Angeblicher Stellenabbau in Böhmenkirch

Verlagert das Steinheimer Unternehmen Fysam Teile der Produktion nach China?

Offenbar will der Steinheimer Automobilzulieferer weitere Stellen abbauen, dieses Mal in Böhmenkirch. Ein Mitarbeiter zeigt sich in einem anonymen Schreiben verzweifelt, die Gewerkschaft ist ratlos. Und das Unternehmen schweigt.

Die Liste an Vorwürfen gegen das Steinheimer Unternehmen Fysam, das unter anderem auch Werke in Böhmenkirch betreibt, ist lang und wird immer länger: Erneut macht ein anonymes Schreiben die Runde, in dem ein, wie der Autor selbst angibt, „Mitglied der Führungsebene“ des Unternehmens seine Verzweiflung über die Situation der Mitarbeiter zum Ausdruck bringt. Nachdem bereits vor Monaten von unhaltbaren Arbeitsbedingungen und Schwarzarbeit die Rede gewesen war, geht es nun um weiteren Stellenabbau, den das Unternehmen plane. Im Herbst bereits wurde bekannt, dass Fysam sein Werk in Laichingen-Feldstetten schließen will. Betroffen wären davon rund 120 Mitarbeiter.

Nun geht es offenbar um Arbeitsplätze in Böhmenkirch, wobei nicht einmal die Gewerkschaft IG Metall richtig weiß, wie sich die Situation derzeit darstellt und was die Geschäftsführung genau vorhat. „Das Werk in Feldstetten gibt es noch, so viel können wir sagen“, sagt der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Göppingen, Martin Purschke: „Wie viele Mitarbeiter dort tatsächlich noch arbeiten, wissen wir aber nicht.“

Auch in welcher Größenordnung der nun geplante Stellenabbau erfolgen soll, bleibt im Unklaren: „Wir hören Zahlen zwischen 100 und 280. Das wechselt allerdings wöchentlich“, so der Gewerkschafter. Allein die Tatsache, dass schon wieder über Arbeitsplatzabbau gesprochen wird, sei „für alle Mitarbeiter eine große Katastrophe“. Das Unternehmen habe versichert, dass es generell darum gehe, Arbeitsplätze zu sichern. Ganz offenbar ist das aber nicht der Fall. Das legt auch ein Aushang der Geschäftsführung nahe, der laut Purschke die Mitarbeiter jüngst darüber informiert hat, dass Teile der Produktion nach China verlagert werden sollen. Was, wie, wann und warum? Unklar.

Vorgehen der Unternehmensführung: planlos oder planvoll?

Dass auch für die Gewerkschaft das Gebaren der Fysam-Geschäftsführung sehr ungewöhnlich ist, macht Purschke deutlich: „Ich bin bei diesem Unternehmen nicht sicher, ob sie einfach nicht wissen, was sie tun, oder ob sie genau wissen, was sie tun, es aber niemandem sagen.“ Auf die Frage, ob es hier um Planlosigkeit geht oder um planvolles Vorgehen, findet der anonyme Autor des Schreibens, das der HZ-Redaktion vorliegt, eine klare Antwort: Er berichtet von der geplanten Schließung eines Werks, der Verlagerung weiterer Werke und der schrittweisen Verlagerung der Produktion nach China. Chinesische Mitarbeiter, so sein Vorwurf, blieben von den Entlassungen verschont. „Diejenigen, die das Unternehmen in den dunkelsten Stunden gestützt haben, werden nun ohne jegliche Rücksicht auf ihre Loyalität fallen gelassen“, beschreibt er (oder sie).

Auch was die chinesischen Mitarbeiter anbelangt, sind die Vorwürfe nicht neu: Bereits im Herbst wurde davon berichtet, dass viele von ihnen in dem Unternehmen schwarz beschäftigt und teils mehrere Wochen am Stück ohne Pause arbeiten würden. Fysam selbst wollte zu diesen Vorwürfen keine Stellung beziehen.

„Schwierige Beweislage“: Verfahren gegen Führungsperson zieht sich hin

Wohl aber hat sich auch schon die Justiz mit ihnen beschäftigt: Auf Untersuchungen des Zolls im Jahr 2021 hin ermittelte die Ellwanger Staatsanwaltschaft gegen zwei Personen aus der Führungsebene von Fysam. Ein Verfahren war gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden. Das andere Verfahren wegen Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt ist derzeit noch immer beim Amtsgericht in Heidenheim anhängig. Auf Nachfrage teilt das Gericht mit, dass die Akten mittlerweile wieder zurück an die Staatsanwaltschaft gegeben worden seien, da „die bisherige Beweislage schwierig“ gewesen sei. Ob und wann es also tatsächlich zu einer Verhandlung in dieser Sache kommen wird, ist unklar.

Werksschließungen, Stellenabbau, Schwarzarbeit und Produktionsverlagerungen nach China: All das steht im Raum. Laut Purschke von der IG Metall ist die Situation der Mitarbeiter in dieser großen Unsicherheit enorm schwierig. „Es ist an der Zeit, dass man den Beschäftigten reinen Wein einschenkt und ihnen sagt, wie die Pläne für das Unternehmen aussehen“, sagt der Gewerkschafter: „Auch wenn diese Entscheidungen in China getroffen werden sollten.“

In der kommenden Woche jedenfalls sollen Gespräche zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat stattfinden. Es soll um den geplanten Stellenabbau gehen. Auch die Gewerkschaft wird dabei sein. Ob danach etwas mehr Klarheit herrscht, bleibt abzuwarten.

Das Unternehmen wurde zu dem geplanten Stellenabbau, zur Schließung des Werks in Feldstetten und zur Verlagerung von Teilen der Produktion nach China befragt. Die HZ-Anfrage blieb unbeantwortet.

Erst Binder, dann SAM, heute Fysam

Die Geschichte des heutigen Unternehmens Fysam Auto Decorative war in den vergangenen Jahren nicht gerade von Kontinuität geprägt: Seine Wurzeln reichen bis ins Jahr 1955 zurück. Damals gründete Ottmar Binder senior die Binder GbR in Böhmenkirch, die Polier- und Schleifarbeiten für die WMF übernahm. 1989 begann der Wandel zum Automobilzulieferer, 1990 folgte die Umbenennung in Süddeutsche Aluminium Manufaktur. 2016 wurde das Unternehmen schließlich von einer Münchner Unternehmensgruppe übernommen und in SAM Automotive Group umbenannt. 2018 kam es im Böhmenkircher Werk zu einem Großfeuer, infolgedessen Insolvenz angemeldet werden musste. Der Schaden hatte, inklusive des Produktionsausfalls, knapp 30 Millionen Euro betragen.
2019 übernahm der weltweit agierende chinesische Konzern Fuyao das Unternehmen. 2020 kam es erneut zu einem Großbrand in einer Produktionshalle in Böhmenkirch. Schaden: eine Million Euro.

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