliche Veränderung innerhalb der Friedhofslandschaft: „Wir könnten uns auch eine Begegnungsstätte oder auch Orgelkonzerte oder Konzerte mit moderner Musik auf dem Friedhof vorstellen.“ Oder eben eine Lesung.

„Es reizt natürlich, eine Lesung mal an einem ganz anderen Ort zu veranstalten“, sagt Jentsch. „Auch das Publikum geht dann mit einem ganz anderen Kopf ran.“ Man rechne angesichts dieses Pilotprojekts durchaus mit Gegenwind, wie Tanja Weiss erklärt. „Aber wir können versichern, dass wir die Thematik immer pietätvoll aufgreifen und nie ins Lächerliche ziehen würden.“

Dritte Waldbad-Lesung im Juli

Ähnlich wie im Waldbad wird es auch dieses Mal einen Lokalmatadoren geben. Während bei der Premiere am Becken der selbsternannte „Waldbad-Ultra“ Michael Kneule erstmals aus seinen kultigen Instagram-Kolumnen las, übernimmt die lokale Rolle dieses Mal Fee Katrin Kanzler – sie arbeitet als Lehrerin in Herbrechtingen.

Sollte die allererste Waldfriedhofslesung von Erfolg gekrönt sein, könnte sie sich laut Jentsch und Weiss durchaus wiederholen. Das Waldbad-Experiment ist bereits geglückt – am 24. Juli findet die bereits dritte Auflage statt. Zu Gast sein wird Volker Klüpfel.

Literarische Gäste aus Ulm und Österreich

Die Ulmer Autorin Fee Katrin Kanzler eröffnet die Lesung und legt mit „Ameisenschnee“ 27 Erzählungen vor, die zugleich sinnlich und scharfsinnig sind, die Machtfragen und künstlerische Freiräume ausloten.

Thomas Raab lebt als Schriftsteller, Komponist und Musiker mit seiner Familie in Wien. Er zählt zu den erfolgreichsten Krimiautoren Österreichs, mehrere seiner Bücher wurden bereits verfilmt und 2017 wurde er mit dem österreichischen Krimipreis ausgezeichnet. In Heidenheim liest er aus seiner Reihe „Frau Huber ermittelt“.

Der regionale Künstler Benjamin Rödel stellt am Lesungsabend zehn seiner Bilder in der Aussegnungshalle aus.

Die allererste Lesung auf dem Waldfriedhof findet am Donnerstag, 26. Juni, ab 19 Uhr in der Aussegnungshalle statt. Karten gibt es im Vorverkauf in der Stadtbibliothek Heidenheim, in der Stadt-Information, unter heidenheim.eventim-inhouse.de sowie an der Abendkasse.

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