Die israelische Armee setzt ihre nach eigenen Angaben «präzisen» Vorstöße in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens fort. «Unsere Operationen gegen die Hamas in Rafah bleiben begrenzt und konzentrieren sich auf taktische Vorstöße, taktische Anpassungen und militärische Vorteile und haben dicht besiedelte Gebiete gemieden», sagte Armeesprecher Daniel Hagari in einer Erklärung.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte Israel vor einer Ausweitung des Einsatzes. «Wir halten eine Offensive auf Rafah (...) für unverantwortlich», sagte er in Potsdam. In Israel kam es am Abend zu wütenden Protesten gegen die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. «Solange Netanjahu an der Macht ist, werden die Geiseln nicht zurückkehren (...) Netanjahu führt Israel in den völligen Untergang», zitierten israelische Medien aus einer Erklärung von Angehörigen der Geiseln.
Die israelische Armee hatte die Bevölkerung in Rafah aufgerufen, weitere Gebiete im Osten und erstmals auch im Zentrum der Stadt zu verlassen. Israel hatte zu Wochenbeginn den Einsatz von Bodentruppen zunächst in den östlichen Außenbezirken von Rafah begonnen. Seither seien «Dutzende von Terroristen ausgeschaltet», unterirdische Terrortunnel freigelegt und große Mengen an Waffen sichergestellt worden, sagte Hagari. Nicht nur Hilfsorganisationen befürchten, dass eine Ausweitung der israelischen Offensive dazu führen könnte, dass Hunderttausende Zivilisten zwischen die Fronten geraten.
Bericht: USA bieten Israel Geheimdiensthilfe an
Die USA haben Israel für den Verzicht auf eine Großoffensive in Rafah einem Medienbericht zufolge Hilfe beim Aufspüren von Anführern der islamistischen Hamas angeboten. Wie die Zeitung «Washington Post» unter Berufung auf vier mit dem US-Angebot vertraute Personen berichtete, würden die USA dem israelischen Militär mit geheimdienstlicher Unterstützung helfen, den Aufenthaltsort von Hamas-Anführern sowie unterirdische Tunnel der Terrororganisation zu lokalisieren. Amerikanische Beamte hätten zudem angeboten, Israel Tausende von Notunterkünften bereitzustellen, damit die Armee Zeltstädte für die zu evakuierenden Bewohner von Rafah aufbauen könne.
Die israelische Armee begründet das schon vor Monaten angedrohte militärische Vorgehen in Rafah damit, die letzten Bataillone der Hamas zerschlagen und die unter der Grenze zu Ägypten vermuteten Schmuggel-Tunnel zerstören zu wollen. Armeesprecher Daniel Hagari berichtete unterdessen, auch in Al-Saitun im Zentrum des abgeriegelten Küstenstreifens sei eine «unterirdische Route» gefunden worden.
Am Abend hätten Kampfflugzeuge zudem Ziele in Dschabalia im Norden angegriffen, nachdem die Zivilbevölkerung evakuiert worden sei. In den vergangenen Wochen seien Versuche der Hamas beobachtet worden, sich dort militärisch neu aufzustellen, sagte Hagari. «Wo immer wir Erkenntnisse über solche Versuche von Hamas haben, werden wir handeln.»
Berichte: Israels Militärchef fordert Nachkriegs-Strategie
Israels Armee müsse mangels einer politischen Strategie für die Zeit nach dem Krieg immer wieder an Orten im Gazastreifen wie jetzt in Dschabalia kämpfen, die sie eigentlich zuvor eingenommen und aus denen sie sich bereits wieder zurückgezogen hatte, beklagte Generalstabschef Herzi Halevi Medienberichten zufolge bei Sicherheitsberatungen mit Ministerpräsident Netanjahu.
«Solange es keinen diplomatischen Prozess gibt, um eine Verwaltung im Gazastreifen aufzubauen, die nicht der Hamas angehört, müssen wir immer wieder Kampagnen an anderen Orten starten, um die Infrastruktur der Hamas zu zerstören», wurde der israelische Militärchef in der «Times of Israel» zitiert. «Es wird eine Sisyphusarbeit sein.»
Netanjahu hatte kürzlich im US-Fernsehen über die Zukunft des Gazastreifens gesprochen und gesagt, im Fall einer Niederlage der Hamas in dem abgeriegelten Küstengebiet werde es vermutlich «irgendeine Art Zivilverwaltung» geben, «möglicherweise mithilfe der Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und anderen Ländern». Dabei gehe es um Staaten, die sich «Stabilität und Frieden» wünschten.
Der emiratische Außenminister Abdullah bin Sajid stellte jedoch auf der Online-Plattform X klar, man werde sich an keiner möglichen Zivilverwaltung mit anderen Staaten beteiligen. Sein Land werde sich in keine Pläne hereinziehen lassen, um «Deckung zu geben für Israels Präsenz im Gazastreifen». Netanjahu habe auch keine Befugnis, solch einen Schritt in die Wege zu leiten.
Biden sieht Hamas in der Pflicht
US-Präsident Joe Biden bekräftigte unterdessen mit Blick auf die indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln die Verantwortung der Hamas. «Wissen Sie, es gäbe morgen einen Waffenstillstand, wenn (...) die Hamas die Geiseln freilassen würde - Frauen, ältere Menschen und Verwundete», sagte Biden bei einer Wahlkampfveranstaltung in Medina im US-Bundesstaat Washington nach Angaben mitreisender Pressevertreter. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, hatte am Freitag gesagt, die Verhandlungen steckten in der Sackgasse. Ägypten will nun gemeinsam mit den USA die Konfliktparteien zu mehr Kompromissbereitschaft bewegen.
Israel: Südafrika agiert als legaler Arm der Hamas
Die israelische Regierung forderte unterdessen den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag auf, den erneuten Eilantrag Südafrikas zum Verhindern eines Völkermords an Palästinensern abzulehnen. Südafrika agiere als juristischer Arm der Hamas, schrieb der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Oren Marmorstein, auf X. Südafrika hatte sich erneut an den IGH gewandt und gefordert, das Gericht müsse Israel zu weiteren Schritten bewegen, um einen Völkermord an Palästinensern zu verhindern. Unter anderem solle Israel sich sofort aus Rafah zurückziehen.